piwik no script img

■ SportpolitikDer Aufstieg des Nestbeschmutzers

Duisburg/Pätz (taz/dpa) – Wegen seiner scharfen und beharrlichen Kritik an den Funktionären des deutschen Sports, zuletzt nach den Olympischen Spielen in Barcelona geäußert, wurde der Darmstädter Sportwissenschaftler Prof. Helmut Digel in den Kreisen der Betroffenen vorzugsweise als „Nestbeschmutzer“ tituliert. Seine provozierenden Thesen wurden in der Regel mit Kopfschütteln quittiert, seine Angriffe arrogant zurückgewiesen. Doch der Deutsche Leichtathletikverband (DLV) steckt in einer tiefen Glaubwürdigkeitskrise, hervorgerufen vor allem durch die Dopingproblematik, aber auch durch den Unwillen der Athleten, die sich von den Funktionären gegängelt und mißachtet fühlen.

Die alte Garde hat nun ausgedient, Helmut Meyer nahm seinen Abschied als Präsident, und die langjährige graue Eminenz der deutschen Leichtathletik, Sportwart Manfred Steinbach, zog ihre Kandidatur für Meyers Amt kurz vor dem 40. Verbandstag des DLV in Duisburg zurück. Einziger Kandidat für die Präsidentschaft war damit Helmut Digel, der mit 139 Stimmen bei 28 Gegenstimmen gewählt wurde. Der Feind der Funktionäre war zum Oberfunktionär aufgestiegen.

Der 49jährige Digel nannte den Kampf gegen Doping, den Aufbau in den neuen Bundesländern, die Förderung der Kinder- und Jugend-Leichtathletik sowie die Einbindung der Aktiven in die Entscheidungen zum Leistungssport als die wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre. Zu seinen Vizepräsidenten wurden Werner von Moltke (Wirtschaft/Marketing), Wolfgang Delfs (Kooperation/ Koordination), Theo Rous (Grundsatzfragen/Öffentlichkeitsarbeit) sowie Gudrun Löffler (Besondere Aufgaben/Aufbau Ost) gewählt.

Weil Digels Vorstellung, einen fünften Vizepräsidenten zu installieren, nicht mehrheitsfähig war, mußte Heide Ecker-Rosendahl auf eine Kandidatur für das Amt des Sportwartes verzichten. „Mein Angebot, dem DLV zu helfen, bleibt trotzdem bestehen“, erklärte die Doppel-Olympiasiegerin von 1972 und schlug dann selbst Rüdiger Nickel als Sportwart vor. Zum Nachfolger des Hanauer Rechtsanwaltes als Anti-Doping- Beauftragter wurde Rechtsanwalt Dieter Geyer (Erfurt/Gießen) berufen. „Wer erwischt wird, hat nichts zu lachen, ich bin scharf“, tat der 38jährige kund und kündigte an, daß er sich vehement für die Einführung des Bluttests einsetzen werde.

Eine faustdicke Überraschung gab es derweil bei der Tagung des Landessportbundes Brandenburg in Pätz bei Königs Wusterhausen. Mit einer Stimme Mehrheit wurde die Potsdamer Landtagsabgeordnete Renate Schneider (FDP) als erste Frau an die Spitze eines deutschen Landessportbundes gewählt. Damit scheiterte der Comeback-Versuch des der Stasi-Mitarbeit verdächtigten Gerhard Junghähnel, der bei der Verkündung der knappen Entscheidung (107:106) wie vom Donner gerührt war. Den ganzen Tag hatte es überwiegend Ergebenheitsadressen aus dem Plenum für den früheren Rektor der Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt und Rektor der Pädagogischen Hochschule Potsdam gegeben. „Ich gewinne“, hatte Junghähnel noch eine Stunde vor der Abstimmung beteuert. Nach dem Wahl-Schock will sich der 67jährige nun endgültig zurückziehen: „Ich strebe keine weiteren Ämter an.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen