Sportfunktionär Ronaldo: Rechtsausleger mit Riecher
Einst war er der beste Torschütze der Welt. Heute ist Brasiliens Ex-Star Ronaldo vor allem eines: ein populärer Konservativer, der gerne polarisiert.
RIO DE JANEIRO taz | Es war der 13. September 1994. Bayer Leverkusen empfing PSV Eindhoven und das Phänomen war zu Gast bei der Werkself. Das Phänomen trug die Rückennummer 9, ein blaues Hemd und eine blaue Hose und ging mit einem Hattrick vom Platz. Das Phänomen hieß Ronaldo und war 17 Jahre alt.
Gerade einmal 16.000 Zuschauer schauten sich dieses erste Vorrundenspiel des Uefa-Cups im Leverkusener Stadion an, das bekannt ist für seine schlechte Stimmung. Aber es war einer der jungen Potenzbeweise dieses brasilianischen Wunderjungen, der gerade mit einer Rekordtransfersumme von 9,5 Millionen D-Mark Europa erreicht hatte: Ronaldo Fenômeno.
Dieser Wunderjunge ist heute ein molliger Mann, der es in seiner Karriere zu einem Gastauftritt bei den Simpsons brachte und mit allen möglichen Modells und Schönheiten verheiratet war. In Brasilien spaltet dieser Mann seit Wochen die Bevölkerung. Als Ronaldo neulich mal wieder nach seiner Meinung zu den Protesten gefragt wurde, sagte er: „Was ich über die Vandalen denke? Mit dem Knüppel drauf einschlagen und runter von der Straße.“ Sofort erhielt er wieder Besuch. Demonstranten standen vor seinem Büro und schimpften über seine plumpen Positionen.
Dabei war Ronaldo doch eigentlich immer ein Süßer. Eine Unterfunktion der Schilddrüse, die zu einer Verlangsamung des Stoffwechsels führt, machte ihn schon zu Profizeiten zu einer Ausnahmeerscheinung, weil er so unathletisch wirkte, so angenehm dicklich. Dennoch ließ er mit seinen Monstersprints und Zauberschüssen alles hinter sich.
Es gibt wohl wenige Fußballer, denen so viele Erfolge zuzuschreiben sind wie dem Phänomen. Dreimal wurde Ronaldo zum Weltfußballer gewählt, zweimal zu Europas Fußballer des Jahres. Er spielte für Barcelona, Inter Mailand und Real Madrid. Und für die brasilianische Nationalmannschaft, für die er von 1994 bis 2011 auflief, schoss er insgesamt 98 Tore. Zweimal brachte er den Brasilianern den Weltmeistertitel mit nach Hause. Eigentlich müsste er vom dauernden Pokalhochhalten noch ganz lahme Arme haben.
Attacken auf die Regierung
Doch wenn die brasilianischen Medien heute auf den Superstar von damals verweisen, dann geht es selten um seine früheren Erfolge. Ronaldo Fenômeno ist zu einem der meistzitierten Fußballer Brasiliens avanciert. In den letzten Wochen verging kaum ein Tag, an dem der 37-jährige Mann, der seine einstige Karriere als Hallenfußballer im Norden Rio de Janeiros begann, nicht für irgendwelche Schlagzeilen sorgte. Besonders gern greift Ronaldo die Regierung an.
Das Phänomen, das 2011 seine Karriere in Brasilien beendete, hat heute viele Ämter. Er ist Botschafter der Fifa und sitzt im Aufsichtsrat des brasilianischen Organisationskomitees, das für die Ausrichtung der WM verantwortlich ist. Gerade erst überreichte Ronaldo dem 80-jährigen Exfußballer Just Fontaine den sogenannten Platin-Schuh der Fifa, eine bislang einmalige Auszeichnung, weil Fontaine bei der WM 1958 in Schweden gleich 13 Tore erzielte – bis heute unangefochten. Ronaldo konnte sich die Preisverleihung gefallen lassen, denn den Rekord von 15 WM-Toren insgesamt hält Ronaldo selbst.
Nun ist es ja wahrlich keine Seltenheit, dass einstige Fußballspieler in Brasilien später alle möglichen Ämter bekleiden. Romário, Ronaldos einstiger Zimmernachbar und Sturmpartner in Brasiliens Nationalelf, sitzt seit 2010 in der Abgeordnetenkammer des brasilianischen Nationalkongresses. Und es versteht sich, dass Edson Arantes do Nascimento, den die meisten Menschen nur als Pelé kennen, in seinem Leben natürlich auch Sportminister Brasiliens war.
Doch Ronaldos vielleicht bislang einflussreichstes Amt ist bislang noch ganz und gar informeller Natur: Er ist seit Wochen ganz offenbar dafür zuständig, den politischen Medienrummel in Brasilien anzuheizen. Eine typische Zeitungsseite von Konzernmedien wie der brasilianischen Tageszeitung O Globo sieht so aus: Oben ein Aufmachertext über Probleme der Regierung der linken Arbeiterpartei unter Staatschefin Dilma Rousseff. Darunter stehen oft Pläne oder Positionen ihres mächtigsten Herausforderers Aécio Neves, der bei den anstehenden Wahlen im Oktober am liebsten Dilmas Posten übernehmen würde – und quer über die Seite steht dann gerne noch ein Text, der dies oder das von Ronaldo wiedergibt.
Bloß nicht gegen die Fifa
Ronaldo schäme sich für sein Land, Ronaldo kritisiert die Bürokratie in Brasilien, Ronaldo beschuldigt die Regierung, Ronaldo sagt, es hätte nie so weit kommen dürfen. All das sind Slogans, mit denen sich etwa die Verlegerfamilie Marinho, die das Medienimperium Globo betreibt und zu den reichsten Familien Brasiliens zählt, ebenso wohl fühlen dürfte wie Dilmas Erzrivale Aécio Neves.
Nur eines hörte man von Ronaldo, dessen Sponsoringvertrag mit dem Sportausstatter Nike auf Lebenszeit ausgelegt ist und ihm schon einige Dutzend Millionen Euro eingebracht haben dürfte, bislang noch nicht: Ein kritisches Wort über die Fifa. Stattdessen sagte er: Deren Geduld sei in den letzten Jahren oft strapaziert worden.
Als im letzten Jahre Zehntausende von Menschen in Brasilien auf den Straßen standen, richteten sie ihre Wut auch gegen einen Satz Ronaldos, den er 2011 gesagt hatte: „Eine Weltmeisterschaft macht man mit Stadien und nicht mit Krankenhäusern.“
Vor einigen Tagen gab es wieder einen Text über Ronaldo bei O Globo. Diesmal las er sich besonders interessant. Denn darin stand nun, was seit Wochen schon so scheinen durfte: Bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober, so verkündete Ronaldo, werde seine Stimme an Aécio Neves gehen. „Er ist ein Freund von mir, ich vertraue ihm und glaube, dass er eine exzellente Option ist, das Land zu verändern.“ Für die Leser der Zeitung durfte sich das wie eine Wahlempfehlung lesen. Es war ja auch wieder allzu deutlich: Oben die Dilma-Probleme, unten die Aécio-Alternative, rechts in der Spalte die Lösung. Der Rechtsausleger mit dem guten Riecher wird schon wissen, wo es lang geht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“