Spielsucht unter Vietnamesen: Zockerhilfe für Asiaten
Die Geldvernichtung durch Spielen ist unter Vietnamesen weit verbreitet. Der Verein Gangway und die Spielbank haben eigens für diese Gruppe einen runden Tisch eingerichtet.
Maria Seifert (Name geändert) erzählt nicht gern, warum ihr vietnamesischer Mann und nicht sie den Erziehungsurlaub für ihr zweites Kind nimmt. Auf den Grund für das väterliche Engagement ist sie nicht stolz: Arbeitet sie, so landet das Gehalt auf ihrem Konto. Für die junge Mutter ist das existenziell. Ihr Mann ist spielsüchtig. "Als ich mit unserem ersten Kind Erziehungsurlaub hatte, musste ich mit Erziehungs- und Kindergeld fast alle Ausgaben für die Familie bestreiten", erinnert sie sich. "Manchmal hatte ich nicht einmal Geld fürs Toilettenpapier. Wir haben die Werbung genutzt, die im Briefkasten landete", erzählt sie. "In einem Asiaimbiss mit Automaten verspielte er zeitweise sein ganzes Gehalt." Die junge Frau liebt ihren Mann. Sie will ihn nicht fallen lassen. "Ich weiß, dass Spielsucht eine Krankheit ist, ich will, dass er eine Therapie macht." Aber die Einsicht fehle ihm. "Es ist viel, dass mein Mann inzwischen davon überzeugt ist, dass er ein schlechter Spieler ist." Aus dieser Einsicht heraus schloss er einen Pakt mit seiner Frau: Mit 100 Euro Spieleinsatz darf er pro Monat sein Glück testen. Mehr gibts nicht.
Spielsucht bei Vietnamesen ist ein Thema, mit dem sich Jürgen Schaffranek vom Streatworkerprogramm Gangway seit mehreren Monaten beschäftigt. "Wir haben ein Projekt, das die Problemlagen mit Sucht für die großen Migrantengruppen in dieser Stadt angehen will." Bei Vietnamesen habe sich gezeigt, dass weniger die klassischen Süchte Alkohol und Drogen das Problem sind, sondern Spielsucht. Seit dem Frühjahr gibt es einen runden Tisch bei Gangway mit vietnamesischen Vereinen und Vertretern der Spielbank, um Probleme zu analysieren und Lösungen zu suchen. "Unser Ansatz ist es, nicht nur die Süchtigen selbst zu erreichen, sondern auch das Umfeld", sagt Schaffranek. "Nur so können wir aufklären und präventiv tätig werden."
Glücksspiel ist laut Schaffranek in ganz Asien kulturell tief verankert. Wer im Spiel gewinnt, gilt als erfolgreicher Mensch. Und wer nicht so erfolgreich ist, spricht nicht darüber. Darum sind Spielsucht und Spielschulden ein Tabuthema. Son Thach von der Vereinigung der Vietnamesen sagt: "In der Beratung wurden wir noch nie mit dem Problem konfrontiert, weil sich Spielsüchtige nicht von sich aus Hilfe holen." Nach Einschätzung der vietnamesischen Vereine, die sich bei Gangway zum runden Tisch treffen, sind vor allem ältere Jahrgänge betroffen: Familienväter und -mütter, aber auch geschiedene Frauen, die nach Trennung und Auszug der Kinder etwas suchen, woran sie sich festhalten können. "Erstaunt waren wir, dass auch die Spielbank Vietnamesen bereits als Problemgruppe erkannt und sogar einen vietnamesischsprachigen Flyer zur Prävention gefertigt hat", sagt Schaffranek.
Clemens Haase von der Spielbank Berlin bestätigt das. "Bei uns gehören vietnamesische Spieler aller Altersgruppen zu den von Spielsucht gefährdeten Personen." Auffällig seien die vielen Frauen aus Fernost in der sonst männerdominierten Spielercommunity. Nicht etwa, weil vietnamesische Männer nicht zocken würden. Sie zocken woanders. Im Dong-Xuan-Markt in Lichtenberg, dem größten Asiamarkt, hebt die Polizei immer mal wieder illegal betriebene Spielcasinos aus. Hier pflegt das Who is who der vietnamesischen Firmeninhaber Berlins seine Sozialkontakte, ähnlich wie schwerreiche Deutsche beim Golfen. Und Zigarettenhändler versuchen ihr schmales Einkommen zu vergrößern.
Haase: "Bei uns spielen sowohl hervorragend integrierte vietnamesische Gäste als auch solche, mit denen die sprachliche Verständigung schwierig ist." Die Spieler aus Fernost kämen meist in größeren Gruppen. Haase ist Spielschutzbeauftragter der Spielbank. Zu seinem Job gehört es, Menschen, die suchtgefährdet sind, anzusprechen und an freie Träger zu empfehlen, wo sie Hilfe erhalten. "Gerade viele Asiaten reagieren da völlig abweisend und uneinsichtig", sagt er. Zahlreiche Vietnamesen wären bereits für das Glücksspiel in der Spielbank gesperrt. "Wir wissen von Kunden, dass sie dann Gruppenfahrten nach Polen zum Spielen organisieren oder an Automaten spielen."
Geldgewinnspielautomaten, wie sie in Restaurants, Imbissen oder in Casinos stehen, an denen auch der Ehemann von Maria Seifert spielt, fallen nicht unter das Glücksspielgesetz. Die Automatenindustrie hat gute Lobbyarbeit geleistet. Suchtprävention gehört anders als in der Spielbank am Potsdamer Platz nicht zu den Pflichtaufgaben der Betreiber. In manchen Automatencasinos in Lichtenberg und Marzahn ist mehr als jeder zweite Kunde ein Vietnamese.
Spielsucht ist oft unsichtbar. Die Spieler sehen nicht wie Junkies aus. "In der Firma meines Mannes weiß niemand von seiner Sucht. Er arbeitet ordentlich", sagt Maria Seifert. Aber die Kinder würden leiden: beispielsweise als der Vater im Zockerrausch vergaß, ihnen zu essen zu geben. Und die dringend benötigte größere Wohnung mit zwei Kinderzimmern wird es so lange nicht geben, solange die Spielschulden des Vaters nicht abbezahlt sind.
Am schwierigsten war beim runden Tisch von Gangway die Frage, wie man die vietnamesische Community für das Thema Spielsucht sensibilisieren kann. Gerade die älteren Jahrgänge der Vietnamesen können über deutsche Medien kaum erreicht werden. Doch sie muss man erreichen, denn ihr Wort gilt in der Community. Projektleiter Jürgen Schaffranek: "In unserer Arbeitsgruppe engagiert sich der vietnamesische Studentenverein Siwi besonders stark." Die in Deutschland aufgewachsenen Studenten sprechen hervorragend Deutsch, sind integriert und hätten auch die Einsicht, dass Spielsucht eine Krankheit sei und behandelt werden müsse. "Wir wollten also die Eltern über ihre Kinder erreichen."
Ein Unding in konfuzianistisch geprägten Kulturen. Denn ein Sohn oder eine Tochter, der oder die den Eltern einen guten Rat geben will, gilt unter traditionell gesonnen Vietnamesen als ungehorsam. Auch von Erwachsenen wird strikte Unterordnung unter Ältere erwartet. "Die Studenten leben in zwei Welten: Draußen sind sie gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft. In der Familie müssen sie sich unterordnen", erklärt Schaffranek. Und dass die Kinder in Deutschland so gut integriert sein, disqualifiziert sie in den Augen traditioneller Eltern eher: Sie sind so schlechte Vietnamesen, bringen den Alten nicht den nötigen Respekt entgegen.
Die Alternative zur direkten Hilfe durch die integrierten Kinder ist die indirekte: Gangway produziert gemeinsam mit vietnamesischen Studenten ein Aufklärungsvideo. "Das soll in den Asiamärkten und vietnamesischen Restaurants in hauseigenen Videokanälen gezeigt werden", so Schaffranek. Auch Kummerkästen will man dort in Kürze aufstellen. Dort können Menschen anonym ihre Sorgen in ihrer Muttersprache loswerden. Nicht nur zum Thema Spielsucht. Auch Erfahrungen mit Fremdenfeindlichkeit und dergleichen können sie loswerden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe