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Spaziergang durchs SzeneviertelDie Gentrifizierung und ihre Kinder

Den Absturz zum Galao-Strich hat man dem Hamburger Schulterblatt prophezeit. Dann kamen hippe Ketten, einige alte Läden blieben.

Einige Schulterblatt-Läden behaupten sich gegen Ketten: ohne Soja-Milch im Kaffee. Bild: dpa

HAMBURG taz | „Gentrifizierung – ist doch ein alter Hut“, sagt die Besitzerin des Schmuckladens „Schokofeh“ im Schulterblatt. Ihr Schmuck ist reduziert, 30 Prozent und mehr auf Armbänder, Ketten, Ohrringe und alles, was sonst noch so in ihrem Schaufenster glitzert.

Auch Streetart-Gürtel mit bunten Graffiti-Schriftzügen darauf hat sie, aber die sind nicht reduziert. „Ausverkauf ist das nicht!“, stellt die Inhaberin klar. „Seit 13 Jahren habe ich den Laden und jedes Jahr am Ende des Winters ist alles reduziert.“ Ganz normal. Wie die Gentrifizierung in der Schanze, über die schon so viel gesagt worden ist.

Bruno Blockus, der Besitzer von Brunos Käseladen, fragt, ob die Schanze überhaupt noch ein Thema ist. Zwar lässt sich der 64-Jährige noch zu einem grummeligen „Früher war alles besser“ hinreißen, während er einen zwölf Kilo schweren Gouda-Laib ins Regal hievt. „Aber bald redet da auch keiner mehr drüber“, meint er.

Es ist schwierig, etwas über die sogenannte Aufwertung des Hamburger Schanzenviertels zu sagen, das noch nicht gesagt worden ist. Aber dann erzählen sie doch alle. Über die steigenden Mieten, dass die Vermieter skrupellos seien, und dass man als Gewerbetreibende dem Markt komplett ausgeliefert sei.

Der Schutz, den MieterInnen von Wohnraum gegenüber ihrem Vermieter haben, existiert bei Gewerbeverträgen nicht. Grundlage des Rechtsverhältnisses ist einzig, was die beiden Parteien ausgehandelt haben. „Papier ist geduldig“, sagt Marc Meyer von Mieter helfen Mietern, „in so einen Vertrag kann man als Vermieter vieles reinschreiben“.

Der MieterInnenanwalt formuliert die Position der GewerbemieterInnen so: „Der Mieter hat den Laden, der ihm aber nicht gehört, und den viele haben wollen. Da hat er natürlich eine schlechte Verhandlungsposition.“

Bruno Blockus hat, um mit seinem Käseladen zu überleben, sein Konzept angepasst – wie viele seiner Nachbarn. Seit 20 Jahren betreibt er den Käseladen im Schulterblatt 60. Seit sieben Jahren hat er im Sommer eine Außengastronomie.

„Weil ich clever bin“, sagt er, „sonst wäre ich schon längst hier weg.“ Von März bis September stellt Blockus Tische und lange Bänke auf den Fußweg vor seinem Laden und serviert hausgemachte Flammkuchen. Läuft super, Flammkuchen und Weinschorle, das passt aufs Schulterblatt.

Andere Läden helfen sich anders. Der Super Mercato Italiano an der Piazza gegenüber der Flora hält, wie es scheint, so stur an seinem Konzept fest, dass aller Wandel an ihm abperlt.

Wer einen Cappucino mit Sojamilch bestellt, erntet genauso verächtliche Blicke, wie jemand, der sein Bruschetta mit Messer und Gabel isst. Hier ist nicht der Ort für Sojamilch. Und der Familienbetrieb, der sich seit 1974 am Schulterblatt 74 hält, kann es sich trotzdem leisten, um 18 Uhr dichtzumachen.

Vielleicht ist der Soja-Chai-Latte-To-Go gar nicht mehr so begehrt? Sind die Zeiten derer, die Weißweinschorle trinkend mit ihrem Macbook in der Bar gegenüber sitzen und gegen Mitternacht „nur noch ein paar E-Mails beantworten“, weil sie zu Hause nicht so gut arbeiten können,vorbei? Schließlich kann sich auch der Wandel irgendwann mal wandeln. Und die erste Generation der Läden, die mit der Gentrifizierung kamen, ist schon längst weiter gezogen.

American Apparel, die hippe und politische korrekte Klamottenladenkette, ist weg. Store 2, ebenfalls ein Klamottenladen, ebenfalls eher hip, hat nun auch geschlossen. Die Wohngeschwister um die Ecke, „ein bischen schick, ein bisschen retro, ein bisschen ethno“, so beschreiben sie sich selbst, können die Mieterhöhung von 65 Prozent nicht zahlen und geben den Laden in der Schanzenstraße auf.

Aber was kommt danach? Back to the Roots oder Gentrification Next Level? Darauf gibt es verschiedene Antworten und das kann man im allgemeinen Abgesang auf den inhabergeführten Einzelhandel und das Vordringen der Schnöselketten ja durchaus ermutigend finden. Nach American Apperal jedenfalls kommt Justcom und Justcom ist Next Level.

Die neue Nachhaltigkeit

Durch und durch gläsern wirkt der Laden, in dem nichts steht außer einem kleinen Verkaufstresen, einem lederbezogenen Sofa mit Beisteller, niedrigem Tisch und einer Milchglaskabine.

Hier wird auch gar nichts verkauft. Die Milchglaskabine ist die gläserne Werkstatt, hier wird repariert: Laptops, Tablets und Smartphones sollen die KundInnen hierher bringen, wenn sie kaputt gehen. So ein Iphone zum Beispiel fällt ja schnell mal runter. Das kann man hier ausbessern lassen, für 99 Euro, statt für 600 ein neues zu kaufen.

Das ist genau der Grund, warum der Laden so gut in die Schanze passt, meint Marcus Obertaxer. Er ist einer der drei Gründer von Justcom. 31 Jahre alt, strahlend blaue Augen, frischer Teint. Sein grau-blaues Longsleeve hat am Ausschnitt eine ausgefranste Naht.

„Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit sind uns wichtig“, sagt er. „Wir verkaufen ja auch gar nichts.“ Jedes Jahr würde tonnenweise Elektroschrott produziert, weil die Leute ihre Geräte wegschmissen und sich neue kauften. Dabei könne man fast alles reparieren. Damit wende man sich quasi bewusst gegen den puren Konsum.

„Wir sind ja auch keine Kette, sondern ein junges Hamburger Unternehmen“, sagt Obertaxer. 2009 hat er Justcom zusammen mit seinem Bruder und einem Freund gegründet, mittlerweile gibt es fünf Filialen.

Der Laden am Schulterblatt, Ecke Schanzenstraße, hat vor drei Monaten eröffnet. „Bei diesem prominenten Standort mussten wir schnell zugreifen, bevor hier noch eine Bar oder eine Kette einzieht“, meint Obertaxer. Die Resonanz sei bis jetzt sehr gut, auch aus der Nachbarschaft. Das Publikum hier hält er für umweltbewusst, Ökostrom-User und Biomarktkunden. Deshalb hat er auch keine Angst vor eingeschmissenen Scheiben: „Hier kommen niemals Rollläden ran.“

Im gleichen Haus, zwei Eingänge weiter, hat noch ein neuer Laden aufgemacht, ein fast supermarktgroßer Kiosk. „Bigi‘s Shop“ steht weiß auf rotem Grund darüber, „Tabakwaren, Getränke, Presse, Snacks“.

Optisch eine andere Welt als „Justcom‘“ mit seinem grün-blauen Schriftzug, der nach Design-Werkstatt aussieht. Im letzten Oktober ist Bigi mit seiner ganzen Belegschaft vom Kiez hierher gezogen. Sieben Jahre haben seine Frau und er den Kiosk in der Hein-Hoyer-Straße betrieben. „Zu viel Stress“, sagt Bigi auf die Frage hin, warum sie dort geschlossen haben.

Kurze Zeit später habe er die Entscheidung bereut. Die Räume am Schulterblatt, wo früher Edeka Express war, standen leer. Der Vermieter ist der gleiche wie der von Justcom, aber den kennt man als Inhaber sowieso nicht. „Läuft alles über den Makler“, sagt Bigi. „Manche Leute trauern dem Edeka hinterher“, erzählt er. „Die denken, wir hätten den vertrieben, aber wir haben damit ja gar nichts zu tun!“

Angst vor eingeschmissenen Scheiben hat der Inhaber trotzdem nicht. „Ich kenn‘ die Leute hier“, sagt er. „Ich bin auf St. Pauli aufgewachsen. Und ich war auch mal Autonomer.“ Man glaubt es ihm. Ganz in Schwarz steht er in seinem Laden, mit schlichter schwarzer Wollmütze auf dem Kopf. Aber warum der hundertste Kiosk in der Schanze? „Naja“ sagt Bigi, „entweder du machst mit oder du guckst zu.“

Scherben als Konzept

An der Ecke gegenüber hat man offenbar auch keine Angst mehr vor eingeschlagenen Scheiben. Der Klamottenladen „Kauf dich glücklich“ hat einen anderen Umgang mit der „Entglasung“ gefunden und lässt die Scheiben einfach, wie sie sind: zersprungen, überklebt, angesprayt. „Passt eigentlich ganz gut hier hin“, findet ein Mitarbeiter der Marketingabteilung. Und irgendwas scheint der Laden richtig zu machen, mittlerweile gibt es drei „Kauf dich glücklich“-Filialen im Schanzenviertel.

Was hier richtig ist, kann keiner genau sagen. Genauso wenig, wie man mit Sicherheit sagen kann, wo die Entwicklung hingehen wird. Ob die Zeit für die kleinen Schallplattenläden spielt oder ob H&M doch noch irgendwann kommt. Ob Urgesteine, wie der Schreibwarenladen Hansen oder der Schlüsselhersteller Reese irgendwann schließen müssen.

Ob das alles irgendwann niemanden mehr interessiert, weil sich sowieso niemand mehr für die Schanze interessiert. Bis es soweit ist, kann man hier zusehen, wie sich der Wandel wandelt. Notfalls bei einem Glas Weißwein auf dem Galão-Strich.

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1 Kommentar

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  • Das Schanzenviertel ist nicht der typische Ort der Gentrifizierung. Das liegt allerdings weniger an den lokalen Ladeninhabern, als daran, dass es dort ein alternatives Stadtteilzentrum und damit auch eine Menge Aufmerksamkeit gibt.

     

    Noch 1982 war die Schanze ein staubiger Arbeiterwohnort mit vielen Migranten und niedrigen Mieten und Pachten. Wäre die Flora nicht dort, wären deren Anhänger nicht konfliktbereit, die Schanze wäre den Weg anderer Stadtteile konsequent gegangen.

     

    Aber die echte Gentrifizierung, die passiert dort, wo man es nicht erwarten würde, in Dulsberg, Barmbek, Lokstedt, Stellingen, Fuhlsbüttel, Langenhorn, Osdorf, Harburg, Dehnheide - sie passiert dort, wo eigentlich eher unscheinbare Stadtteile aufgewertet werden, weil Investoren dort teure Mietwohnungen und Eigentumswohnungen erstellen.

     

    Die Idiotie, die sich dahinter verbirgt, ist das Konzept der Aufwertung: Leben irgendwo viele Arme, Arbeitlose und Migranten, findet die Politik es toll, denen 400 bis 600 Eigentumswohnungen vor die Nase zu donnern, dazu nochmals 1000 teure Mietwohnungen. Die Idee ist, dass die neuen Menschen aus der oberen Mittelschicht, die armen an die Hand nehmen und durch ihre Präsenz und Kinder alles nach Oben ziehen.

     

    Bei einem von Investoren geprägten Markt und stagnierenden Löhnen für Normalos verdrängen aber diese Mieter und Käufer nur die alte Bevölkerung und reinigen diese Stadtteile. Sie werten die nicht auf, sondern sie brechen die Durchmischung auf und vernichten günstige Quartiere, die Großstädte immer brauchen.

     

    Häufig lassen sich sogar Lokalpolitiker sofort darauf ein, an diesem Prozess mitzuwirken, da werden bessere Straßen, Grünanlagen, Spielplätze gebaut, alte rostige Absperungen entfernt, das Ganze wird rausgeputzt. Man sollte nie vergeßen, dass Pöseldorf, dass Winterhude/Mühlenkamp mal Studenten/Arbeiterquartiere waren. Heute sind sie es nicht mehr.