Spitzenpolitikerinnen über Sexismus: Unter Männern
Der Frauenanteil im Bundestag liegt nur noch bei 32,4 Prozent. Wir haben Politikerinnen gefragt, wann ihr Geschlecht im Alltag eine Rolle spielt.
„Die richtig schlimmen Kommentare zeige ich an“
Es gibt immer wieder Momente, da merke ich, dass ich als Frau anders behandelt werde als meine männlichen Kollegen. Wie oft ich online, in den Medien oder im Plenum des Bundestags für mein Aussehen oder mein Auftreten angegangen werde – so was habe ich bei einem Mann noch nicht erlebt. Mir ist zumindest kein Politiker bekannt, der während einer Rede im Bundestag gefragt wurde, ob er sich mal was Ordentliches anziehen kann.
Aber nicht nur im Plenum selbst, vor allem auch online meinen viele Menschen mir mitteilen zu müssen, dass sie meine Kleidung nicht mögen oder ihnen mein Gesicht nicht passt. „Die sieht total verbraucht aus.“ „Die ist voll hässlich.“ „Sieht extrem scheiße aus.“ „Ganz schöner Zinken.“ Das sind nur ein paar Beispiele, was ich da so lesen muss. Dass sich selbst ernannte Konservative, Liberale und Rechte über meinen Pony („Problem-Pony“) aufregen, bin ich schon gewohnt. Ich finde das ziemlich niveaulos und einfach nur lächerlich. Besonders absurd wird es, wenn eine große Zeitung wie die Welt kein besseres Thema hat als einen gesamten Artikel über meine Kleidung und mein Aussehen zu schreiben, der natürlich ein kompletter Verriss ist. Da frage ich mich schon, ob es nichts Inhaltliches gibt, worüber wir diskutieren können.
Man kann auch nach jeder Rede von mir die Uhr danach stellen, dass Leute in meinem Büro anrufen oder Mails schreiben und mir den „gut gemeinten“ Ratschlag geben, doch bitte anders zu sprechen, weil man mich dann besser verstehen würde. Wir können gern über die Inhalte meiner Reden diskutieren, aber mir zu sagen, ich solle mich zügeln und nicht so emotional sein, zeigt doch genau, welches Geschlechterbild dahintersteckt: Die Frau soll sachlich, ruhig und brav ihre Argumente vortragen, sonst ist sie eine hysterische Furie und kann nicht ernstgenommen werden. Und dabei soll ich dann auch noch makellos aussehen.
Ich bin ja sehr aktiv auf Tiktok, und sobald meine Videos die übliche Bubble verlassen, kommen auch die sexistischen und widerlichen Kommentare über mein Auftreten. „Die muss mal wieder richtig durchgefickt werden, damit sie sich nicht so aufregt.“ Ich bin da mittlerweile echt abgestumpft und nehme das nicht so ernst. Aber die richtig schlimmen Kommentare melde ich oder ich zeige sie an, denn ich muss mir nicht alles bieten lassen. Vor allem auch, weil die Kommentare unter meinen Videos ja auch von so vielen jungen Frauen gelesen werden und ich nicht möchte, dass sie dadurch ebenfalls runtergezogen werden.
„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ Zum feministischen Kampftag am 8. März wird die wochentaz zur Frauentaz. Auf 52 Seiten blicken wir auf das gesamte Leben einer Frau – von der Geburt bis zum Tod. Auf taz.de widmen wir uns dem Thema ganze drei Tage.
Ich werde oft gefragt, wie es als junge Frau in der Politik ist und auch wie man sich selbst politisch engagieren kann. Ich muss dann leider immer antworten, dass man in dieser Hinsicht echt ein dickes Fell braucht. Denn auch wenn man die ganzen Kommentare und Beleidigungen ignoriert, dann ist es trotzdem einfach eine große Ungerechtigkeit, dass wir Frauen da anders behandelt werden. Ich versuche einfach nur, anderen ein gutes Vorbild zu sein, mich nicht auf diese Diskussionen einzulassen und vielleicht auch so ein bisschen den Diskurs zu einem freundlicheren Umgang miteinander zu verschieben.
Heidi Reichinnek ist Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Bundestag
„Politik ist auch heute noch männerdominiert“
Das ist eine LandRATswahl, da müssen wir doch mit einem Mann antreten.“ Kein Scherz, das Argument habe ich vor vielen Jahren wirklich gehört. Es war auch kein Plädoyer fürs Gendern, sondern ernst, wenn auch überhaupt nicht böse gemeint.
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Machen wir uns nichts vor: Politik ist in der Vergangenheit und manches Mal auch heute noch männerdominiert. Übrigens: Die weibliche Kandidatin hat die Wahl damals gewonnen und wurde LandRÄTIN. Als Frau in der Politik war ich übrigens recht oft von einer weit überwiegenden Mehrzahl von Männern umgeben. In vielen Bereichen, aber noch nicht überall, hat sich das geändert. Als ich Verkehrsministerin wurde, war ich zum Beispiel die einzige Frau unter allen Länderkollegen. Das hat sich mittlerweile verändert. Aber das Bundesverkehrsministerium wurde bis heute noch nie von einer Frau geführt. Wie übrigens auch das Familienministerium noch nie von einem Mann geführt wurde.
Aber ich war als Wirtschaftsministerin auch häufig bei großen Wirtschaftstreffen, vor allem im Industriebereich. Da kam es immer wieder vor, dass ich – abgesehen von Servicekräften – die einzige Frau im Raum war. Mir war und ist das Ansporn, Frauennetzwerke zu schaffen, sich auszutauschen und Kontakte zu knüpfen. Ich bin deshalb zum Beispiel sehr froh, dass meine Partei immerhin zwei Ministerpräsidentinnen stellt (kurzzeitig waren es sogar schon mal vier), während die Union nur Männer hat.
Anke Rehlinger (SPD) ist Ministerpräsidentin des Saarlands und Bundesratspräsidentin
„Frauenfeindliche Zwischenrufe sind keine Seltenheit“
Es ist doch bezeichnend, dass die Frage danach, ob das Geschlecht in der Politik eine Rolle spielt, immer noch gestellt wird. Damit ist die Frage eigentlich schon beantwortet: Ja, das Geschlecht spielt eine Rolle. Leider sind wir noch nicht so weit, dass sich diese Frage gar nicht erst stellt.
In meinem Alltag begegnen mir häufig Beispiele, die das bestätigen. In der vergangenen Legislatur musste ich im Plenarsaal des Deutschen Bundestags direkt neben den Abgeordneten der AfD sitzen und habe daher sehr genau mitbekommen, wie sich diese gegenüber Frauen verhalten haben. Interessanterweise kamen sexistische Aussagen aber nicht nur von den männlichen Abgeordneten, sondern auch und teilweise gerade von den weiblichen. Aussagen, die mich oft sehr erschüttert haben. Aussagen, mit denen sie versuchen, uns beim Thema Gleichstellung zwischen Mann und Frau, um Jahrzehnte zurückzuwerfen. Es gibt Dutzende Beispiele dafür, dass Frauen von der AfD nur aufgrund ihres Aussehens kritisiert und angegangen wurden. Der Ton im Deutschen Bundestag hat sich massiv verschärft. Frauenfeindliche Zwischenrufe sind keine Seltenheit. Das ist nicht akzeptabel. Dem müssen wir entschieden entgegentreten und einen Riegel vorschieben.
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Der Internationale Frauentag ist eine gute Möglichkeit, um auf diese Missstände aufmerksam zu machen. Eigentlich sollte jeder Tag dazu genutzt werden. Und auch wenn sich bereits vieles zum Positiven verändert hat, sind wir noch lange nicht dort angekommen, wo wir sein sollten. Die Gleichstellung von Mann und Frau bleibt weiterhin eine der großen Herausforderungen. Ich bin dennoch zuversichtlich, dass der Tag kommen wird, an dem die Frage nach dem Geschlecht keine Rolle mehr spielen wird.
Dorothee Bär ist stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion
Lesen gegen das Patriarchat
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