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Spielzeug für „Kidults“Spielen in harten Zeiten

Kinder spielen schon früh lieber mit Smartphones als mit Spielzeug. Darunter leidet der Spielwarenmarkt. Jetzt gibt's eine neue Zielgruppe: Erwachsene.

Künstler Oliver Schaffers Ausstellung zur Bremer Kogge Foto: Sina Schuldt/dpa/picture alliance

6.000 Arbeitsstunden, 83.000 Teile, vier Jahre Bauzeit: Jetzt steht das größte Fischertechnikmodell aller Zeiten im Fördertechnik Museum in Sinsheim. 22 Meter misst der „gekürzte“ Nachbau einer Seilbahn. Und auch wenn der eine Miniatur ist, braucht es ein 20-köpfiges Team, das fleißig weiterwerkelt, instand hält, verbessert.

„Als Fünfjähriger in den 70er Jahren habe ich meinen ersten Fischertechnik-Kasten bekommen, mein ganzes Taschengeld und meine ganzen Weihnachtswünsche sind dann immer in dieses System geflossen“, erinnert sich Tilo Rust an den Beginn einer großen Leidenschaft zurück, die bis heute anhält. Er ist der „Vater“ des Seilbahnprojekts.

Beim Skifahren habe er eines Tages nach oben geschaut und sich gefragt, warum sich der Sessellift in der Station im Gegensatz zum Seil so viel schneller bewegt: „Dann habe ich angefangen, eine Seilbahn nachzubauen, und dabei festgestellt, dass das Modell immer größer wurde – meine Frau hätte mich aus dem Haus rausgeschmissen, wenn ich das im Treppenhaus weitergemacht hätte.“

Reise zurück in die ersten Lebensjahre

Per Zufall fand er dann eine Werkstatt im Sinsheimer Museum. Und auch Mitstreiter hatte Rust in der Zwischenzeit gefunden. Tausende Euro haben sie mittlerweile investiert, um ihr Modell auszubauen und es nicht nur in Sinsheim, sondern auch anderswo auszustellen, so wie letztes Jahr auf der Bundesgartenschau in Mannheim.

Noch besser hat es der ehemalige Musical-Darsteller Oliver Schaffer getroffen. Er konnte sein Hobby zum Beruf machen: Seine riesigen Playmobil-Dioramen mit Tausenden von Figuren, die beispielsweise die Geschichte der Menschheit zeigen, werden unter anderem in Museen ausgestellt – ein Magnet für Kinder, aber auch deren Eltern. Klar, auch bei Schaffer begann die Verbindung zu dem Spielzeug in der Kindheit – als er mit den Siebeneinhalb-Zentimeter-Männchen seinen ersten eigenen Zirkus gebaut hat.

Danach war erst mal Pause. Aber als der Hamburger vor 20 Jahren gebeten wurde, für eine Ausstellung seinen Zirkus noch einmal zur Verfügung zu stellen, wurde er wieder „infiziert“, wie Schaffer es formuliert, und baute fortan regelmäßig Szenarien mit den Kunststoffwesen. Seit knapp vier Jahren ist das sein Hauptjob, für seine frühere Tätigkeit als Musicaldarsteller hat er keine Zeit mehr.

„Sich als Erwachsener mit Spielzeug zu beschäftigen ist so etwas wie eine Reise zurück in die ersten Lebensjahre“, sagt der Künstler. Auch sein Publikum macht diese Reise mit. Immer wieder bekommt Schaffer Zuschriften wie: „Auf Ihrer Ausstellung habe ich das Piratenschiff wiedergesehen, das mich durch meine Kindheit begleitet hat.“

Erwachsene haben Kaufkraft

Anfang Februar erlebt das Playmobil-Team auf der Spielwarenmesse in Nürnberg ganz Ähnliches. Andächtig steht ein Fachbesucher vor dem Modell eines Polizeiautos von 1977: „Genau damit habe ich als Kind jahrelang gespielt. Darf ich es mir mal in Ruhe anschauen?“ Er durfte. Und so wie er haben sich viele auf dem weltgrößten Markt für Spielzeug wieder zurück in die Kindheit gebeamt. Zahlreich wie nie zuvor waren dort Produkte für zahlungskräftige Junggebliebene ausgestellt.

Im Fachjargon werden diese Menschen wortspielerisch „Kidults“ genannt, ein Kofferwort für Erwachsene (adults), die in ihren Konsumbedürfnissen wieder zu Kindern (kids) werden.

Auf der Messe belagerten sie beispielsweise die „Flagship Grimlock Collector’s Edition“. In dem Hightech-Modell des aus der Transformer-Reihe bekannten „Autobot“, der sich in einen Metalldinosaurier verwandeln kann, sind unter anderem 85 Mikrochips, 34 Hochpräzisions-Servomotoren sowie spezielle Sound-Module verbaut. Kostenpunkt: schlappe 1.800 Euro. Kinder, tendenziell ja eher finanzschwach, sind nicht die Zielgruppe, sondern Kidults. Zum Verkaufsstart im Februar war der Roboter ausverkauft.

Allein in den USA, auf dem weltweit größten Spielzeugmarkt, erbringt die Zielgruppe der Kidults schon jetzt 25 Prozent des jährlichen Gesamtumsatzes – Tendenz deutlich steigend. In Deutschland sind es schätzungsweise 20 Prozent.

Die Kaufkraft der Erwachsenen und ihre Kauflust auch außerhalb von Geschenken für Kinder hat die Spielzeugbranche auch nötig: Die westlichen Gesellschaften werden immer älter, spätestens ab einem Alter von 12 Jahren beschäftigen sich Kinder lieber mit ihrem Smartphone als mit physischen Gegenständen, und die wirtschaftliche Situation vieler Familien ist aktuell von Unsicherheit geprägt.

Spielen hat einen hohen therapeutischen Wert

So hat nach Jahren des Wachstums der deutsche Spielwarenmarkt einen deutlichen Dämpfer erhalten: Mit 4,5 Milliarden Euro Umsatz 2023 sank das Ergebnis gegenüber dem Vorjahr um 200 Millionen Euro, das sind etwa 4,5 Prozent. In den USA, dem weltgrößten Markt, belief sich der Rückgang sogar auf etwa 8 Prozent, von etwas über 30 Milliarden Dollar auf 28 Milliarden. Von dieser Entwicklung sind praktisch alle großen Hersteller betroffen.

In Nürnberg gab Playmobil-Vorstand Bahri Kurter daher eine Neuausrichtung seines Unternehmens bekannt. Der Konzern will pflanzenbasierte Kunststoffe einführen und sein Sortiment von Sammelfiguren für Jugendliche und Erwachsene erweitern. Damit könnte das Unternehmen alte Fans wieder für sich gewinnen.

Denn immerhin feiert die Marke, die mittlerweile einige Kindergenerationen begeistert hat, dieses Jahr ihren 50. Geburtstag. Die Deutsche Post ehrt sie aus diesem Grund sogar mit einer Briefmarke. „Künstlerinnen und Künstler werden ihre eigenen Playmobil-Figuren designen, die dann für einen guten Zweck versteigert werden“, kündigte Kurter an und verwies darauf, dass allein von der Martin-Luther-Sonderedition über 1,2 Millionen Stück verkauft wurden. Und der ist nun wirklich kein Star für Kinder.

„Die heute Erwachsenen können sich jetzt Dinge leisten, von denen sie als Kind geträumt haben“, glaubt schließlich Seilbahnbauer Rust. Er ist nicht nur spielzeugbegeistert, sondern auch als Verhaltenstherapeut tätig. „In den 70er Jahren konnten sich nur wirklich wohlhabende Menschen beispielsweise ein ferngesteuertes Auto leisten.“ Aus seiner Sicht hat Spielen einen hohen therapeutischen Wert, der Abstand zur Realität gewährt: „Kinder machen das genauso, aber ihnen wird es zugestanden, Erwachsenen nicht, die werden oft für ‚verrückt‘ gehalten.“

Das hat sich inzwischen wohl grundlegend geändert. Und in einer Welt, die immer mehr von Kriegen und Krisen geschüttelt wird, ist mit dem Konsum der Kidults wohl auch eine Rückbesinnung auf vermeintlich glücklichere Zeiten verbunden.

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