Spitzenpolitikerin Barley auf Twitter: Gegen grassierende Politikverachtung
Die SPD-Generalsekretärin Katarina Barley diskutiert auf Twitter ausführlich mit den Bürgern. Auch mit Trollen. Warum tut sie sich das an?
Barley, 47, gut 3.300 Follower, widerspricht zum Beispiel sexistischer Häme, die auf die neue Weinkönigin von Trier zielt, die aus Syrien stammt. Sie kritisiert gewalttätige Hooligans und geißelt linke Prügler als „hirnlos“. Als ein Nutzer ihre Geduld mit Hetzern lobt, schreibt sie zurück: „Wenn solche Aussagen unwidersprochen bleiben, werden sie Normalität.“
Dazu muss man sagen: Generalsekretärin der SPD zu sein, ist wirklich kein Teilzeitjob, eigentlich hat Barley freie Sonntage nötig. Sie ist die Chefin des Willy-Brandt-Hauses, sie bereitet den Bundestagswahlkampf vor, gleichzeitig sitzt sie im Parlament. Ihre Tage sind dicht getaktet.
Warum unterhält sich eine Spitzenpolitikerin im Dauerstress mit völlig Unbekannten, die sie beschimpfen? „Wir Sozialdemokraten sagen, wir müssen nah bei den Menschen sein“, sagt Barley. „Tja, dann muss man es auch machen.“ Auf Trolle, die nur rumstänkerten, reagiere sie übrigens nicht. Sie sei ja nicht masochistisch veranlagt.
Barley steht in ihrem Büro im Willy-Brandt-Haus aus der Sitzecke auf. Es ist stickig, sie regelt die Klimaanlage ein paar Grad herunter. Ein Gespräch über Chancen des Diskurses im Netz ist verabredet, vielleicht auch eines über seine Grenzen.
Freundlich im Ton, klar in der Sache
Barley ist erst seit gut einem halben Jahr auf Twitter aktiv. In ihrem ersten Tweet gratulierte sie dem SPD-Urgestein Hans-Jochen Vogel zum 90. Geburtstag, im Februar war das. Seitdem hat sie knapp 650 Kurznachrichten geschrieben, maximal 140 Zeichen, mehr passt nicht rein. Sie hat die irritierende Angewohnheit, mit BürgerInnen wirklich zu diskutieren. Sie reagiert auch auf absurde Anwürfe. Freundlich im Ton, klar in der Sache.
Barley ist damit eine Ausnahme. Twitter, wo sich Politiker, Journalisten und netzaffine Bürger tummeln, ist ein Marktplatz der Eitelkeiten. Der Dienst verführt zum flotten Witz, zu Häme und zum Selbstmarketing. Für ernsthafte Streite taugt Twitter eigentlich nicht. Aber Barley probiert es immer wieder, mal mit mehr Resonanz, mal mit weniger.
Meist ist ihr abgegriffenes iPhone 6 stumm geschaltet, der Sitzungen wegen, erzählt sie. Aber wenn sie zwischendurch Ruhe hat, etwa bei Autofahrten, scrollt sie durch ihre Timeline und tippt los. Die Reaktionen sind gemischt: Ein User kritisiert, sie gebe den Verschwörungswichteln eine Plattform. Ein anderer bewundert ihre Ausdauer in scheinbar unnützen Dialogen. Oft klingt Verblüffung durch.
„Wie kommt Ihre Kommunikation aus Ihrer Sicht an?“ Sie mache die Erfahrung, dass wütende Leute am Ende wohlwollend antworteten, antwortet sie.
Glaubt sie wirklich, jemanden zu überzeugen? „Keine Ahnung. Aber oft habe ich zumindest das Gefühl, ein Nachdenken ausgelöst zu haben.“
„Die Verachtung für Politiker nimmt zu“
Aber die Kosten-Nutzen-Relation ist doch gleich null? Einige Parteifreunde hielten ihre Twitterei tatsächlich für vergebliche Liebesmüh, sagt sie. Aber: „Die Verachtung für Politiker nimmt zu.“ Dagegen wolle sie angehen.
Barley spricht ruhig, überlegt und unverstellt, ihr rutschen wenig Stanzen in die Sätze. Im Netz schlägt ihr oft Verachtung entgegen. Die Agenda 2010, die Hartz-Reformen – Sozialdemokraten bekommen bis heute den massiven Vertrauensverlust durch die marktliberalen Reformen zu spüren.
Barley, so will es ihr Amt, lobt natürlich die aktuelle Regierungspolitik, etwa wenn sie darauf hinweist, dass die SPD dem Innenminister 3.000 neue Bundespolizisten in den Haushalt verhandelt hat. Bei ihr gehen Diskussionen, anders als bei anderen Politikprofis, oft in die zweite oder dritte Runde, wenn sie Feedback bekommt.
Barley hat dabei die SPD-Basis im Blick. Nach Twitter-Gefechten schrieben sie oft Sozialdemokraten an, erzählt sie. „Sie sagen, gut, dass eine steht und Kontra gibt.“ So kann man das auch sehen: Der Streit mit SPD-Hassern als öffentliches Motivationsseminar. Barley glaubt, dass sie und ihre KollegInnen die Distanz zu den Wählern verringern müssen. „Politiker haben oft nur im Kopf, was sie senden wollen“, sagt sie. „Ich glaube, wir müssen öfter auf Empfang stellen.“
140-Zeichen-Tweets gegen Politikverdrossenheit, das mag man naiv finden. Vielleicht fängt der Kampf um die Demokratie aber gerade im Kleinen an.
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