Sprit aus Pflanzen: Tanken oder futtern?
Auf rund 10 Prozent der deutschen Äcker wachsen Pflanzen für Biotreibstoff. Ist er gut für die Umwelt? Oder verteuert er die Lebensmittelpreise?
BERLIN taz | Diese Debatte ist eine Zahlenschlacht. Es geht um Anbauflächen und Getreidetonnen. Doch wie immer lassen sich Zahlen, geduldig, wie sie sind, von jedem interpretieren, wie er’s braucht. So werden zwar auf rund 10 Prozent der Ackerflächen in Deutschland Pflanzen angebaut, die schließlich im Tank landen.
Doch werden sie teilweise auch als Futtermittel genutzt. So werden etwa 40 Prozent der deutschen Rapsernte zu Agrodiesel verarbeitet, 60 Prozent fressen Schweine und Co als Rapskuchen und Rapsschrot.
Die von Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) aufgefrischte Debatte über Agrarsprit müsste in Deutschland allerdings eher den Titel „Tortilla oder Tank“ tragen. Knapp 45 Prozent des deutschen Ethanols werden aus Mais hergestellt, danach folgen Weizen mit 25 Prozent und die Zuckerrübe mit 19 Prozent.
Seit die Mineralölkonzerne nur noch zertifizierten Pflanzenkraftstoff verwenden dürfen, um die gesetzlich vorgegebenen Beimischungsquoten zu erreichen, veröffentlicht die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung diese Zahlen detailliert. Demnach stammt knapp die Hälfte des verwendeten Maises aus Europa, der überwiegende Anteil aus den USA.
Beim heimischen Getreide ist Weizen der Hauptlieferant für die Ethanolproduktion, gefolgt von Gerste und Roggen. Rund 3,7 Prozent der deutschen Getreideernte landet im Agrosprit Ethanol. Das befindet sich nicht nur mit einem Anteil von 10 Prozent im Kraftstoff E10, sondern auch im klassischen Super-Benzin oder in ETBT, das dem Benzin zugesetzt wird, um dessen Klopffestigkeit zu erhöhen.
Unterschiedliche Verfahren
Die Mineralölkonzerne sind gesetzlich verpflichtet, ihren Kraftstoffen 6,25 Prozent Pflanzenkraftstoff beizumischen, und dies tun sie auf verschiedenen Wegen. Entweder mittels E10 – oder als Biodiesel auf Rapsbasis.
Benzin mit Ethanol-Anteil und Diesel sind dabei zu trennen, denn sie basieren jeweils auf unterschiedlichen Verfahren. Für Diesel werden Ölpflanzen verwendet – Raps, aber auch Soja oder, im Sommer, Palmöl. Für Ethanol werden zuckerhaltige Pflanzen benötigt, Getreide, die Zuckerrübe oder Zuckerrohr.
Während Europa lange vor allem auf Agrardiesel gesetzt hat, füllten die USA und Brasilien von Anfang an Ethanol in ihre Tanks. Fast 40 Prozent ihrer Maisernte verwenden die USA inzwischen für die Ethanolproduktion. Darum hat auch dort eine Debatte über den Biosprit begonnen.
Einen Verkaufsstopp von E10, wie ihn Niebel gefordert hat, hält die Biokraftstoffbranche allerdings für Unfug. Schließlich gebe es gesetzlich vorgeschriebene Quoten. Wenn die Mineralölkonzerne die nicht erfüllten, müssten sie Strafe zahlen.
„So einfach einstellen geht nicht“, sagt eine Sprecherin des Bundesverbandes der deutschen Bioethanolwirtschaft. Mit dem Hunger in der Welt habe Agrarsprit in Deutschland nichts zu tun, schließlich würden die Ethanolproduzenten keinen Weizen oder Mais verwenden, der sich zu Lebensmitteln verarbeiten ließe, der sei viel zu teuer.
„Es gibt einen weltweiten Getreidemarkt“, sagt hingegen Martin Hofstetter von Greenpeace. Er hat andere Zahlen im Kopf, wenn er an Agrarkraftstoff denkt: Einhundert Millionen Tonnen betrage die Weltreserve an Getreide derzeit, vor vier Jahren waren es noch 170 Millionen. „Das sind die niedrigsten Bestände seit zehn Jahren“, kritisiert er, „und das bei einer wachsenden Weltbevölkerung.“
Hühnerfutter wird Luxus
Auch Entwicklungsorganisationen kritisieren Pflanzenkraftstoff seit Langem, weil dessen Produktion den Druck auf die weltweiten Ackerflächen erhöhe. Zusammen mit einem steigenden Fleischkonsum in Schwellenländern wie Indien und China sowie der Spekulation mit Nahrungsmitteln führe das zu den Preisexplosionen, die in den armen Ländern zu Hungerkatastrophen führen können.
Dazu passt das Lamento der deutschen Geflügelzüchter. Diese klagen, die Preise für Mischfutter seien so hoch wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Für Soja müsse 75 Prozent mehr bezahlt werden als vor einem Jahr. „Da die Kosten für Futtermittel den überwiegenden Teil der Gesamtkosten bei der Versorgung der Tiere ausmachen, treiben diese exorbitanten Preissteigerungen die deutschen Geflügelerzeuger an den Rand des Ruins“, so der Verband.
Die Geschichte des Agarsprits, urteilt Hofstetter, sei eine Geschichte des politischen Versagens. „Die Politik hat genau das getan, was Auto- und Agrarindustrie von ihr verlangt hat.“ Den Bauern sei ein neuer Markt erschlossen worden, die Autoindustrie habe die Chance erhalten, den Treibhausausstoß ihrer Fahrzeugflotte zu senken, ohne sparsamere Autos anzubieten.
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