: Staats-gewaltige Schlagkraft
■ Polizisten gingen mit Fäusten, Füßen und Fesseln gegen heulenden Ladendieb vor
Vor Gericht sitzen zwei mutmaßliche Schlägertypen. Die beiden Herrschaften sollen einen kleinen Ladendieb eines Paars Turnschuhe handfest und „unheimlich brutal“ vermöbelt haben, wie sich eine Zeugin noch zweieinhalb Jahre nach dem Vorfall empört erinnert: Noch während der angebliche Dieb bereits wehrlos vor dem Lieferanteneingang eines Bremer Kaufhauses kauerte, Rotz und Wasser heulte und sich verzweifelt das Tränengas aus den Augen rieb, bekam er angeblich Faustschläge ins Gesicht, wurde an den Haaren gezerrt und mit dem Gesicht auf die Gehwegplatten gestoßen.
Besonderer Umstand dieses Prozesses: Die beiden Angeklagten sind Beamte. Polizeibeamte. Anfang des Jahres wurden sie in erster Instanz wegen „gemeinschaftlicher Körperverletzung im Amt“ je zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen a 40 Mark verurteilt. Gegen das Urteil legten sowohl ihre Verteidiger wie die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Vor dem Bremer Landgericht wird der Prozeß seit gestern zum zweiten Mal aufgerollt.
Die schlagfertigen „Freunde und Helfer“ Thorsten S. und Roger J. sind sich bis heute keiner Schuld bewußt. Sie übten lediglich „physischen Zwang“ aus, um den Widerstand zu brechen, mit dem sich ein Verdächtiger seiner Festnahme entziehen wollte. Zwei Faustschläge ins Gesicht des Ladendiebs räumt der Streifenbeamte S. bereitwillig ein. Der erste sei fällig gewesen, nachdem Ladendieb L. - erfolglos versucht habe, ihn zu schlagen, der zweite, als der bereits am Boden liegende L. ihn am uniformierten Hosenbein gezogen habe.
Von solchem Widerstand gegen die Repräsentanten der Staatsgewalt wollen die gestern vernommenen Zeugen allerdings nichts bemerkt haben. Im Gegenteil: Sie hatten sich von den anrückenden Beamten eher den Schutz des mältrierten Ladendiebs vor den rüden Methoden zweier Kaufhausdetektive erwartet. Umso verdutzter waren sie, als die Beamten nach kurzem Gespräch mit den Kaufhausschützern umstandslos auf den hilflosen L. zugingen, um ihn weiter zu traktieren, dem am Boden liegenden das Bein des Gesetzes auf die Brust zu setzen, ihm schließlich Handschellen anzulegen und in den Streifenwagen zu schleifen. Spontan tauschten umstehende Passanten anschließend die Adressen aus, um gemeinsam Anzeige gegen die Beamten zu erstatten. Gestern, fast zweieinhalb Jahre später, konnten sie sich zwar nur schwach und zum Teil widersprüchlich an Einzelheiten des Polizeieinsatzes erinnern. Nur in einem waren sie sich einig: Thorsten S. und Roger J. gingen „brutal“, „rücksichtslos“ und „ruppig“ vor. Der Prozeß wird fortgesetzt.
K.S.
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