Sportgroßveranstaltungen in Deutschland: Schlecht beraten
Sport und Politik arbeiten an einem Kozept für Riesenevents in Deutschland. Erste Entwurfe lassen nichts Gutes vermuten. Ein Gastbeitrag.
Das Bundesministerium des Innern und der Deutsche Olympische Sportbund wollen gemeinsam und strategisch zusammenarbeiten. Sie versuchen sich in einem ersten Schritt an einem „Grobkonzept für eine Nationale Strategie Sportgroßveranstaltungen“, wie es im Koalitionsvertrag formuliert ist. Da für große Tanker und ihre Feinjustierung auch gerne Schlepper zum Einsatz kommen, wurde das Wirtschaftsberatungsunternehmen PricewaterhouseCoopers beauftragt.
Von Ministerien ist man aufgrund fehlender Expertise derartige Alleskönner gewöhnt. Aber muss der vom CSU-Mitglied und Beinahe-Landrat Alfons Hörmann geführte DOSB auch noch bereitwillig den Bock zum Gärtner machen? PwC ist genau jener Laden, der vehement e-sports protegiert und damit die komplett gegenteilige Position zum DOSB einnimmt. Man reibt sich verwundert die Augen über so viel Ignoranz und ahnt für Teile der Konzeption nichts Gutes.
Obwohl bislang auserwählte ExpertInnen und Verbände mitarbeiten durften, liest sich das soeben erstellte Grobkonzept wie von zielstrebigen BWL- und Jura-AbsolventInnen formuliert. Eine Kostprobe gefällig? „Standortattraktivität, Investoren, Mehrwert, Lebenszyklus, Nutzen, Stadtrendite“. So zieht sich das durch die 14 Seiten Text. In dieser „Logik“ dürfen begriffliche Unschärfen ebenfalls nicht fehlen.
Nachhaltigkeit wird mit Langfristigkeit gleichgesetzt. Anstelle der Städte richtet plötzlich ausnahmslos Deutschland Großveranstaltungen aus und neben Sport, Politik, Verwaltung und Wirtschaft gesellt sich auf gleicher Stufe „die Gesellschaft“. Von der Wissenschaft, dem natürlichen Feind von BeraterInnen, ist keine Rede. Dafür ist Klarheit von Bedeutung oder, um Edmund Stoiber zu zitieren, „weil das ja klar ist“: „Formvorgaben, klar definierte Abläufe und immer und immer wieder klare und einheitliche Kriterien“. So ist die kleine Welt der BeraterInnen immer händelbar.
ist Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Westfälischen Hochschule Bocholt. Zuletzt erschienen: „Sportgroßveranstaltungen – Kritik der neoliberal geprägten Stadt“ (Springer VS 2020)
Das führt ohne weitergehende Begründungen bedauerlicherweise zu einigen Fehlschlüssen. Sport, Gesellschaft, Umwelt, Wirtschaft werden als gleichrangige Handlungsziele aufgeführt. Als ob da keine Antagonismen existieren und Sportgroßveranstaltungen nicht ein klein wenig überfordert würden. „Vielfalt des Sports“ ist eben nicht gleichzeitig mit „wirtschaftlichem Mehrwert“ kompatibel. Und nein, das Bruttoinlandsprodukt wird nicht erhöht, liebe KollegInnen von PwC. Bitte mehr Fachliteratur lesen!
Und noch was. Die Bevölkerung ist nicht begriffsstutzig. Den für Sportgroßveranstaltungen unterstellten Nutzen nehmen sie nicht „eingeschränkt wahr oder zweifeln ihn sogar an“, sondern sie wenden sich gegen den Missbrauch des Sports für gänzlich andere, sportfremde Zwecke. Dass dieser „Effekt noch durch kritische Medienberichterstattung“ befördert wird, ist anscheinend die schnappatmende Höhe für ein Medienverständnis, das auf Hofberichterstattung setzt.
Bis zur komplett ausformulierten Strategie ist noch bis Ende des Jahres Zeit. Als Anregung könnten etwa Kriterien wie Sport für alle oder Gemeinwohlorientierung sowie Festkultur Eingang finden. Dafür existiert sportfachliche, interdisziplinäre und hoffentlich durchsetzungsfähige Expertise. PwC ist lediglich eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja