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Spur des Asphalts

Im Herzen des brasilianischen Regenwaldes wird der Ausbau der Schnellstraße BR-319 zwischen Manaus und Porto Velho zur globalen Klimafalle. Das hat auch Auswirkungen in Deutschland

Das Naturschutzgebiet Floresta Manaus grenzt direkt an die Häuser der Millionenstadt Manaus. Die mangelnde Stadtplanung und Eingriffe in die Natur haben die Flora und Fauna der Region durcheinandergebracht Foto: Raphael Alves

Aus Manaus Cley Medeiros

Am Tag nach Weihnachten steige ich in Humaitá in den Bus. Die Stadt liegt fast 700 Kilometer von Manaus entfernt, der Hauptstadt Amazoniens. Wir sind tief im Süden des brasilianischen Bundesstaats Amazonas – in einer Region, die als „Arco de desmatamento“, als Bogen der Entwaldung bekannt ist und Jahr für Jahr unter den Folgen von Landraub, illegalem Bergbau und Waldzerstörung leidet.

Die Fahrt nach Manaus dauert 24 Stunden in einem Überlandbus, der über den roten Schlamm der BR-319 holpert – einer fast 1.000 Kilometer langen „Schnellstraße“, die durch das Herz des brasilianischen Amazonaswaldes führt und überwiegend eine schlichte Sandpiste voller Schlaglöcher ist. Ich bin hier, um zu verstehen, wie ein während der Militärdiktatur gebautes, Ende der 1980er Jahre aufgegebenes und nun wiederbelebtes Straßenprojekt zu einem der Treiber des Klimawandels auf unserem Planeten werden konnte. Während die nördlichen und südlichen Enden der Straße asphaltiert sind, ist der 400 Kilometer lange mittlere Abschnitt immer noch eine ungeteerte Piste, und ihr geplanter Ausbau ist Gegenstand rechtlicher Streitigkeiten. In Erwartung des Projekts haben Abholzung und Brände aber bereits zugenommen.

Schon im Jahr 2024 hatten Satellitendaten gezeigt, dass der südliche Teil der Amazonasregion in der Nähe der BR-319 während der Brandsaison zwischenzeitlich sogar zur weltweit größten Quelle von Treibhausgasen geworden war. Da die Amazonasregion eine wesentliche Rolle bei der Regulierung des Weltklimas spielt, wirken sich klimatische Veränderungen vor Ort direkt auf das Wetter in anderen Regionen aus.

In Deutschland etwa haben Extremwetterereignisse auch zugenommen. Laut Deutschem Wetterdienst (DWD) hängt die Zunahme starker Niederschläge in Deutschland mit der sich verschärfenden Klimakrise zusammen. Was einst Ausnahmeereignisse waren, ist heute ein Symptom für ein aus dem Gleichgewicht geratenes System.

Dennoch interessiert die Klimakrise die deutsche Öffentlichkeit weniger als noch vor einigen Jahren. Im Jahr 2022 betrachtete etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung das Klima als nationale Priorität. Im Jahr 2024 sank dieser Anteil laut einer Umfrage der Alliance of Democracies Foundation auf unter ein Viertel. Derweil gönnt sich die Klimakrise keine Auszeit – und was 10.000 Kilometer von Berlin entfernt im Amazonas-Regenwald geschieht, trägt mit dazu bei, dass Ausnahmewetter zur neuen Klimanorm auch in Europa wird.

Während meiner Reise über die BR-319 sehe ich aus nächster Nähe, wie die Aktivitäten rund um die Straße zunehmen: Holztransporter und Lastwagen mit Waren für die Freihandelszone Manaus fahren jetzt nur wenige Meter vom Bus entfernt im Schritttempo vorbei. Brandspuren zieren die Straßenränder, an einigen Stellen sind erst kürzlich abgeholzte Flächen zu sehen, auf denen sich Baumstämme stapeln, und daneben provisorische Schilder mit der Aufschrift „Privatgrundstück“.

