Spielekonsole verkauft sich 50 Millionen Mal: Wii... schön!
Die Videospiele-Konsole von Nintendo toppt alle Erwartungen: 50 Millionen Mal wurde die Wii bereits verkauft - das schaffte die Konkurrenz gerade mal zusammen. Ein Trendbericht.
Wenn man am Schülerladen „Schmuddelkinder“ in Berlin-Schöneberg vorbeispaziert, kann man durchs Fenster Kinder beobachten, die vor einer gewaltigen Beamer-Projektion hüpfen und sich winden. Sie spielen mit der Wii-Konsole von Nintendo, meistens eine Golf-Version, in der sie den Controller, genannt „Remote“, in der Hand halten, als wäre es ein Golfschläger – und damit ihr AlterEgo, genannt „Mii“ auf der Projektion steuern. Und an der Scheibe drücken sich Erwachsene und Kinder neidisch die Nasen platt.
Die Videospielkonsole Wii der japanischen Firma Nintendo ist zwei Jahre nach dem Start im November 2006 zu einem Phänomen geworden. Nun wurde die 50 Millionen-Marke geknackt: So viele Konsolen hat Nintendo inzwischen verkauft, berichtet Firmenchef Satoru Iwata stolz am Mittwoch anlässlich der Game Developers Conference in San Francisco. „Wir haben mehr Konsumenten erreicht als jemals zuvor.“
Damit verkaufte Nintendo so viele Wii-Konsolen wie seine Konkurrenten Microsoft (30 Millionen „Xbox 360“) und Sony (21 Millionen „Playstation 3“) zusammen. Und keine Konsole hat sich bislang schneller verkauft als die Wii. Diese Entwicklung überrascht umso mehr, als der Nintendo noch mit dem Wii-Vorläufer GameCube weit abgeschlagen hinter den Konkurrenten zurücklag.
Genau so wie Comics oder Rockmusik tritt inzwischen auch das Videospiel aus der kulturellen Nische. Keine Konsole steht für diesen Einbruch in den Mainstream wie die Wii. Hat sich die Familie bislang an verregneten Sonntagnachmittagen zum „Mensch ärgere Dich“ oder „Siedler von Catan“ zusammengefunden – so geht das nun auch vor der Wii.
Angesichts der Bewegung, der Interaktivität und auch der intellektuellen Anforderungen der Wii-Videospiele fällt es schwer, einen Grund zu finden, warum es noch pädagogisch wertvoller sein sollte, beim Brettspiel zu würfeln, als auf dem Balancebord reihum von der virtuellen Sprungschanze von „WiiFit“ zu springen oder gemeinsam bei „MySims“ eine virtuelle Stadt zu errichten.
Weil die Wii mit ihren bewegungsempfindlichen Controllern den ganzen Körper in die Steuerung der Videospiele einbindet, findet sie bereits Eingang in die Rehabilitation von Kranken, vereinzelt sogar in der Musik: So steuert Martin Gretschmann von der deutschen Independentgruppe Notwist seinen Sequenzer während eines Konzerts bereits mit der Wii Remote.
Tatsächlich war die Wii aus der Not geboren. Bis Ende 2006, als sie auf den Markt kam, war der Konsolenmarkt von der Frage beherrscht: „Wer hat die beste Grafik?“ Und Nintendo konnte in diesem Wettstreit nicht mit Sony und Microsoft mithalten. Die Japaner verfielen in der Krise auf die „Blue Ocean Strategie“: Um Dich gegen die Konkurrenz zu behaupten, musst Du neue Märkte erschließen.
Statt auf nerdige Computerfreaks setzte Nintendo nun auf die ganze Famile als Zielgruppe – und erfand eine Steuerung, die dem Telespiel das Stigma des Herumsitzens nahm: Die „Remote“ und den „Nunchuk“ - und das 2007 hinzugefügte „BalanceBoard“, eine Art Waage zum Steuern, die inzwischen 14 Millionen Mal verkauft wurde.
Die Controller haben Bewegungssensoren, die registrieren, wie sie im Raum gehalten werden. Das „BalanceBoard“ misst, wie man sein Gewicht auf die Füße verteilt. Mit beiden lassen sich also Bewegungen des Spielers erfassen. Die übliche Fingerakrobatik beim Bedienen kleiner mit Knöpfen und Joysticks überladenen Kontroller-Ungeheuer weicht so dem Einsatz des gesamten Körpers mit einem Minimum an Tasten.
Und auch bei den angebotenen Spielen vollzog sich ein Wandel: Denn bei der Wii rückt nun das „Partyspiel“ in den Vordergrund – anstelle des einsamen Kämpfers gegen die Maschine spielen eher mehrere Personen gemeinsam vor der Konsole. Diese beiden Argumente brachten viele Eltern dazu, die Wii zu kaufen, wenn schon eine Konsole ins Haus muss.
Denn an einer Konsole kommen Eltern kaum noch vorbei – in Deutschland haben 44 Prozent aller Haushalte mit Kindern eine oder mehrere neben dem Fernseher stehen. Sicher spielt dabei auch eine Rolle, dass nun die erste Generation Eltern wird, die selbst mit Telespielen im Haus aufgewachsen ist.
Trotzdem war der Siegeszug der Wii kein Selbstläufer – und Nintendo stand sich dabei lange selbst im Weg. Im Jahr 2004 war es der Firma nicht mehr gelungen, nennenswerte Exklusivsoftware für den Wii-Vorläufer GameCube zu aquirieren. Die großen Spieleschmieden konzentrierten sich eher auf die boomenden Konsolen Playstation und Xbox – die vor allem aufwendige Grafiken verlangten. Nintendo selbst wiederum konzentrierte sich mit Eigenentwicklungen damals auf seine tragbare Konsole Nintendo DS.
Und so gab es zum Start der Wii eigentlich nur wenig originelle Software – und erschreckend wenig Spiele, die die neue Steuerung tatsächlich einsetzten. So konnte man das beliebte „Lego Star Wars“ zwar auch für die Wii bekommen. Das einzige, wozu man die Remote richtig einsetzten konnte war aber nur zum Ziehen des Laserschwerts. Selbst bei dem speziell für die Wii im Auftrag von Nintendo entwickelten „Mario Striker Charged Football“ nutzt lediglich die Funktion der „Blutgrätsche“ die Bewegungsensoren.
Auch die Charaktere der Nintendo-Welt, die Klempner Mario und seine Freunde Luigi und Co, sind nicht wirklich gelungen. Die Kinder streiten sich im Ergebnis meist, wer den Gorilla „Donkey Kong“ spielen darf. Besonders grauenhaft sind die weiblichen, Barbie-haften Charaktere „Peach“ und „Daisy“.
Zudem ist auch die Animation der Nintendo-eigenen Entwicklungen, die die neuen Controller besser einsetzte, wie etwa „WiiSports“ oder „WiiMusik“ schlicht grauenhaft. Zwar ist der Grafikchip der Wii-Konsole weniger leistungsfähig als bei der Konkurrenz. So lausig, dass man solche Bauklotz-Ästhetik einsetzen muss, ist er aber nun auch wieder nicht. Das beweisen Spiele-Klassiker wie „Need For Speed“ oder das erwähnte „Mario Striker Charged Football“, das wenigstens die verstaubten Nintendo-Figuren einer leichten Renovierung unterzog.
Es ist erstaunlich, wie wenig diese Mischung aus Nintendo-Behäbigkeit und Ignoranz der großen Softwareschmieden dem Erfolg der Wii im Wege standen. Und so wird auch auf den Wii-Konsolen bislang wahrscheinlich immer noch überwiegend klassisch fingerdominiert gespielt, wie auf den beiden anderen Systemen auch.
Inzwischen jedoch mehren sich Spieletitel, die nicht nur die Möglichkeiten der Bewegungssensoren nutzen, sondern auch gutes Gameplay bieten.
Beispielhaft für das, was derzeit auf der Wii möglich ist, wäre der Titel „Rayman Raving Rabbids TV-Party“ vom französischen Softwarehaus Ubisoft. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Minispielen, die als ein von durchgeknallten weißen Kaninchen kontrolliertes interaktives Fernsehprogramm aufgezogen sind.
Man kann auf dem BalanceBoard, das Nintendo bislang 14 Millionen Mal verkaufte, wahlweise im Stehen durchs Weltall surfen, auf dem Hintern Hügel runterrodeln, störende Zombiekaninchen mit der Remote aus dem Filmset ballern, sein Kaninchen szenetauglich einkleiden oder mit Controllern in beiden Händen zu „Soul Bossanova“ Diskofiguren nachtanzen.
Hier stimmt alles: gute Grafik, anarchische Figuren, abwechslungsreiches Spiel im Kreis von bis zu acht Personen und der volle Einsatz des Körpers. Das Spiel steht damit prototypisch für das interaktive und bewegte Familienspiel, das die Wii ermöglicht. Und so wird eine Spielewelt sichtbar, die so ganz anders ist, als die Welt der Egoshooter und Internet-Rollenspiele, die die öffentliche Debatte über solche Spiele dominiert.
Bislang hüllt sich Nintendo über seine weitere Entwicklung in Schweigen. Die Gerüchte um die Wii2 gehen eher in Richtung HD-Auflösung als neue Steuerungsinnovationen. Und vor 2011 wird sie kaum herauskommen. Man ruht sich auf seinem Erfolg aus. Und es bleibt abzuwarten, wie Sony und Microsoft reagieren werden. Denn dass sie Nintendo nacheifern müssen, ist angesichts der Verkaufszahlen mehr als offensichtlich.
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