Sri Lanka zwei Jahre nach dem Bürgerkrieg: Die tägliche Demütigung der Besiegten
Seit zwei Jahre ist der Bürgerkrieg im Norden von Sri Lanka vorbei. Vertriebene Tamilen kehren zurück. Die Regierung investiert Geld und schürt das Misstrauen.
KILINOCHI taz | Besonders begünstigt vom Leben war Sulthakaren Santhakumary nie, doch die Mutter von vier Kindern hat immer allen Widerwärtigkeiten getrotzt. Wenn sie und ihre Familie wieder einmal zwischen die Fronten der singhalesischen Armee und der Tamil Tigers geraten waren und ihren fragilen Alltag hinter sich lassen mussten, hat sie allen anderen Hoffnung gemacht und Mut zugesprochen.
Die letzten zwei Jahre des insgesamt knapp 30 Jahre währenden Bürgerkriegs waren jedoch selbst für die 39-Jährige zu viel. Noch heute bricht sie in Tränen aus, wenn sie von den Ereignissen damals erzählt: "Einmal war ich gerade dabei, in einem großen Topf Essen zuzubereiten, als wir unter Artilleriefeuer geraten sind. Sofort haben wir Schutz gesucht. Als ich zurückkam, lagen in dem Topf abgerissene Arme und Beine von Flüchtlingen, die nicht so viel Glück hatten wie wir."
Der letzte Akt dieses Krieges begann im Mai 2007, als die Armee eine Offensive gegen die Tamil Tigers startete, die den überwiegend von Tamilen besiedelten Norden der Insel beherrschten. Während der Kolonialzeit waren die Tamilen von den Briten protegiert worden, nach der Unabhängigkeit jedoch aus ihren Positionen verdrängt worden.
Innerhalb von 24 Monaten hatte die Armee 2007 alle Stützpunkte der Tigers eingenommen und die einstmals ebenso stolze wie skrupellose Guerilla aufgerieben. Den Preis zahlte die Zivilbevölkerung. Knapp 300.000 Menschen waren am Ende Flüchtlinge im eigenen Land, entwurzelt, traumatisiert, perspektivlos.
Inzwischen ist der Konflikt weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden. Die Tamilen stellen etwa 18 Prozent der gut 20 Millionen Einwohner Sri Lankas. Die singhalesische Regierung propagiert die Aussöhnung mit dem Norden, und sie pumpt viel Geld dorthin.
Rasche Wiederansiedlung
Auf den ersten Blick hat sie damit einiges erreicht. Nahezu alle Flüchtlinge sind inzwischen wieder angesiedelt. Mit Unterstützung zahlreicher ausländischer Hilfsorganisationen haben manche von ihnen sogar eine Perspektive wie nie zuvor in ihrem Leben, denn die Jüngeren haben niemals Frieden gekannt.
Noch etwa 5.000 Menschen sind in Lagern im äußersten Nordosten interniert, darunter 1.500 ehemalige Tiger-Kämpfer. Doch die meisten Kombattanten sind inzwischen wieder in die Gesellschaft eingegliedert; 11.000 Kämpfer fielen der singhalesischen Armee in die Hände. Ihre komplette Führung wurde liquidiert oder beging Selbstmord.
Der Bürgerkrieg begann 1983 mit einem Anschlag auf eine Kaserne. Fast drei Jahrzehnte dominierten die Liberation Tigers of Tamil Eelam den Norden der Insel, sie forderten einen unabhängigen Staat. 2007 gelang es der Armee, die Flotte der Tigers zu zerstören und sie damit vom Nachschub abzuschneiden. Am 19. Mai 2009 verkündete Präsident Rajapaksa das Ende der Kämpfe, die insgesamt knapp 100.000 Opfer gefordert haben.
Sri Lanka nennt sich offiziell "Demokratische Sozialistische Republik", hat jedoch mit Systemen wie in China oder gar Nordkorea nichts gemeinsam. Der Präsident wird unabhängig vom Parlament direkt gewählt und verfügt über eine sehr starke Stellung. Das Sozialwesen ist im Vergleich zu den Nachbarstaaten gut entwickelt, der politische Diskurs weit verbreitet; nur wer gegen den nationalen Konsens im Tamilenkonflikt verstößt und zum Beispiel Menschenrechtsverletzungen der Armee anprangert, hat mit Repressionen zu rechnen.
Aufgrund massiven internationalen Drucks machte die Regierung den Norden im November 2009 für Hilfswerke zugänglich und ermöglichte damit die rasche Wiederansiedlung von Vertriebenen.
Auch Sulthakaren Santhakumary gehört zu den Privilegierten, die in ihr Heimatdorf zurückkehren konnten. "Auf unserem alten Grundstück standen noch drei Mangobäume, alles andere war zerstört und verbrannt. Aber es war ein Hoffnungsschimmer, und wir haben etwas daraus gemacht."
Ein Haus und Saatgut
Stolz zeigt sie auf das, was ihre Familie seither geschafft hat. Mit Unterstützung von Sewa Lanka, einer Partnerorganisation der Deutschen Welthungerhilfe, bekamen sie Baumaterialien für ein neues Haus und Saatgut.
Heute kann Sulthakaren Santhakumary neben Mangos Zwiebeln, Chili, Bohnen und Kohl anbauen und auf dem Markt verkaufen. Und zum ersten Mal seit ihrer Kindheit ist es kein Provisorium, das sie beim nächsten Waffengang hinter sich lassen müssen.
Überhaupt boomt es im Norden. Neue Straßen entstehen, alte werden vergrößert, Ruinen verwandeln sich in imposante Gebäude. Dazwischen künden große Schautafeln in Singhalesisch, Tamilisch und häufig auch auf Englisch von der nationalen Versöhnung und dem Ende der Tigers, die in den Augen der Regierung nie etwas anderes waren als eine terroristische Vereinigung.
