Sportlerkarrieren und ihr drohendes Ende: Immer weiter, immer weiter
Wann aufhören? Wenn Sportlerinnen und Sportler die eigene Eitelkeit mehr zwickt als die völlig ramponierten Gelenke.

V om amerikanischen Schriftsteller Mark Twain ist der Satz verbürgt: „Mit dem Rauchen aufzuhören ist kinderleicht. Ich habe es schon hundertmal geschafft.“ Vielleicht tut man gut daran, auch bei aufhörenden Leistungssportlerinnen und -sportlern humoristische Gelassenheit zu üben. Denn hauptberufliche Körperertüchtigung ist ähnlich wie das Rauchen dem Reich der Süchte zuzurechnen.
Von dem Drang, Zeiten, Weiten, Punktwertungen und Treffer zu vergleichen, kommt man ebenso wenig los wie von dem rauschhaften Adrenalinkick, den einem nicht nur der Sport selbst, sondern auch die mit ihm verbundene öffentliche Aufmerksamkeit beschert.
So haben dieser Tage der Fußballer Martin Hinteregger und der Boxer Felix Sturm ihren Rücktritt vom Rücktritt bekannt gegeben. „Ich bin bereit, meine Geschichte weiterzuschreiben“, verkündete der 45-jährige Sturm. Und Hinteregger, eh erst zarte 32 Jahre alt, argumentierte zweieinhalb Jahre nach seinem letzten Profispiel fast wortgleich: Ihm sei klar geworden, dass seine Geschichte als Fußballer noch nicht zu Ende geschrieben ist.
Wann ist es wirklich Zeit, aufzuhören? Besondere Nachsicht verdient der Boxsport mit seinen unzähligen Comebacks. Zu den Eigenheiten des Faustkampfes zählt der Grundsatz, immer wieder aufzustehen und eben nie aufzuhören. So ließ sich der 58-jährige Mike Tyson kürzlich nicht lange bitten, für einen Showkampf wieder in den Ring zu steigen.
Weiter mit künstlichem Gelenk
Dass die eigene Eitelkeit viel mehr zwickt als all die Altersverschleißerscheinungen und ramponierten Gelenke und Bänder ist nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite ist zu beachten: Die Wiederauferstehung alter Zeiten lässt sich bestens vermarkten. Der Wintersport genießt gerade besondere Aufmerksamkeit, weil sich zwei ihrer Legenden nun wieder die Hänge hinunter schwingen. Der achtmalige Gesamtweltcupsieger und siebenmalige Weltmeister Marcel Hirscher, 35, ist nach fünfjähriger Abstinenz zurück. Auch wenn er bei den letzten beiden Rennen der Weltspitze weit hinterherfuhr, zählt er zu den Meistbeachteten. Sollte dazu die 40-jährige Lindsey Vonn nach gar fast sechsjähriger Pause wie geplant Mitte Dezember in den Weltcup einsteigen, dürften die Einschaltquoten weiter in die Höhe schnellen.
Ihre Entscheidung fällt völlig aus dem gewöhnlichen Rahmen, sie weist jedoch auf eine interessante Entwicklung hin. Vonn, die ihr rechtes Kniegelenk während ihrer Karriere komplett ruiniert hat, will nun mit einem künstlichen Gelenk Geschichte schreiben. Aus heutiger medizinischer Sicht ist das schierer Wahnsinn, weil die Haltbarkeit solcher Knieprothesen schon im Alltag begrenzt ist. Orthopäden bezeichnen den Entschluss als unverantwortlich. Vermutlich vertraut sie auf den Fortschritt der Medizin.
Die Medizin vor sportliche Herausforderungen zu stellen, das ist ohnehin das Ansinnen einiger libertärer Tech-Milliardäre wie dem Paypal-Begründer Peter Thiel. Ihnen schwebt ein Sport der Zukunft vor, der nicht von Dopingregeln oder Alterszipperlein beschränkt wird. Als Gegenmodell zu den Olympischen Spielen propagieren sie die Einführung der Enhanced Games („die verbesserten Spiele“).
Mediziner sollen versuchsweise am lebenden Objekt „Sportler“ Maximierungspotenziale ausschöpfen. Auf dieser Grundlage soll auch die Anti-Aging-Medizin revolutioniert werden. Die eigene Vergänglichkeit ist die größte Sorge dieser Milliardäre. Die Bereitschaft von Lindsey Vonn, die Qualität von Knieprothesen einem Leistungssporttest zu unterziehen, findet gewiss ihren Beifall.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung