Spielkritik „Shadow of the Erdtree“: Alles Gold, was glänzt
„Elden Ring“ veröffentlicht eine neue Erweiterung des Videospiels. Sie ist künstlerisch sehr hochwertig und zugleich preisgünstig.
Ein Blumenfeld erstreckt sich bis zum Horizont, auf dem sich durchsichtige, gespenstische Grabsteine sammeln. In der Ferne, hinter zahlreichen Burgruinen und Gebirgsketten versteckt, ragt ein morscher, bedrohlich wirkender Baum in das Firmament hinein. Der Himmel scheint selbst Teil des Baumes zu sein und hängt wie ein Vorhang an seinen Ästen. Aus dem Inneren des Gewächses tropft goldenes Harz, das sich über die Trümmer einer einst großen Burg ergießt.
Das erste Bild, das man im Spiel „Shadow of the Erdtree“ sieht, ist atemberaubend. Und es ist nicht das letzte Mal, dass man mit offenem Mund auf den Bildschirm starrt und sich fragt, wie die Entwickler:innen ein solches Kunstwerk schaffen konnten.
Dabei ist „Shadow of the Erdtree“ kein eigenständiges Spiel, sondern die erste und einzige Erweiterung von „Elden Ring“, 2022 erschienen. Damals gewann es nahezu jeden Preis, wurde ein Millionen-Bestseller und gilt als eines der qualitativ hochwertigsten Spiele der letzten Jahre.
Mit „Elden Ring“ stellte sich das japanische Studio FromSoftware auch gegen die gängigen Trends der Gaming-Industrie. Mit „Shadow of the Erdtree“ zeigen sie wieder einmal, wie viel Erfolg sie mit ihrer Absage an die Trends haben.
Die Gaming-Industrie ist so profitorientiert wie kaum eine andere. Ein modernes Spiel kostet bei der Neuerscheinung oft 70 Euro. Dazu kommen meist In-Game-Käufe, also virtuelle Inhalte, die man nur gegen weiteres Geld kaufen kann. Beliebte Multiplayerspiele wie „Fortnite“, „Call of Duty“ oder „EA Sports FC“ (ehemals „FIFA“) bekommen monatlich, teils sogar wöchentlich neue Inhalte.
Die Spieler:innen werden permanent mit neuen, kostspieligen Inhalten konfrontiert. Die Industrie denkt ihre Produkte inzwischen primär als „Games als Service“. Dabei wird ein Spiel zyklisch mit neuen Inhalten versorgt, um die Spieler:innen weiter zu Ausgaben zu motivieren. Das Problem ist nicht nur eine Übersättigung, sondern auch die Lieblosigkeit, die in vielen neuen Spielen steckt.
Wie ein eigenständiges Spiel
Der Profit steht im Vordergrund, die künstlerischen Ambitionen treten zurück. Genau dort setzt FromSoftware an. Mit „Elden Ring“ gelang dem Studio ein Paukenschlag, der in der Industrie unüberhörbar war. Man konnte mehrere Hundert Stunden in der bildschönen Fantasy-Welt verbringen, ohne auch nur einen zusätzlichen Cent investieren zu müssen.
Die Spielwelt war komplex, die Kämpfe waren anspruchsvoll und motivierend. Nach über zweieinhalb Jahren erscheint mit „Shadow of the Erdtree“ nun die einzige Erweiterung von „Elden Ring“.
Die meisten Spiele sind nach dieser Zeit längst am Ende ihres Lebenszyklus oder bereits vergessen. Wenn man nicht wüsste, dass „Shadow of the Erdtree“ nur eine Erweiterung ist, würde man es für ein eigenständiges Spiel halten.
Eilige Spieler:innen können das neue Abenteuer in knapp 15 Stunden beenden. Doch wer hier nur auf das schnelle Durchspielen aus ist, verpasst den Kern des Spiels.
Es ist der Reiz am Entdecken, den bereits „Elden Ring“ und nun auch dessen Fortsetzung ausmacht. Lässt man sich auf die Welt des Schattenlands und die kryptische Handlung rund um alte Götter und die mystische Figur Miquella ein, reicht die Spielzeit weit über 40 Stunden. Bei einem Preis von 40 Euro ist das fair.
Hidetaka Miyazaki, der Game Director und Architekt von „Elden Ring“ und der Erweiterung, stellt den Mehrwert für die Spieler:innen in den Mittelpunkt. Als Präsident des Unternehmens FromSoftware stellt er sich auch in der Unternehmensführung gegen die negativen Trends der Industrie.
Während die Gaming-Branche momentan durch ihre Massenentlassungen Schlagzeilen macht, lehnt er diese entschieden ab – und hält Wort. Miyazakis Unternehmen ist eines der wenigen Beispiele für Rückgrat in der Gaming-Industrie. Und auch bei „Shadow of the Erdtree“ ist alles Gold, was glänzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Israel und Hisbollah
Waffenruhe tritt in Kraft
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich