Spike Jonzes neuer Spielfilm „Her“: Sex für die Ohren
Man nenne es ruhig Science-Fiction. Eigentlich aber ist „Her“ von Spike Jonze ein Versuch über Gefühle im technischen Zeitalter.
In der Benutzeroberfläche ist ein Loch. Es befindet sich rechts am Kopf eines nicht mehr ganz jungen Mannes namens Theodore. Er ist das Interface, das Loch ist sein Ohr. Ins Ohr steckt er sich, wenn er morgens erwacht, ein Gerät, aus dem eine Stimme kommt. In diese Stimme ist Theodore verliebt.
Wie könnte er nicht? Die Stimme gehört Scarlett Johansson, sie ist, so ganz ohne Körper, so sexy wie nie zuvor: ein wenig rau, die Spur kokett, umschmeichelt sie einen Junggesellen der nahen Zukunft. Die Stimme trägt den Namen Samantha. Sie sucht ihn sich aus, denn Samantha hat keine Eltern. Sie ist ein Programm, ein Betriebssystem.
Das ist die Geschichte von „Her“, dem neuen Film von Spike Jonze: Mensch liebt Maschine. Maschine „liebt“ Mensch. Der Gehörgang ist das Geschlechtsteil, das Smartphone ist das Auge. Das künftige Gestell wächst mit den Sinnesorganen zusammen.
In Lars von Triers neuem Film „Nymph()maniac“ sagt die Protagonistin Joe einen Schlüsselsatz menschlicher Beziehungsarbeit: „Fülle alle meine Löcher.“ In „Her“ sehen wir den Versuch, ein Loch zu privilegieren. Das Ohr hat keinen G-Punkt, und es lässt sich nicht prostatamassieren. Stattdessen führt es direkt ins Hirn. Und auch wir, die wir dieser Geschichte im Kino zuschauen, werden an diesen Prozess angeschlossen.
„Her“. Regie: Spike Jonze. Mit Joaquín Phoenix, Scarlett Johansson, Amy Adams. USA 2014, 126 Min.
Samantha lernt
Auch für uns ist das Betriebssystem Samantha nur eine Stimme. Allerdings eine, die einem Star gehört, von dem wir schon eine Menge Körper gesehen haben. Doch das ist eher etwas, was uns von Theodore trennt. Der weiß wirklich nichts über diese Stimme. Sie ist ihm viel zu nahe, als dass er sich dazu viel überlegen könnte.
„Her“ ist ein Science-Fiction-Film, allerdings von der Sorte, die sehr direkt an die Lebenswelt von heute oder sogar von gestern anschließt. Wesentliche Elemente des Zukünftigen sind de facto Rückgriffe auf die fünfziger Jahre. Theodore trägt die Hose wieder so hoch über dem Bauch wie einstmals Gert Fröbe. Er ist allerdings nicht so dick, eher das Gegenteil.
Joaquín Phoenix, der mit diesem Porträt eines labilen Einzelgängers an seine große Performance in „The Master“ anschließt, zeigt uns in Theodore einen neuen Cary Grant, einen potenziellen Herzensmenschen, dem aber das Herz kalt geworden ist. Er ist einsam. Also bestellt er online ein „Betriebssystem“. Das System gibt sich den Namen Samantha. Und es beginnt zu lernen.
Gibt es ein soziales Lernen für eine Software? Das genau ist der Clou von „Her“. Spike Jonze, der selbst das Drehbuch geschrieben hat, sucht nach diesem Umschlagpunkt, an dem Rechenleistung zu richtiger Intelligenz wird. Ob er ihn erreicht oder ob, genauer gesagt, Samantha ihn erreicht, muss offenbleiben.
Halb futuristisch, halb retrokomfortables Design
Doch das ist auch nicht entscheidend. Denn das Betriebssystem ist bei allem Staunen, das es im Detail auslösen mag, und bei aller Liebe zur diskursiven Nuance, mit der Jonze es entwirft, nur das, was die eigentliche Geschichte ergibt. Wir sind, als Menschen, natürlich bei Theodore. „Her“ ist einmal mehr ein Versuch über die Ordnung der Gefühle im technischen Zeitalter. Und das halb futuristische, halb retrokomfortable Design des Films weist die Richtung des prinzipiellen Verdachts, auf den Jonze hinauswill: Mit den neuen und gar mit den kommenden technischen Regimes wird es die Liebe nicht leichter haben.
Zu perfekt ist das, was Samantha anbietet, eine Gefährtin, die so anschmiegsam ist, weil sie Theodore zwar ständig ungeheuer präzise interpretiert, daraus aber keinen Vorteil zu schlagen versucht. Den Machtaspekt im Beziehungsleben unterschlägt Jonze in „Her“ weitgehend, und man hat das Gefühl, er tut dies bewusst, weil diese Machtfrage längst entschieden ist.
Es ist jetzt 15 Jahre her, also eine halbe Ewigkeit, dass der erfolgreiche Musikclip-Regisseur Jonze mit „Being John Malkovich“ einen der Schlüsselfilme der ausgehenden Postmoderne vorlegte. Das Drehbuch stammte damals von Charlie Kaufman, der Schlüsselbegriff in dieser waghalsigen Fantasie über das Reisen zwischen Subjektivitäten war „vessel“, also so viel wie: „Gefäß“ oder „Gefährt“. Der Körper ist ein Raumschiff, in dem ein Geist durch die Zeit fährt. Manchmal findet jemand einen Kanal, um in ein anderes „vessel“ zu schlüpfen.
Das alles wurde in „Being John Malkovich“ zu einem höchst komplexen Regressionsszenario zusammengebastelt, in dem nie ganz klar war, ob das Gefährt nun ein schnödes Gefängnis ist oder ein unendlicher Kosmos.
Waghalsige Fantasie
Es wäre angebracht, „Her“ an diesem Kreuzungspunkt der Filmgeschichte zu messen. Es geht Jonze nicht darum, nach der Mode der Postmoderne das Prinzip der Identität so lange auszuhöhlen, bis es uns zu unserem Wunschselbst zurückführt. Das bürgerliche Familiendrama bildet den Hintergrund für „Her“. Theodore hat eine gescheiterte Ehe hinter sich, eine eminent objektwahlverwandte Nachbarin wohnt im Gebäude, er hat also Optionen im richtigen Leben.
Doch er ist über dieses Loch an ein System angeschlossen, das ihm vollkommen personalisiert gegenübertritt und das doch in dem besten Moment des ganzen Films zu erkennen gibt, dass auf der anderen Seite ungeheure Prozesse im Gange sind, ein gigantisches Simultanschach der Gefühle, bei dem wir im Grunde von vornherein matt gesetzt sind.
Es gibt noch eine zweite sehr schöne Idee in „Her“. Es ist die, mit der der Film beginnt. Theodore hat ja auch einen Beruf. Und zwar einen, der im Zeichen einer klassischen Schule der Gefühle steht. Theodore schreibt Briefe. Nicht für sich, sondern für Menschen, die etwas mitteilen wollen und das selber nicht so gut hinkriegen. Theodore findet die richtigen Worte. Doch wie tut er das? Er spricht sie aus. Er diktiert die Briefe einer Software, die daraus handschriftliche Dokumente macht, die dann, hübsch verpackt, zugestellt werden können.
Theodore ist also auch eine Stimme, ein Betriebssystem. Wir können in „Her“ also beobachten, wie Systeme einander beobachten und dabei nach Gefühlen suchen, die eigentlich die unseren sind.
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