Lucas Ferrante, ein Forscher von der Universität des Bundesstaats Amazonas, sagt, dass der Amazonasregenwald einer der wichtigsten Kohlenstoffspeicher der Erde sei. Noch. Denn mit der andauernden Abholzung entlang der BR-319 könnte er diese Funktion verlieren. Das macht das Erreichen eines Kipppunkts wahrscheinlicher. „Das könnte das Leben in Städten wie Manaus unmöglich machen“, sagt Ferrante. Es gebe zwar einen Plan namens „BR-319 Sustentável“, also „nachhaltige BR-319“, der strengere Kontrollen und Überwachungsmaßnahmen vorsehe, doch Ferrante zweifelt an dessen Wirksamkeit. Das Bundesumweltamt Ibama und die Bundespolizei verfügen zudem nicht über ausreichende Ressourcen, und die Autobahnpolizei räumt ein, dass sie die Kontrollpunkte nicht vollständig besetzen kann.

Nach Angaben des Nationalen Ministeriums für Verkehrsinfrastruktur (DNIT) wird der Ausbau des rund 400 Kilometer langen mittleren Straßenabschnitts umgerechnet rund 61 Millionen US-Dollar kosten. Dazu kommen noch regelmäßige Instandsetzungskosten.

Auch indigene Territorien sind betroffen. Zwischen Humaitá und Manaus durchquert die BR-319 Gebiete, die traditionell von indigenen Völkern wie den Munduruku und Mura bewohnt werden. Die indigene Historikerin Márcia Mura von der Universität São Paulo (USP) kritisiert, dass seit der Eröffnung der BR-319 Mura-Gebiete besetzt und Dörfer von der Landkarte getilgt wurden. Schon während des Kautschukbooms zwischen 1879 und 1912 waren viele Mura gewaltsam vertrieben worden, und ihre indigene Identität ist im Laufe der Jahre weitgehend verloren gegangen. Unter der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 verschärfte der Bau der BR-319 schließlich illegale Landnahme und Landkonflikte.

Die Auseinandersetzung um die BR-319 hat auch den Kongress erreicht, wo Umweltministerin Marina Silva angefeindet wird. Sie will die Straße unter staatliche Kontrolle stellen und die betroffenen indigenen Völker vorab anhören. Im Kongress wird sie dafür von rechtsextremen Politikern beschuldigt, „den Fortschritt zu behindern“ – eine Rhetorik, mit denen rechte Netzwerke ihre Anhänger in den sozialen Medien mobilisieren. Auch in Deutschland versuchen rechte Kräfte wie die AfD, Umweltpolitik zu verunglimpfen.

Cley Medeiros ist ein brasilianischer Journalist aus Manaus. Er arbeitet für die Tageszeitung „A Crítica“ in Manaus.

Deutschland gehört andererseits zu den Ländern, die regelmäßig in den Amazonas-Fonds einzahlen, und es hat über das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bereits mehr als 65 Millionen Euro für den Waldschutz bereitgestellt. Ein Teil dieser Mittel fließt in das Amazonas-Schutz­gebiets­programm (ARPA), das Gebiete in sensiblen Bereichen wie der Umgebung der BR-319 unterstützt.

In der Praxis hat die deutsche Unterstützung Maßnahmen gegen Abholzung, für Umweltüberwachung und technische Schulungen für Manager und lokale Akteure ermöglicht, die sich für den Erhalt des Regenwalds einsetzen. Angesichts der Größe Amazoniens und der wenigen Zeit, die verbleibt, das Erreichen eines Kipppunkts zu vermeiden, dürfte diese Hilfe aber nicht ausreichen.

Als der Bus nach einer langen Fahrt Manaus endlich erreicht, frage ich mich, welche Zukunft die BR-319 wohl haben wird. Ohne strenge Umweltschutzmaßnahmen könnte der Ausbau der Straße den ökologischen Kollaps des Amazonasgebiets beschleunigen. Brasiliens Entscheidungen im Bereich der Infrastruktur stellen nun einen kritischen Klimatest dar – und die Zeit für einen Kurswechsel wird knapp.

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