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Staatsoberhaupt von TunesienBeji Caid Essebsi ist tot

Der Tod des 92-jährigen Caid Essebsi stürzt das Vorzeigeland des Arabischen Frühlings in Turbulenzen. Dort stehen Präsidentschaftswahlen an.

Beji Caid Essebsi beim Besuch im Schloss Bellevue in Berlin im Oktober 2018 Foto: dpa

TUNIS taz | Der tunesische Präsident Béji Caïd Essebsi ist am Donnerstag, dem tunesischen Unabhängigkeitstag, im Militärkrankenhaus von Tunis gestorben. Sein Tod gefährdet die fragile Stabilität des einzigen Landes, in dem der Arabische Frühling zu einem demokratischen System geführt hat.

Der 92-Jährige – ältestes Staatsoberhaupt der Welt mit Ausnahme der britischen Queen – war schon länger krank gewesen. Nach Angaben seines Sohns Hafedh, der den Tod seines Vaters auf Facebook vermeldete, wurde er nach einer erneuten Verschlechterung seines Zustands in die Notfallstation des Militärkrankenhauses von Tunis eingeliefert, in der er bereits Ende Juni eine Woche verbracht hatte. Damals hatten schon mehrere Medien fälschlicherweise den Tod des Präsidenten gemeldet, nachdem der Pressestab des Präsdidentenpalasts mehr als zwei Tage lang geschwiegen hatte.

Essebsi war 2014 zum Staatsoberhaupt Tunesiens gewählt worden. Er hatte zu diesen Wahlen die ehemalige Staatspartei RCD des 2011 durch einen Volksaufstand gestürzten Diktators Ben Ali unter den Namen Nidaa Tounis neu gegründet, und ihr Wahlsieg setzte mehreren Jahren instabiler Regierungszeit unter maßgeblicher Beteiligung der gemäßigt-islamistischen Ennahda ein Ende.

Für manche seiner Kritiker verkörperte Essebsi auch eine Restauration des alten Regimes: Unter dem Vater der tunesischen Unabhängigkeit, Habib Bourguiba, war er nacheinander Innen-, Außen- und Verteidigungsminister gewesen, unter dessen Nachfolger zeitweise Parlamentspräsident. Nach Ben Alis Sturz im Arabischen Frühling hatte er als Übergangspremier die ersten freien Wahlen 2011 organisiert.

Wahlen müssen vorgezogen werden

Essebsis Amtszeit war schon fast abgelaufen. Im Frühjahr waren die nächsten Parlamentswahlen für den 6. Oktober und die Neuwahl des Präsidenten für den 17. November angesetzt worden. Nun führt laut Verfassung Parlamentspräsident Mohamed Ennaceur die Geschäfte – allerdings für höchstens 90 Tage, womit die Wahlen vorgezogen werden müssen.

Der 85-jährige Ennaceur, ein Parteifreund von Essebsi, gilt nach einem Schlaganfall als gesundheitlich angeschlagen. Das größte Problem aber: Die Vakanz der Staatsmacht, die die Machtübernahme durch den Parlamentspräsidenten ermöglicht, muss vom Verfassungsgericht festgestellt werden – und dieses Gericht gibt es acht Jahre nach dem Arabischen Frühling immer noch nicht.

Als Rivale Ennaceurs gilt Premierminister Youssef Chahed, der auch schon als Favorit für die Präsidentenwahl gehandelt worden ist. Essebsi wäre sowieso nicht mehr angetreten. Der 46-jährige Chahed hatte nach einem Streit mit Essebsis Sohn Nida Tounis verlassen und eine eigene Partei gegründet. Essebsi hatte Chahed für dessen Kooperation mit der Ennahda kritisiert.

Präsident Essebsi hatte Ende letzten Jahres die Ergebnisse der Expertenkommission „Colibe“ dem Parlament vorgelegt, mit der die Entkriminalisierung von Homosexualität und die Gleichstellung von Frauen im Erbschaftsrecht eingeführt werden sollte. Beide Vorschläge wurden aber von den Abgeordneten der Ennahda gestoppt.

Viele Probleme bleiben ungelöst

Ein ungelöstes Problem ist auch, dass mehrere Präsidentschaftsanwärter durch ein Parlamentsdekret gegen Quereinsteiger von der Wahl ausgeschlossen worden sind. Am härtesten trifft das Medienmogul Nabil Karoui, Besitzer des TV-Senders Nessma und in den Umfragen führend – er wäre der größte Rivale Chaheds bei den Wahlen.

Für manche seiner Kritiker verkörperte Essebsi auch eine Restauration des alten Regimes

Karoui will gerichtlich gegen seinen Ausschluss vorgehen. Da Essebsi eine im Juni eingebrachte Änderung des Wahlgesetzes noch nicht unterschrieben hat, ist dieses Verfahren in der Schwebe. Dazu kommt, dass Karoui selbst mit Gerichtsverfahren überzogen worden ist. Auch hier rächt sich nun, dass sich die beiden großen Konkurrenten Nida Tounis und Ennahda nicht auf die Modalitäten des Verfassungsgerichts einigen konnten.

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