Spielfilm „Gotteskinder“: Wenn eine selbst gestaltete Jugend Sünde ist
Frauke Lodders' Film erzählt von zwei Jugendlichen, die in einer evangelikalen Familie aufwachsen. Er ist Milieustudie und Familiendrama zugleich.
![Ein junger Mann spricht mit einer jungen Frau. Im Hintergrund stehen junge Menschen, es leuchten Scheinwerfer und illuminierte Kreuze. Ein junger Mann spricht mit einer jungen Frau. Im Hintergrund stehen junge Menschen, es leuchten Scheinwerfer und illuminierte Kreuze.](https://taz.de/picture/7496746/14/N4kult-auf-244mm-1.jpeg)
In den USA haben die evangelikalen Christen gerade Donald Trump zu seiner zweiten Präsidentschaft verholfen. In Europa können die meisten Menschen über deren verqueres Weltbild nur den Kopf schütteln. Aber auch in Deutschland gibt es eine wachsende evangelikale Bewegung und auch hier glauben viele daran, dass Gott die Welt an sieben Tagen erschaffen hat, dass vorehelicher Sex eine schwere Sünde und gleichgeschlechtliche Liebe im wahrsten Sinne des Wortes Teufelswerk ist.
All das wird in der Familie der 17-jährigen Hannah und ihres 15-jährigen Bruders Timotheus mit keinem Gedanken in Frage gestellt. Sie leben in einer typischen Vorortsiedlung, die fast schon das Sinnbild einer deutschen, ein wenig drögen Normalität ist. Doch sie folgen dabei Regeln, die zugleich absurd und exotisch scheinen.
Die deutsche Filmemacherin Frauke Lodders hat ein Jahr lang intensiv über freikirchliche Gemeinden in Deutschland recherchiert und man merkt ihrem Spielfilm „Gotteskinder“ an, wie intensiv und einfühlsam sie sich mit diesem Milieu vertraut gemacht hat.
Am Anfang des Films scheint Hannah voll von religiöser Verzückung zu strahlen. Sie nimmt an einer sogenannten „Holy Spirit Night“ teil, die eher einer großen Party als einem Gottesdienst gleicht. Bei der findet ein junger charismatischer Prediger genau die richtigen Worte, um sein junges Publikum zu begeistern. Diese Geborgenheit einer Gemeinde von Menschen mit starkem Glaube scheint auch in Hannahs Familie vorzuherrschen. Doch dann ziehen der gleichaltrige Max und seine alleinerziehende Mutter in ein Nachbarhaus ein. Und Max ist ein ganz normaler, rebellischer Jugendlicher.
Schnell kommen sich Hannah und Max näher. Lodders’ Drehbuch ist wie eine Versuchsanordnung konstruiert und so ist vieles in der Handlung schnell vorhersehbar. Max ist der Katalysator – derjenige, der durch seine offene und weltliche Lebenseinstellung Zweifel in Hannah sät. Und ihr Bruder Timo hat von seinem ersten Auftritt an solch einen unsicher verängstigten Blick, dass damit sofort deutlich gemacht wird, dass er nicht im Reinen mit seinem christlichen Glauben lebt. Für Hannah ist schon ein Kinobesuch zusammen mit Max sündhaft und Timo tauscht tiefe Blicke mit einem jungen Mann in der Gemeinde.
Schnell wird der bis dahin liebevolle Vater (Lodders ist so klug, jede Dämonisierung zu vermeiden) zu einem autoritären Patriarchen, der seinen Sohn zu einem „Seelsorgecamp“ schickt, wo er in einer sogenannten Konversationstherapie, die sich als eine archaisch wirkende Teufelsaustreibung entpuppt, von seiner angeblich sündhaften Homosexualität geheilt werden soll.
Lodders erzählt konsequent aus der Perspektive der drei Jugendlichen. Die werden von Flora Li Thiemann, Serafin Mishiev und Michelangelo Fortuzzi so lebendig und überzeugend verkörpert, dass „Gotteskinder“ auch als ein „Coming of age“-Film für ein gleichaltriges Zielpublikum funktionieren könnte.
Diese Perspektive hat allerdings den Nachteil, dass die Motivationen der Erwachsenen nicht immer deutlich werden. So entspricht es zwar den Rollenbildern und Familienstrukturen der orthodox lebenden Christ*innen, dass die Mutter in der Familie passiv bleibt und kaum ein Wort sagt. Aber wenn Max auf der Straße von Gemeindemitgliedern in ein Auto gezerrt und zu dem Camp verschleppt wird, ist es kaum plausibel, dass dessen Mutter dabei tatenlos zusieht.
„Gotteskinder“, Regie Frauke Lodders, mit Flora Li Thiemann, Serafin Mishiev, Mark Waschke und vielen anderen, Deutschland 2024, 117 Minuten
Mit knapp zwei Stunden ist der Film recht lang geraten und in der Postproduktion scheint ein ganzer Handlungsstrang geschnitten worden zu sein. Denn es ist kaum verständlich, warum die gerade zugezogene Mutter nach ein paar kurzen Gesprächen mit dem Nachbarn so in dessen Fängen landet, dass sie mit dem Verrat ihres Sohnes den unverzeihlichsten Sündenfall des Films begeht.
Frauke Lodders Stärken liegen bei der Regie. Ihr gelingt mit „Gotteskinder“ trotz der Mängel in der Dramaturgie zugleich ein stimmiges Familiendrama, das darüber aufklärt, mit welchen Mitteln erzkonservative Christen heute junge Menschen einfangen.
Frauke Lodders ist der Bremer Filmszene seit ihrem Debütfilm „Morpheus“ im Jahr 2014 verbunden. „Gotteskinder“ wurde zwar in Nordhessen gedreht, aber von der Bremer Firma Kinescope Film produziert und von der Nordmedia gefördert. Deshalb fand die Premiere des Films am 30. Januar im Bremer City 46 um 20 Uhr als ein Heimspiel des Bremer Filmbüros statt.
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