Spionage-Prozess in Havanna: Naives Opfer oder versierter US-Spion?
Alan Gross wollte nur die Internetkommunikation der jüdischen Gemeinde in Kuba verbessern, sagt seine Frau. Die kubanische Regierung sieht in ihm einen US-Spion.
Vierzehn Monate nach der Festnahme von Alan Gross auf dem Flughafen von Havanna hat die kubanische Staatsanwaltschaft nach "einem aufwendigen Prozess der Untersuchungen" jetzt Anklage gegen den vermeintlichen US-Entwicklungshelfer erhoben. 20 Jahre Haft wegen "Verletzung der Unabhängigkeit und territorialen Integrität" fordert sie. In Washington wird die Anklageerhebung kritisiert. Alan Gross habe, so eine Presseerklärung aus dem Weißen Haus, nur geholfen, "den freien Informationsfluss zum und zwischen dem kubanischen Volk zu verbessern".
Das ist auch die Version von Ehefrau Judy Gross. Laut ihren Angaben ist der 61-jährige IT-Spezialist 2009 gleich fünfmal in Havanna gewesen, um "die Kommunikation innerhalb der jüdischen Gemeinde und deren Internetzugang zu verbessern". Dafür war Gross, selbst jüdischen Glaubens, der richtige Mann, denn mit Satellitentechnik kannte er sich aus.
Für seinen Arbeitgeber, Joint Business Development Center (JBDC), war er in Irak, Afghanistan, Armenien und Kuwait im Einsatz. Immer im Auftrag von Development Alternatives Inc., einem Auftragnehmer von USAID, der staatlichen Entwicklungsagentur der Vereinigten Staaten, die dem Außenministerium Hillary Clintons untersteht. Quasi in "humanitärer Mission" wähnte sich Gross, so die Aussagen seiner Kollegen und seiner Frau, als er in Havanna begann, die Internetkommunikation jüdischer Einrichtungen zu verbessern.
Doch an diesem Punkt häufen sich die Fragezeichen. Bekannte Repräsentanten der rund 1.500 Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde wie Adela Dworin geben vor, von Alan Gross nichts zu wissen. Dass der vermeintliche Entwicklungshelfer im Auftrag von USAID gleich fünfmal in neun Monaten mit einer Touristenkarte nach Havanna einreiste, ist nicht nur naiv, sondern auch ein Verstoß gegen die kubanischen Einreisebestimmungen, urteilt Wayne Smith. Der pensionierte US-Diplomat, der einst die US-Interessenvertretung in Havanna leitete, beschäftigt sich seit Jahren als Analyst mit den verfahrenen US-amerikanisch-kubanischen Beziehungen.
"Der zweite Fehler ist, dass Gross in Havanna Satellitentelefone und andere Kommunikationsgeräte verteilt hat." In Kuba ist der Vertrieb der sündhaft teuren Telefone ohne entsprechende Lizenz strikt verboten. Obendrein ist es untersagt, Geld oder jegliches Material, das von der US-Regierung, ihren Einrichtungen oder Repräsentanten stammt, zu verteilen. Darauf stehen laut Gesetz Nummer 88 von 1999 Haftstrafen von drei bis acht Jahren.
Darüber hinaus soll Alan Gross Equipment auch an Oppositionelle verteilt haben, angeblich ohne über die Risiken gewusst zu haben, wie Ehefrau Judy Gross betont. Enttäuscht von der US-Regierung sei sie. So habe sich zwar Hillary Clinton im Juli 2010 mit ihr getroffen und danach mehrfach die kubanische Seite aufgefordert, ihren Mann freizulassen, aber mehr sei nicht passiert.
Das eigentliche Problem ist jedoch, so Wayne Smith, dass Alan Gross in einem dieser Programme zur "Förderung der Demokratie in Kuba" unterwegs war. "Die kennen kein diplomatisches Protokoll und genießen keinerlei Autorisierung des betreffenden Landes" so der Exdiplomat. Letztlich sei Alan Gross ein Opfer dieser überholten Programme.
Das wird in Washington niemand offen zugeben. Aber auch dort wird längst hinter den Kulissen debattiert, ob es nicht sinnvoll wäre, über einen Austausch von Alan Gross mit einem oder mehreren der Miami Five, der fünf kubanischen Agenten in US-Haftanstalten, zu verhandeln. Das ist eine Option, die Wayne Smith sich genauso vorstellen kann wie der Demokrat und Exilkubaner Alfredo Duran.
Für Alan Gross sieht die Lage aber erst einmal bedrohlich aus. Laut einer Pressemeldung der Staatsanwaltschaft in der Granma solle der Prozess in Kürze beginnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Toxische Bro-Kultur
Stoppt die Muskulinisten!
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“
Von wegen Untergang des Liberalismus
Wird der Wahlkampf eine nationale Katastrophe?
Vermeintliches Pogrom nach Fußballspiel
Mediale Zerrbilder in Amsterdam