: Sportlich gegen die Natur?
■ Geländegängige Fahrräder scheinen der Alptraum der Naturschützer zu sein. Massen von Radlern, so wird befürchtet, zerstören auf breiten Reifen die heile Bergwelt. Doch zieht es tatsächlich so viele Menschen...
Geländegängige Fahrräder scheinen der Alptraum der Naturschützer zu sein. Massen von Radlern, so wird befürchtet, zerstören auf breiten Reifen die heile Bergwelt. Doch zieht es tatsächlich so viele Menschen pedaltretend bergauf? VON GEORG SCHIMKE
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ann denn Radeln Sünde sein? Und ob es das kann! Dann nämlich, wenn sich das umweltfreundlichste Verkehrsvehikel plötzlich gegen die Natur richtet.
Bis Anfang der achtziger Jahre war die Radlerwelt und mit ihr das ökologische Weltbild noch in Ordnung. Die Grenzen waren klar und deutlich, jeder wußte, wo Schwarz und Weiß einzuordnen war. Und dann schwappte, quasi über Nacht, die unheilvolle Zweiradwoge über den großen Teich. Mountain-Bike war nun in aller Munde.
Zugegeben, es war faszinierend, die Bilder zu studieren, auf denen Geländefahrräder offenbar völlig neue Horizonte für begeisterte Radfans eröffneten. Über Stock und Stein ging es da, steilste Berghänge wurden erklommen, ja selbst die höchsten Alpengipfel wurden „erstbefahren“. Eine Sensation jagte die nächste. Bis, ja bis das Medienkarussell seine Runden deutlich langsamer drehte und dann den Akteuren die Ideen ausgingen. Die Testphase war abgeschlossen, die Stunde der Industrie schlug. Dankbar nahm die Masse den Lockruf auf. Einen Lockruf, der allerdings auch die Naturschützer auf den Plan rief.
Was, so ihre sicher begründete Angst, blüht jetzt der ohnehin schon lädierten Natur für neues Übel? Nicht nur die Fundamentalisten zeichneten ein Schreckensszenario einer wilden Horde, die sich, dick bereift, durch Biotope wälzt und sich durch nichts von ihrem Freizeitkreuzzug abhalten läßt. Nicht einmal auf eine gesetzliche Regelung durfte man hoffen. Und schon sprangen die Medien erneut an. Mangelndes Fach- und Szenewissen, gepaart mit einer gesunden Portion Wurstigkeit und Sensationslust, trieb manchen Lohnschreiber zu ungeahnten Phantasieleistungen an. Flüchtende Wanderer wurden da von Mountain-Bikern den Berg hinabgetrieben, verstörtes Wild stürzte auf der Flucht über Felsen in den Tod, Konflikte auf engen Bergwanderwegen zwischen Fußvolk und Radlern gipfelten in Handgreiflichkeiten, und am Horizont tauchte bereits der erste zarte Schimmer einer neuen Gefahr für den Wald auf.
Für den Außenstehenden war der Fall klar. Es mußte ein Verbot her. Und nicht nur eines, sondern gleich eine ganze Reihe. Endlich konnte man zeigen, daß man den Naturschutz ernst nahm. Wehret den Anfängen, schallte es durch den Blätter- und Nadelwald. Im Karwendelgebirge wurde eine Gesetzesregelung verabschiedet, die das Befahren von Forststraßen durch Radfahrer unter hohe Strafe stellte. Knapp 1.500 DM drohten dem Sünder. Billiger wurde es allerdings für Autofahrer, die sich auf verbotenes Terrain wagten. Sie kamen im Fall des Ertapptwerdens mit rund 100 DM davon. Na, klingelt's jetzt?
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ines der größten Ablenkungsmanöver im Umweltbereich der letzten Jahre wurde gestartet. Der Feind kam auf groben Stollen. Immer neue Argumente fand ausgerechnet die Seite, die sich vehement dagegen sperrte, dringend nötige Regulierungen vorzunehmen. Der Jägerschar schien der neue Radler- trend ein willkommenes Opfer zu sein. Eine Superchance für sie, vom Kernproblem des zu hohen und gehegten Wildbestands in den heimischen Wäldern abzulenken. Der für den Herrn Ministerpäsidenten bewachte Zwölfender machte doch schließlich nicht aus freien Stücken dem Jungwald den Garaus, sondern hielt sich nur aus Verzweiflung an das frische zarte Grün, da er von den Radlern ständig aufgescheucht wurde. Gegen die Wanderer hatten die Jäger ihre Wünsche nach einem Betretungsverbot des Waldes nicht durchsetzen können. Jetzt wittern sie Morgenluft, um mit einer neuen Argumentation gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können.
Konfrontiert mit den Tatsachen freilich sehen Pseudonaturschützer uralt aus. Vom Phantasiebild der alles niederwalzenden Horrorwoge bleibt nicht einmal ein Spritzen übrig. Dafür sorgt die Natur mit ihren Gesetzen von ganz alleine. Ohne Schweiß kein Preis. Die Zahl derer, die auf einem Fahrrad abseits von Wegen überhaupt noch fahren können, bewegt sich unterhalb der Promillegrenze. Und diejenigen, die die Kondition haben, tausend Höhenmeter auf einer steilen Forststraße aufwärts zu strampeln, ist noch geringer. Denn Bergaufradeln ist anstrengender als zu Fuß zu gehen, da man außer dem eigenen Körpergewicht auch noch die Masse des Fahrrads in die Höhe bewegen muß. Die Mehrheit der Radler neigt eher zur Bequemlichkeit. In den Bergen quer landein zu strampeln, ist genau so einfach, wie bei einsetzender Flut im Wattenmeer herumzufahren. Nur daß man im Gebirge tiefer fallen kann. Wer immer hier überhaupt radelt, ist über Forststraßen heilfroh und verläßt diese nie freiwillig.
Der große Boom für den neuen Markt — die Zahlenangaben über verkaufte MTBs bewegen sich inzwischen weit über der Millionengrenze — hat sich zum New-Wave-Trend entwickelt. Breit und stark ist „in“. Für die Rennradler, die bereits trotz ihres aufwendigen und buntleuchtenden Equipments in der papageienhaften Einheitsmasse unterzugehen drohten, taucht ein neuer Stern der Profilierungsmöglichkeiten auf. Das MTB als Zweitrad. Sportlichkeit zum Anschauen. Und sei es nur auf dem Dachträger des Sechszylinders. Ins Gelände muß der martialisch aussehende Drahtesel zum Glück nie. Er könnte ja schmutzig werden.
Daß es in den Bergen trotzdem zu Konflikten kommt, kann andererseits nicht verschwiegen werden. In Zermatt, dem bekannten autofreien Schweizer Nobelort am Fuße des berühmten Matterhorns, ist der Friede oft dahin. Denn zwischen den flanierenden Erholungssuchenden jagen die MTBler in wilder Hatz hin und her. Es sind genau die Typen, die sonst mit ihren breitbereiften Jeeps durch die Innenstädte von Ampel zu Ampel preschen mit einem Gesichtsausdruck, als hätten sie eine wichtige Botschaft zu überbringen. Auf den extra von der Gemeinde angelegten Spezialwegen in den umliegenden Bergen sieht man keinen einzigen Mountain-Biker. Ein schwacher Trost ist da nur, daß hier in Zermatt nur der eine Schicki den anderen Micki drangsaliert.
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nsider wissen schon lange, daß durch das MTB der Natur keine neue Bedrohung entstanden ist. Trotzdem, oder gerade deshalb, wird ein fast schon verzweifelter Medienfeldzug gegen Mountain-Bikes weitergeführt. Und das geht bei manch einem entweder tendenziös auf den Bayernstaat eingeschworenen oder einfach oberflächlich berichtenden Berufskollegen so weit, daß er sich hinreißen läßt, eine Meldung zu verbreiten, in der den Bergradlern die Zerstörung einer Forststraße angelastet wurde, über die sonst im Viertelstundenrhythmus Holzschwertransporter donnern. Dümmer geht's nimmer. Und dabei hätte der gleiche Kollege keine Mühe gehabt zu zeigen, wie eine in Jahrhunderten gewachsene Bergwiese aussieht, wenn eine EG-bezuschußte Schlachtviehherde hindurchgetrieben wurde. Illegal zwar, aber toleriert. Eine Geländewagenvorführung hätte das nie so gründlich zerwühlen können. Die Natur wird rasend schnell zu einer kostbaren Rarität. Die Nachfrage ist enorm, der Ellenbogenkampf um ein Stückchen Natur wird härter. Wehe dem, der da keine Lobby hat.
Georg Schimke ist Chefredakteur der in München erscheinenden Zeitschrift 'Alpin/ Bergwelt‘. Einer seiner Hauptarbeitsbereiche ist der ökologischen Problematik im alpinen Raum gewidmet.
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