: Sprechen wird zum Kita-Alltag
Als erste Bezirke führen Tempelhof-Schöneberg und Spandau flächendeckend Sprachförderung in allen städtischen Kitas ein. Das Programm soll Entwicklungsstörungen vermeiden. Modellversuch verbesserte Deutschkenntnisse der Kinder deutlich
VON SABINE AM ORDE
Zwei Bezirke machen Ernst bei der Sprachförderung in Kindertagsstätten: Tempelhof-Schöneberg und Spandau führen ein wissenschaftlich überprüftes Sprachförderprogramm flächendeckend in allen städtischen Kitas ein. „Das hat das Jugendamt beschlossen“, sagte Angelika Schöttler, SPD-Jugendstadträtin in Tempelhof-Schöneberg, der taz. Ähnlich äußerte sich der zuständige Fachmann im Spandauer Jugendamt, Detlev Nagi. In beiden Bezirken soll die Arbeit bereits im ersten Halbjahr dieses Jahres beginnen. Schöneberg will mit den Dreijährigen starten. „Bei denen haben wir einen längeren Förderzeitraum als bei den Vorschulkindern“, sagt Jugendstadträtin Schöttler. Noch im Januar will sie alle Kitaleiterinnen informieren. „Jede Kita kann sich dann überlegen, wie schnell sie einsteigen kann.“ Einsteigen aber müssen alle.
In Tempelhof-Schöneberg gibt es 37 städtische Kitas mit insgesamt 4.800 Plätzen. Die Stadträtin will auch die freien Träger für das Förderprogramm gewinnen. Diese bieten im Bezirk über 7.800 Plätze. In Spandau soll das Programm in 25 Kitas mit rund 2.500 Plätzen eingeführt werden.
Das Programm, für das sich der Bezirk entschieden hat, hat zwei Vorteile: „Es ist kostengünstig und bringt in kurzer Zeit phänomenale Ergebnisse.“ Das sagt zumindest Elisabeth Ziemer, die grüne Gesundheitsstadträtin in Tempelhof-Schöneberg, die sich sehr für das neue Programm eingesetzt hat.
Der Schweizer Sprachwissenschaftler Zvi Penner hat das Förderprogramm gemeinsam mit der Charité und der Uni Potsdam entwickelt. Es richtet sich gleichermaßen an Kinder deutscher und nichtdeutscher Herkunft, die Sprachentwicklungsstörungen haben. Der Bedarf ist groß: Die Sprachstandserhebung „Bärenstark“ hat zuletzt gezeigt, dass fast die Hälfte der Berliner Vorschulkinder so schlecht Deutsch spricht, dass sie Förderung benötigt. Bei den Kindern nichtdeutscher Muttersprache sind es sogar 80 Prozent. Nach Beobachtungen von Kinderärzten nimmt die Anzahl der Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen weiter zu.
Das Programm ist im vergangenen Jahr fünf Monate lang in sechs Kitas in Schöneberg Nord und Spandau getestet worden. Auch Ravensburg und Offenbach haben es erprobt, Zürich setzt es bereits flächendeckend ein. Mit dem Berliner Modellprojekt haben sich die Deutschkenntnisse der Kinder innerhalb der fünf Monate deutlich verbessert. Überprüft wurden dabei das Frageverständnis, die Pluralbildung und die Artikelanwendung.
Nach Penners Konzept werden die Kinder in Kleingruppen von maximal acht täglich eine Viertelstunde lang gefördert. Spielerisch lernen sie zunächst den Wortrhythmus, der aus Penners Sicht der Dreh- und Angelpunkt der Sprachentwicklung ist. Später kommen Satzstruktur und Artikel, dann die Grammatik hinzu. Gelernt wird vor allem durch Wiederholen. Das Training übernimmt eine speziell fortgebildete Erzieherin. Die zweite Erzieherin betreut derzeit den Rest der Gruppe – das macht das Programm so kostengünstig. Zusätzliches Personal wird theoretisch also nicht gebraucht. Allerdings ist im Kitaalltag längst nicht mehr jede Gruppe mit zwei Erzieherinnen ausgestattet. Das könnte in der Praxis zum Problem werden.
Die Jugendämter werden das neue Programm aus dem laufenden Etat bezahlen. Wie groß die Gesamtsumme sein wird, weiß Jugendstadträtin Schöttler noch nicht. „Aber es geht um relativ wenig Geld.“ Das Material kostet 300 Euro pro Baukasten, hinzu kommen eine 12-stündige Fortbildung für die Erzieherinnen und die Kosten für die Coaches, die die Kitas beraten.
Auch andere Bezirke haben Interesse signalisiert. Im Hause von Bildungssenator Klaus Böger (SPD) dagegen hält man sich bedeckt. „Es gibt viele erfolgreiche Konzepte“, sagt Bögers Sprecher Kenneth Frisse, „und wir sind generell offen dafür.“ Zunächst aber habe sich die Bildungsverwaltung für einen anderen Weg entschieden.
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