Staats-TV sendete nach Berlusconis Wünschen: Abhörprotokolle belegen Manipulation
Nicht nur Silvio Berlusconis eigene Sender, auch der Staatssender RAI manipulierte Nachrichten zu dessen Gunsten. Abgehörte Telefonate beweisen skandalöse Absprachen.
ROM taz Zensur, Manipulation, gar die Fälschung von Nachrichten? Clemente J. Mimun ging jedes Mal an die Decke, wenn er diese Vorwürfe hörte. Mimun war in den Jahren der Berlusconi-Regierung Chef der wichtigsten Nachrichtensendung des Landes, des auf dem Staatssender RAI ausgestrahlten "TG1". Aus seiner Zuneigung zu Silvio Berlusconi machte Mimun nie einen Hehl - bestand aber darauf, dass in seinem Telegiornale kein Gefälligkeitsjournalismus betrieben würde.
Gewiss, das "TG1" hatte im Juli 2003 als wohl einzige Nachrichtensendung Europas nicht die hässlichen Bilder vom geifernden Berlusconi gezeigt, als der im Europaparlament Martin Schulz als "Kapo" abmeierte. Gewiss, das "TG1" hatte vertuscht, dass Berlusconi bei der UN-Generalversammlung vor einem leeren Saal redete: Die RAI zeigte einfach Archivbilder von einem proppevollen Saal. Mimun aber bewertete das nicht als Gefälligkeiten: Er habe da "freie Entscheidungen" als Nachrichtenchef getroffen.
Jetzt bekannt gewordene Abhörprotokolle lassen ihn aber in anderem Licht erscheinen - als treuen Befehlsempfänger, mehr noch: als Teil eines systematisch organisierten Nachrichtenmanipulationsnetzes sowohl in der RAI als auch in Berlusconis Mediaset. 2002 hatte der damalige Regierungschef eine ihm treue Führung in der RAI installiert. Generaldirektor wurde Flavio Cattaneo. Ihm zur Seite stand Deborah Bergamini ("Direktorin für Marketing") - bis dahin Berlusconis persönliche Sekretärin. RAI 1 bekam Fabrizio Del Noce als Programmchef; der Journalist hatte vorher für Berlusconis Partei Forza Italia als Abgeordneter im Parlament gesessen. Und an die Spitze des "TG1" rückte mit Mimun ein Mann, der in Berlusconis Mediaset Karriere gemacht hatte.
Als die Staatsanwaltschaft Mailand in den Jahren 2004 und 2005 der Pleite eines Berlusconi-freundlichen Demoskopie-Instituts auf den Grund ging, hörten die Fahnder dann merkwürdige Telefonate mit, die jetzt von der Tageszeitung La Repubblica publik gemacht wurden.
April 2005: Papst Johannes Paul II. lag im Sterben, und zugleich standen Italien landesweit Regionalwahlen bevor. RAI-Marketing-Chefin Bergamini ruft einen Spitzenmann von Mediaset an, um die wegen der Papst-Agonie nötigen Programmumstellungen zu "koordinieren". In anderen Gesprächen gibt Bergamini als Marschroute aus, trotz des Papst-Sterbens sei ein Bild der "Normalität" zu vermitteln. Der Grund: Sie fürchtet, die katholischen Wähler könnten zu Hause bleiben und Berlusconi so eine Niederlage bescheren.
Die Wahlbeteiligung ging schließlich nicht zurück - Berlusconi aber erlitt eine herbe Schlappe. Doch die Maschine stand schon bereit: Mimun telefoniert mit Carlo Rossella, dem Nachrichtenchef von Canale 5 - der Sender ist eigentlich direkter Konkurrent der RAI, aber eben zu Berlusconis Mediaset gehörig. Die beiden versprechen einander, "als Mannschaft" zu spielen. Wie das Spiel geht, klärt derweil Frau Bergamini: Sie referiert am Telefon, Generaldirektor Cattaneo habe die Weisung ausgegeben, die Wahlergebnisse auf keinen Fall mit den Ergebnissen der Regionalwahlen fünf Jahre zuvor zu vergleichen. Bergamini dann weiter: Berlusconi "will, dass bei der Präsentation der Wahlergebnisse so viel Verwirrung wie möglich gestiftet wird, um ihre reale Tragweite zu verschleiern".
Damit die Niederlage wirklich unterm Teppich bleibt, geht der nächste Anruf wieder an Canale 5, mit der Bitte, der Berlusconi-Sender möge doch gegen die Wahlberichterstattung der RAI kurzfristig etwas möglichst Attraktives ins Programm heben.
Der letzte Kommentar der Marketingdirektorin: "Wir sind jetzt in der Hand der Kommunisten". "Kommunist" Prodi gewann dann 2006 tatsächlich die Parlamentswahlen. Doch die meisten von Berlusconis Dienern sind weiter in der RAI aktiv. Nur Mimun musste wechseln: Er ist nun Nachrichtenchef bei Canale 5.
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