Sport im Iran: Mullahs spielen nicht
Unterdrückung von Athleten und Athletinnen ist nichts Neues in Iran. Doch auch im Sport stellt sich nun die Machtfrage.
Es ist das jüngste Symbolbild für die Unterdrückung von Sportlerinnen und Sportlern sowie weibliche Sportbegeisterung in Iran. Das Foto der iranischen Sportkletterin Elnaz Rekabi, die ohne Schleier und mit frei wippendem Pferdeschwanz Mitte Oktober bei den Asienmeisterschaften in Seoul angetreten war, ging um die Welt. Mittlerweile steht die 33-Jährige wohl unter Hausarrest.
Vor Rekabis Foto hatte es schon andere Bilder gegeben, die von Repression berichteten, oft von tödlicher. Eines zeigte den im August 2020 hingerichteten Ringer Navid Afkari, dem die iranischen Behörden vorwarfen, bei einer Demonstration 2018 einen Sicherheitsbeamten erstochen zu haben. Wenige Monate später, im Januar 2022, wurde der Ringer Mehdi Ali Hosseini aufgrund seiner Teilnahme an einer regierungskritischen Demonstration gehängt. Auch der Boxer Ali Mutairi wurde im Januar dieses Jahres vom Regime hingerichtet.
Seit ihrer Machtübernahme vor über 40 Jahren unterdrückt Irans Führung auch Sportler und Sportlerinnen. Als im Februar 1979 die Islamische Revolution gesiegt hatte, übernahm die neue Regierung sofort die Kontrolle über das gesamte Sportgeschehen des Landes. Der Frauen- und Mädchensport wurde zunächst komplett verboten, später teilweise erlaubt. Frauenfußball, in den Siebzigern populär, wurde erst in den Nullerjahren zögerlich wieder zugelassen.
Die verbliebenen Männervereine wurden dem Militär, den Sicherheitskräften oder Ministerien zugeordnet. Die Profifußballliga wurde abgeschafft und durch Provinzmeisterschaften ersetzt, deren Gewinnerteams dann um den Landesmeistertitel spielten. Äußeres Zeichen dieser Übernahme waren zwangsweise Namensänderungen: Aus dem bekanntesten Fußballverein des Landes, Persepolis Teheran, wurde Pirusi („Sieg“), allerdings nur bis 2012, aus Taj Teheran wurde Esteghlal („Unabhängigkeit“). Wesentlich mehr Sportpolitik gab es in der Islamischen Republik nicht.
Nicht geflüchtete ehemalige Sportfunktionäre lebten zudem gefährlich: Ali Hojjat Kashani, während des Schahregimes für die Asienspiele 1974 in Teheran mitverantwortlich, wurde im April 1979 nach eintägigem Massenprozess hingerichtet. Verteidiger, entlastende Zeugenaussagen oder Revisionen gab es nicht, die Exekutionen fanden sofort nach den Urteilen statt. Der Richter warf ihm unter anderem vor, mit der Sportförderung „die Jugend in die Irre geführt“ zu haben.
Der mehrmalige iranische Ringermeister Hooshang Montazeralzohoor wurde 1981 verhaftet und von einem Exekutionskommando erschossen, weil er Mitglied der Volksmudschaheddin gewesen sei.
Die ermordete Nationalspielerin
Auch Foruzan Abdi war 1981 mit dieser Begründung verhaftet worden. Die Kapitänin des Volleyballnationalteams wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, jedoch nach Haftende nicht freigelassen. Mitgefangene berichteten später, dass Adbi sich für die Rechte der Gefangenen einsetzte und sogar Volleyballturniere für sie organisieren konnte. 1988 wurden auf Weisung von Ajatollah Khomeini binnen fünf Monaten 30.000 politische Gefangene hingerichtet. Foruzan Abdi, damals 31 Jahre alt, gehörte zu den Opfern.
Unter den Exekutierten war auch der Fußballer Mahshid Razaghi, Mitglied der Olympiaauswahl, die sich 1980 für die Spiele in Moskau qualifiziert hatte, aber boykottbedingt nicht antrat. Razaghi war wegen des Verkaufs regierungsfeindlicher Zeitungen verhaftet und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden, kam wie Abdi jedoch anschließend nicht frei.
Der Fußballnationalspieler Habib Khabiri wurde 1983 verhaftet. Angeblich war auch er Mitglied der Volksmudschaheddin. 1984 ließ ihn das Regime hinrichten.
Plötzlich wird ein bisschen Sport erlaubt
Die Haltung der Mullahs gegenüber dem Sport änderte sich erst Ende der achtziger Jahre. Sie erkannten, „dass die nach der Revolution verfolgte Politik, alle Formen der Unterhaltung zu verbieten, zum Scheitern verurteilt war“, wie es in einem Papier von Sportwissenschaftlern der Universität von Mazandaran heißt.
1993 wurde ein dritter Fernsehkanal eingerichtet, der vor allem Sport überträgt, dazu gibt es fast ein Dutzend Sportzeitungen. Gleichfalls 1993 fanden erstmals in Teheran die „Islamspiele der Frauen“ statt. Zur letzten Auflage dieser Spiele 2005 kamen 1.316 Sportlerinnen aus 44 Ländern, auch aus Deutschland, Großbritannien und den USA.
Die langsame sportliche Öffnung lässt sich auch am Beispiel der Fußballnationalmannschaft der Männer zeigen: 1982 sagte die politische Führung des Iran die Qualifikationsspiele zur WM in Spanien ab. An der Quali zur WM 1986 in Mexiko nahm das Land nicht teil, weil es sich geweigert hatte, zu Spielen anzutreten, die die Fifa wegen des Iran-Irak-Kriegs auf neutralen Boden verlegt hatte. Für die WM 1990 in Italien und 1994 in den USA konnte sich das iranische Team nicht qualifizieren. Dass Spiele der 94er-WM im TV übertragen wurden, sorgte innerhalb des Regimes für Auseinandersetzungen. Das staatliche Fernsehen mache Propaganda für das verhasste Amerika, hieß es.
1998 in Frankreich war Iran endlich bei einer Fußball-WM vertreten. Vielleicht war der international viel beachtete 2:1-Sieg des Teams über die USA bei dieser WM die Initialzündung, jedenfalls setzte das Regime etwa ab der Jahrtausendwende verstärkt auf internationale Repräsentanz, vor allem im Fußball und bei olympischen Sportarten. Ministerien und Behörden wurden geschaffen, Zuständigkeiten neu definiert und hin- und hergeschoben. Die Regierung suchte nach einem Weg, im Sport Erfolge zu feiern und zugleich ihr Regime und seine aggressive Außenpolitik zu stützen.
Als 2004 bei den Olympischen Spielen in Athen dem Judoweltmeister Arash Miresmaeili als Gegner der Israeli Ehud Vaks zugelost wurde, trat der haushohe Favorit aus Iran nicht an. Miresmaeili sei „ein Quell des Stolzes für das Land“, lobte ihn Staatspräsident Mohammad Khatami. Ähnlich wurde der Sport 2008 in Peking instrumentalisiert: Der iranische Schwimmer Mohammad Alirezaei weigerte sich, mit einem israelischen Schwimmer das Becken zu teilen. Das IOC reagierte auf diese antisemitischen Boykotte nicht, weder die iranischen Sportler noch die Funktionäre wurden bestraft.
Verbände üben Nachsicht
Mit Nachsicht reagieren die internationalen Sportverbände seit Jahrzehnten auf die iranische Unterdrückung von Frauen. Seit 1979 ist es ihnen verboten, bei Männerfußballspielen zuzuschauen, 2012 wurde das Verbot auf Volleyballmatches ausgedehnt. Als 2014 die britische und iranische Staatsbürgerin Ghoncheh Ghavami ein Männervolleyballspiel sehen wollte, wurde sie zu einem Jahr Haft verurteilt.
Gerade im Fußball sind die – oft erfolgreichen – Versuche von Frauen, sich Zugang zu Männerspielen zu verschaffen, von enormer politischer Bedeutung. Als sich die Männerelf 1998 für die WM qualifizierte, nutzten 5.000 Frauen die chaotische Situation, um das Stadion, in dem die Elf geehrt wurde, zu stürmen. Während 2018 Fifa-Präsident Gianni Infantino gemeinsam mit Staatspräsident Hassan Rohani das Teheraner Derby besuchte, wurden vor dem Stadion 35 Frauen verhaftet. Bei der Fußball-WM 2018 hatten etwa 500 Iranerinnen durch einen Sitzstreik erreicht, dass sie bei einem Public Viewing im Teheraner Azadistadion das WM-Spiel Iran–Spanien sehen durften. Andere iranische Frauen waren gleich zum Austragungsort, in das etwa 2.000 Kilometer entfernte russische Kasan gereist.
Diese Erfolge mutiger Frauen führten allerdings nicht zu dauerhaftem Sportzugang. 2020 wurde die frühere Vizestaatspräsidentin, Shahindokht Molaverdi, zu 30 Monaten Haft verurteilt. Unter anderem hatte sie sich für das Recht von Frauen eingesetzt, bei Sportveranstaltungen zuzuschauen.
Ein Jahr zuvor hatte sich die 29-jährige Sahar Khodayari aus Protest selbst verbrannt, nachdem sie als Mann verkleidet ein Spiel ihres Lieblingsklubs Esteghlal Teheran besuchte und festgenommen wurde. Ihr drohte eine Haftstrafe wegen „Beleidigung der öffentlichen Ordnung“. Bilder der wegen ihrer blauen Vereinskleidung „dochtare abi“, „das blaue Mädchen“, genannten Frau gingen um die Welt. Vor dem nächsten Ligaspiel betrat das Team von Esteghlal mit T-Shirts, auf denen der Schriftzug „dochtare abi“ und ein blaues Herz zu sehen waren, das Stadion. Solche Formen der Solidarität männlicher Spitzenfußballer gibt es auch bei den aktuellen Protesten der iranischen Frauenbewegung.
Zugeständnisse, doch Proteste gehen weiter
Nun versucht das Regime, den aktuellen Frauenprotesten mit sportlichen Zugeständnissen die Kraft zu nehmen. Ende August wurden erstmals 30 Prozent der Plätze für die Partie Esteghlal Teheran gegen Mes Kerman Frauen vorbehalten. 28.000 Zuschauerinnen durften das Match sehen. Das iranische Sportministerium verkündete, falls das Ergebnis positiv sein sollte, werde man demnächst auch in anderen Städten Frauen Zutritt in die Stadien gewähren.
Dass solche halbherzigen und nur auf enormen Druck erfolgenden Schritte ein Ende der Repression ankündigen, lässt sich nicht behaupten. Nicht nur der Hausarrest für die Sportkletterin Elnaz Rekabi zeugt davon.
Die iranische Frauenrechtsgruppe Open Stadiums fordert von der Fifa den Ausschluss des iranischen Teams von der WM in Katar. Wenn die WM mit dem Teilnehmer Iran angepfiffen wird, sind sich die Frauen sicher, wird nämlich wieder Schluss sein mit den kleinen Lockerungen für weibliche Fans in Iran.
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