Die Tamilen haben Angst
Doch hinter den Kulissen zeigt die Erfolgsgeschichte Widersprüche. Auffällig ist die weit verbreitete Angst in den Gemeinden der Tamilen. Kaum jemand weint den Rebellen nach, denn deren Unversöhnlichkeit und Unwilligkeit, mit der Regierung ernsthaft über eine Autonomielösung zu verhandeln, hat nicht nur zu ihrem eigenen Untergang geführt, sondern ihnen auch die Sympathien der Menschen geraubt. Hinzu kamen Zwangsrekrutierungen unter Jugendlichen und Liquidierungen von Abweichlern.
Dennoch wird den Tigers zugutegehalten, dass sie ungeachtet ihrer Brutalität Träger der nationalen Identität der Tamilen waren - und die sehen viele heute ernsthaft bedroht. Zu dieser Identität gehört der Hinduismus, im Gegensatz zum landesweit dominierenden Buddhismus. Unter den neuen Bauten befinden sich viele buddhistische Tempel.
"Wir haben gewiss nichts gegen den Buddhismus, aber die Tempel, die hier gebaut werden, helfen den singhalesischen Soldaten, mit ihren Familien bei uns eine neue Heimat zu finden. Das ist kein Beitrag zur Versöhnung", beklagt ein alter Tamile, der nicht genannt werden möchte.
Die Männer fehlen
Auch einige buddhistische Mönche äußern vorsichtig Kritik. "Die Tigers haben den Tamilen die Jahre über erzählt, wir Mönche würden ihnen ihre Identität nehmen. Leider gibt es tatsächlich Mönche unter uns, die diese Vorbehalte bestätigen. Ich wünschte, sie würden sich etwas mehr in die Lage der Tamilen versetzen", meint Mangala, ein Mönch, der jugendliche Tamilen bei der Planung ihrer Zukunft berät.
Bei fast einem Viertel aller Familien bilden zurzeit Frauen den Haushaltsvorstand, weil die männlichen Erwachsenen tot oder geflohen sind. Dadurch fehlt ihnen buchstäblich der Beschützer, denn in der traditionellen hinduistischen Gesellschaft gelten alleinstehende Frauen, egal ob mit oder ohne Kinder, als Freiwild.
Unter der Hand hört man häufig von Übergriffen, an denen auch das Militär beteiligt sein soll. Doch niemand wagt es, offen darüber zu reden oder gar jemanden anzuklagen. Angst und Scham bilden eine Mauer des Schweigens. Nicht einmal Sulthakaren Santhakumary ist auf dieses Thema ansprechbar.
Nur die halbe Wahrheit
Die Hauptstadt der Tigers war Kilinochi, im Zentrum des Nordens direkt an der wichtigsten Straßenverbindung nach Jaffna. Teile des Stadtbildes werden noch heute von zerschossenen Ruinen beherrscht, doch entlang der Durchgangsstraße entstehen großzügige Neubauten.
Auf dem Markt ist das Angebot an Fisch und Gemüse beeindruckend, spielende Schulklassen in Uniform lassen die kriegerische Vergangenheit vergessen. Die Präsenz des Militärs ist noch stark, doch die Soldaten wirken entspannt; sie fühlen sich sicher im Herz des geschlagenen Feindes. Und so benutzt die Regierung Kilinochi auch in der Propagandaschlacht.
Kurz bevor die tamilischen Kämpfer im Januar 2009 ihre Hauptstadt aufgeben mussten, sprengten sie den großen Wasserturm, um die Versorgung zu unterbinden. Dieser barbarische Akt wird heute von der Regierung für ihre Propaganda genutzt.
Eine Ruine als nationale Gedenkstätte
Der umgestürzte Turm, als Ruine belassen, dient heute als nationale Gedenkstätte. Busgesellschaften aus dem Süden bringen täglich dutzende Singhalesen hierher, die völlig gefahrlos, aber mit leisem Schaudern die Verbrechen der Tamilen sich vor Augen führen können.
Nicht weit entfernt von dem zerstören Wasserturm erinnert ein weiteres monumentales Denkmal an den Sieg über die Tigers, und weiter nördlich, am Elefantenpass, dem immer schwer umkämpften Übergang zur Halbinsel Jaffna, sind die Heldentaten der singhalesischen Soldaten in überdimensionalen Schautafeln dokumentiert; etwa ein Leutnant, der sein Leben geopfert hat, um ein Selbstmordattentat eines Tiger-Kommandos zu verhindern.
All diese Ereignisse sind nicht erfunden, aber sie sind nur die halbe Wahrheit, denn gleichzeitig unterbindet die Regierung jede Auseinandersetzung mit den eigenen Gräueltaten. Darauf angesprochen lächeln die Tamilen verlegen und schweigen. Sie sind die Geschlagenen, und daran sollen sie jeden Tag erinnert werden.
An ihren Reaktionen wird deutlich, wie sehr sie derartige Demonstrationen der Sieger als Demütigung empfinden. Die Verbitterung darüber ist groß: "Natürlich sehen und begrüßen wir, dass sich die soziale Lage der Flüchtlinge erheblich verbessert hat", sagt ein religiöser Würdenträger, der seine Identität nicht preisgeben will.
"Aber eine wirkliche nationale Aussöhnung muss weitergehen. Sie muss uns unsere Würde belassen." Nur mit sozialen Errungenschaften kann die Regierung die Herzen der Tamilen nicht gewinnen - nationale Aussöhnung findet nicht statt. Eher zieht sie dadurch eine neue Generation von Tigern heran.
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