Sporthistoriker streiten über Antisemitismus: Wissenschaftliche Watschn

War Carl Diem, Organisator der Olympischen Spiele von 1936 und Mitgründer der deutschen Sporthochschule, ein Antisemit? Darüber streiten Historiker und Sportwissenschaftler.

Untrennbar mit dem Antisemitismus verbunden: das Olympiastadion von 1936. Bild: ap

Regelmäßige Leser der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft werden sich verwundert die Augen gerieben haben beim Studium des Vorworts zur gerade erschienenen Ausgabe "Erinnerungspolitik oder kritische Forschung? Der Streit um Carl Diem". Da wird erklärt, was längst bekannt sein müsste. Das Heft fasst die Debatte um den Organisator der Olympischen Spiele 1936 und späteren Mitgründer der deutschen Sporthochschule in Köln noch einmal zusammen.

Und schon im Vorwort fühlt sich Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin und einer der Herausgeber der Zeitschrift, bemüßigt zu erklären, was eigentlich ein Antisemit ist. Der Historiker macht das für seine Kollegen aus der Sportwissenschaft. Die versuchen immer noch, den längst beschädigten Sockel zu reparieren, auf dem der von ihnen als "Begründer der deutschen Sportwissenschaft" verehrte Diem steht.

Einer der von Benz zurechtgewiesenen Sportwissenschaftler kommt in dem Heft zu Wort und verteidigt sein Urteil über Diem. Michael Krüger, der Leiter eines vom Deutschen Olympischen Sportbund mitfinanzierten Forschungsprojekts zu "Leben und Werk Carl Diems", steht zu seinem Urteil: Diem sei kein Antisemit gewesen.

An ihn und andere Diem-Hagiografen richtet sich Benz eigentlich doch so banale Erklärung: "Als Antisemiten stellt man sich nämlich den SS-Schergen auf der Rampe in Birkenau vor, der Juden ins Gas schickte – und diesem Bild entspricht der Mann mit judenfeindlicher Einstellung eben nicht, der die Überzeugung äußert, ,die Juden' hätten zu viel Einfluss in der Welt oder Juden seien zwar reich und geschäftstüchtig, aber ethisch mit typischen Makeln behaftet."

Demnach war Diem sehr wohl Antisemit, der sich wie viele seiner Zeitgenossen im Kaiserreich, der Weimarer Republik und in der NS-Zeit sicher war, vom Aussehen und dem Habitus seiner Mitmenschen auf deren "Rasse" schließen zu können. Ralf Schäfer, dessen Beitrag zu Diem im Handbuch des Antisemitismus viele Sportwissenschaftler so aufgebracht hat, schreibt in seinem Beitrag für die Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, dass sich Diems wilhelminischer Antisemitismus vom Rasseantisemitismus der Nazis sehr wohl unterschieden habe. Dass der Antisemit jüdische Freunde hatte, verwundert ihn nicht. Derer haben die Diem-Verehrer in den letzten Monaten jede Menge aufgezählt, um den Stammvater ihrer Zunft reinzuwaschen.

Gelungen ist ihnen das nicht so recht. Der DOSB, den Krüger und seine Mitstreiter als Auftraggeber des Forschungsprojekts an ihrer Seite wähnten, scheint nichts mehr wissen zu wollen von den wissenschaftlicher Jüngern Diems, des Managers der Olympia-Show 1936. Der Verband druckte in seiner Zeitschrift Faktor Sport deren Stellungnahme nicht ab, nach der Diem weder Rassist noch Militarist noch Antisemit gewesen sei. Sie präsentierte vielmehr die kritische Einschätzung Frank Beckers, der für das erwähnte Forschungsprokekt eine ausführliche Diem-Biografie ausgearbeitet hat, aus der er selbst ganz andere Schlüsse gezogen hat als die Projektleiter.

Denen, die den Antisemitismusvorwurf gegen Diem immer noch als "absurd" (Krüger) bezeichnen, scheinen nun die Argumente ausgegangen zu sein, und so drischt Michael Krüger, der an der Uni Münster lehrt, auf all diejenigen ein, die sich selbst als "kritische Sportwissenschaftler" bezeichnen. "Nicht zufällig nennen sich Ralf Schäfer und seine Kollegen ,kritisch'", schreibt Krüger, "weil sich ihr Geschichtsbild aus der neomarxistischen Frankfurter Schule speist."

Aus deren Schriften gehe hervor, dass sie immer noch "die Eliminierung alles Bürgerlichen anstreben". Wolfgang Benz watscht Krüger dafür schon in der Einleitung ab. Der von Krüger eingesandte Beitrag ziehe "die Niederungen der Polemik den lichten Höhen argumentativer Erörterung" vor.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.