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Spendenprozeß abgewürgt

Staatsanwaltschaft verzichtet auf Anklage des CDU-Schatzmeisters Neuhaus  ■ Aus Stuttgart Erwin Single

Die in den baden-württembergischen Parteispendenprozeß verstrickte Polit-Prominenz kann sich bald ins Fäustchen lachen: Der Drahtzieher und Hauptaquisiteur der unversteuerten Parteispenden, der frühere CDU-Landesschatzmeister Alfred Hubertus Neuhaus wird sich voraussichtlich nicht vor Gericht wegen fortgesetzter Anstiftung zur Steuerhinterziehung verantworten müssen. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft teilte am Dienstag mit, sie werde die Anklage zurücknehmen und statt dessen einen Strafbefehl in Höhe von 312.000 D-Mark gegen Neuhaus beantragen. Die Anklagebehörde begründete ihre Zustimmung zu einem entsprechenden Vorschlag der 11. Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts damit, daß „der Sachverhalt inzwischen geklärt“ sei, und „eine Hauptverhandlung gegen Neuhaus zu schwerwiegenden Verjährungsfolgen führen würde“.

Die Kammer hatte mehrfach für die Nichteröffnung der Hauptverhandlung ihre Überlastung angeführt, obwohl das Gericht personell aufgestockt wurde, um den Prozeß noch vor der Verjährung im Herbst nächsten Jahres zu bewältigen. Nun erklärte Oberstaatsanwalt Dieter Jung, Neuhaus' Rolle als Schatzmeister bei der Spendenbeschaffung sei in den Verfahren gegen die Industriellen Helmut Eberspächer und Hans Merkle ausreichend erörtert worden; ein weiteres Verfahren zum selben Themenkomplex würde nichts Neues erbringen. Der Anklagebehörde zufolge hat Neuhaus durch seine Verteidiger bereits signalisieren lassen, daß er den Strafbefehl, akzeptieren will.

Gegen den Heidelberger Zigarrenfabrikanten Neuhaus, der als einziger Politiker im baden-württembergischen Parteispendenskandal die Anklagebank drücken sollte, hatte die Staatsanwaltschaft nach jahrelangen Ermittlungen bereits im Sommer 1988 Anklage erhoben. Zahlreiche Zeugen im Merkle-Prozeß, darunter Ministerpräsident Lothar Späth und dessen Vorgänger, Hans Filbinger, hatten dem „Sündenbock“ Neuhaus (Merkle-Verteidiger) den Schwarzen Peter in die Schuhe geschoben: Er allein soll die dunklen Wege durch diverse Spendenwaschanlagen ersonnen, geebnet und gekannt haben, über die Spendengelder am Fiskus vorbei in die Parteikasse der CDU geschoben wurden. Merkle-Richter Teichmann verdächtigte den CDU-Kassierer sogar der „Feuerbestattung“. Als die Ankläger 1982 bei Neuhaus belastendes Material sichern wollten, waren einige Objekte der staatsanwaltschaftlichen Begierde vor deren Augen verbrannt. Dennoch entpuppten sich die beschlagnahmten Schreiben und streng vertaulichen Dossiers des Vorzeigeangeklagten im Wartestand als wahre Fundgrube, in denen das schwäbische Finanzierungsmodell des ersten und zweiten Wegs offengelegt wurde, von dem die übrigen CDU-Spitzenpolitiker nichts gewußt haben wollten. Mit der Anklagerücknahme muß nun keiner der Politiker eine öffentliche Verhandlung mehr fürchten.

Dieter Spöri, der SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag, bezeichnete die Rücknahme der Neuhaus-Anklage als einen neuen Höhepunkt im baden-württembergischen Justizskandal um die Aufarbeitung der Parteispendenaffäre, nach der Verschleppung von Strafverfahren gegen Spitzenpolitiker, die unter dringendem Tatverdacht standen, und dem Verzicht auf ein Ermittlungsverfahren gegen Ministerpräsident Späth wegen Falschaussage. Eine Zeugenvernehmung der CDU-Führung im Neuhaus-Verfahren hätte deren Widersprüche aus dem Merkle-Prozeß aufklären können.

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