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Spielfilm „Frantz“ im KinoDie Väter haben nicht Nein gesagt

Deutsch-französische Verwirrungen: François Ozons brillanter Spielfilm „Frantz“ spielt kurz nach dem Ersten Weltkrieg.

Adrién (Pierre Niney) und Anna (Paula Beer) sprechen über den auf dem Schlachtfeld gestorbenen Frantz Foto: XVerleih

Es ist ein Art modische Gesprächsprovokation geworden zu behaupten, dass das Kino heutzutage einfach nicht mehr so interessant sei wie das Fernsehen, genauer gesagt „die Serien“. Die These hat den Vorteil, zu breit zu sein, um sie je ganz widerlegen zu können. In ihr drückt sich eine vielleicht berechtigte Unzufriedenheit mit dem Blockbusterkino aus, den Glanz- und Großprodukten, die mit raffinierten Werbekampagnen alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen, aber selten etwas Substanzielles zur Gegenwart, zum Hier und Heute zu erzählen haben.

Allein schon um solche Frustrationen zu lindern, lohnt sich das Ticket für François Ozons „Frantz“: ein Film, der Film genug ist, um weder in seinem Thema – die Folgen des Ersten Weltkriegs – noch in seinem Genre, dem Melodrama, völlig aufzugehen, sondern einen ganz unvermittelt in seinen Bann zieht. Und außerdem an eine der großen Stärken des filmischen Erzählens erinnert: Er muss überhaupt nicht in der Gegenwart spielen, um sich „absolut modern“ anzufühlen.

Denn genauso behände, wie Ozon zu Beginn von „Frantz“ von Farbe zu Schwarz-Weiß überblendet, ist man als Zuschauer in der Epoche der Filmhandlung angekommen: Eine junge Frau auf dem Friedhof einer deutschen Kleinstadt. Der Erste Weltkrieg ist gerade erst vorüber. Eine bleierne Trauer hat sich wie Nebel, der sich nicht auflösen will, über alles gelegt. Es sind die Toten, die in ihrer schmerzlichen Abwesenheit den Alltag der Lebenden bestimmen.

Die junge Frau, Anna (Paula Beer, die für diese Rolle eben erst als beste Nachwuchsschauspielerin auf dem Festival in Venedig ausgezeichnet wurde) hat ihren Verlobten Frantz verloren und damit eine ganze Zukunft, die nun nicht mehr stattfinden wird. Doch sich dazu eine Alternative zu suchen, erscheint ihr wie Verrat.

So lebt Anna als zärtlich angenommene Schwiegertochter bei den Eltern von Frantz, die vom Tod des einzigen Sohns ihres Lebensinhalts beraubt sind. Den Werbungsversuchen des aus seiner deutschnationalen Gesinnung keinen Hehl machenden Kreutz (Johann von Bülow) widersetzt sie sich so stur wie dessen falschen Tröstungen: Sie nimmt den andauernden Schmerz in Kauf, weil sie ihren Frantz nicht vergessen will.

Aus der Zeit vor dem Krieg

In diese Konstellation von Trauer, Verhärtung und Verdrängung tritt nun ein Fremder ein, der mysteriöserweise Blumen auf dem Grab von Frantz hinterlässt. Anna findet heraus, dass es sich um einen Franzosen handelt. Was einen merklichen Skandal darstellt, denn der Hass auf den Kriegsgegner und „Erbfeind“ ist in der deutschen Kleinstadt kein vereinzeltes Ressentiment, sondern ein kollektiv geteiltes Anliegen.

Wenn Adrien (Pierre Niney) durch die Gassen spaziert oder sich zum Abendessen ins Wirtshaus setzt, verfolgen ihn im besten Fall abgrenzende Blicke. „Der Franzose“ steht darin „den Deutschen“ gegenüber und die „Stammeszugehörigkeit“ überlagert jedes Interesse an individuellen Motiven. Nicht so für Anna, der es gelingt, aus dem schüchtern und wirr auftretenden Adrien den Grund für dessen Blumen am Grab ihres Verlobten herauszulocken: Adrien will Frantz gekannt haben. Aus der Zeit vor dem Krieg, als Letzterer in Paris studierte.

Frantz muss überhaupt nicht in der Gegenwart spielen, um sich „absolut modern“ anzufühlen

Auf die Trauernde hat diese Auskunft eine gleichsam wiederbelebende Wirkung, fast so, als erhalte sie über Adrien neue Nachrichten von ihrem Geliebten aus dem Jenseits. Es ist eine Wirkung, die Anna eiligst mit ihren Schwiegereltern teilen möchte. Zwar zeigt sich der Vater Hans Hoffmeister (mit hölzerner Strenge großartig gespielt von Ernst Stötzner) anfangs unwillig, da für ihn in jedem Franzosen der Mörder seines Sohnes steckt.

Aber Adriens Berichten von gemeinsamen Unternehmungen wie Louvre-Besuchen und Geigespielen kann auch er sich nicht lange widersetzen. Allzu gut erfüllen sie das elterliche Bedürfnis, noch ein Mal in Kontakt zu treten mit dem Verstorbenen.

Wacht am Rhein vs. Marseillaise

Adrien wird zum gern gesehen Gast im Haus der Hoffstetters, wo man sich nicht satt hören kann daran, wenn er von Frantz erzählt – und manche Szene auf einmal aus Schwarz-Weiß wieder ins Farbige wechselt. Auch wenn sich im leicht erratischen Verhalten von Adrien andeutet, dass seine Schilderungen nicht ganz der Wahrheit entsprechen, findet nichtsdestotrotz eine berührende Aussöhnung statt. Vater Hans trägt sie sogar bis ins Wirtshaus, wo er in einer der stärksten Szenen des Films vor den anderen „verwaisten“ Vätern seiner Generation bekennt, dass doch auch sie Mitschuld am Tod der Söhne tragen, weil sie sie so willfährig in diesen Krieg geschickt hätten.

„Frantz“

„Frantz“. Regie: François Ozon. Mit Paula Beer, Pierre Niney u. a. Frankreich/Deutschland 2016, 113 Min.

Wie François Ozon selbst bekennt, hat er diese Szene „übernommen“ aus der ersten Verfilmung, die es vom zugrunde liegenden Theaterstück von Maurice Rostand gibt, Ernst Lubitschs „Broken Lullaby“ von 1932. Wie überhaupt Ozon über Filmzitate und Kameraeinstellungen ein weiteres Mal eine Vielzahl an Spuren auslegt, die seine Art von Kino als praktizierte Cinephilie ausweisen.

Dabei ragt ein Moment heraus, weil Ozon darin eine der wohl populärsten Szenen der Filmgeschichte wahrhaftig „umdreht“: Im letzten Drittel des Films fährt Anna nach Frankreich, um Adrien zu suchen. Die kollektiven Reaktionen auf die Deutsche spiegeln das Ressentiment, das Adrien erdulden musste, nur um Geringes abgeschwächt wieder. Wo gegen den Franzosen an einer Stelle eine Gruppe von Männern feindselig „Die Wacht am Rhein“ anstimmte, erlebt Anna, wie in ihrem Rücken mit geradezu bedrohlicher Inbrunst die „Marseillaise“ gesungen wird. Und wo das spontane Singen genau dieser Hymne einst in Ricks Café in „Casablanca“ eine aufmunternde Szene des populären Widerstands und der Kraft des Subversiven war, drängt sich bei Ozon die Blutrünstigkeit des Textes in den Vordergrund.

Der Konflikt bleibt

Es ist dieses letzte Drittel, das aus „Frantz“ mehr macht als die einfache Nacherzählung eines Stoffs aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Anders als im Lubitsch-Film rückt nun in einem Akt der eigenwilligen Emanzipation die Figur der Anna ganz in den Vordergrund. Denn bevor er überstürzt aus Deutschland abreiste, hat Adrien ihr die Wahrheit darüber erzählt, was ihn ans Grab von Frantz brachte. Die Enttäuschung darüber, belogen worden zu sein, bewirkt bei Anna ein endgültiges Erwachen aus der Trauerstarre. Schließlich reist sie Adrien hinterher, aus Motiven, die in typisch Ozon’scher Weise ambivalent bleiben: Ist sie in den Franzosen verliebt? Will sie einfach mehr über ihn erfahren? Versucht auch sie, sich von einem Schuldgefühl zu befreien?

Die oft zitierte „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ hat man selten so deutlich filmisch umgesetzt gesehen: Durch die Augen seiner Protagonistin stellt Ozon der Strenge und Enge der deutschen Kleinstadt die Welt der französischen Bourgeoisie entgegen. Anfangs wie geblendet von Kultiviertheit und Großzügigkeit, sieht sich Anna aber mit einem gewollten Klassengegensatz konfrontiert, der deutscher Kleingeistigkeit in nichts nachsteht.

Wie oft in seinen Filmen, löst Ozon am Ende den Konflikt nicht wirklich auf. Adriens Motive bleiben so vieldeutig wie Annas Gefühle, und der Film lässt den Zuschauer zurück mit verschiedenen Deutungsmöglichkeiten. Was die einen als unbefriedigend empfinden mögen, stellt für andere eine große Qualität dar: „Frantz“ gehört zu den Filmen, die im Kopf des Zuschauers weitergehen.

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