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Spaß beiseite, Herbert kommt

■ Herbert Brückner entschied erste Runde vorm Untersuchungsausschuß für sich / Von kriminellen Machenschaften nie etwas erfahren / Ausschußmitglied Klein stimmte für Galla-Beförderung

War es Taktgefühl oder Nachlässigkeit? Dem einzigen Zeugen vor dem St.-Jürgen Ausschuß blieb gestern die Routinefrage nach seinem Beruf, auf die bislang selbst Senatoren und Bürgermeister Auskunft geben mußten, erspart. Der Zeuge Herbert Brückner hätte antworten müs

sen: „z. Zt. Bürgerschaftsab geordneter, Gesundheitssenator a.D. und SPD -Parteivorsitzender a.D. (wobei Brückner allerdings größten Wert darauf gelegt hätte, daß der Parteivorsitz ein unbezahltes Ehrenamt sei).

Fast ein halbes Jahr hat es gedauert, ehe die heimliche Haupt

figur des St.-Jürgen-Ausschusses leibhaftig auf der Zeugenbank vor dem Ausschuß Platz nehmen durfte. Und auch gestern ließ der Ausschuß den Zeugen Brückner erst einmal warten, um in halbstündiger interner Sitzung die gemeinsame Vernehmungsstrategie „abzuklären“.

Kein Zweifel, wäre Herbert Brückner heute noch Gesundheitssenator, er wäre es schon nicht mehr. Er wäre zurückgetreten. Obwohl Brückner auch gestern in einer grundsätzlichen Stellungnahme zu den bisherigen Vorwürfen erklärte, er habe zu keinem Zeitpunkt etwas von „kriminellen Machenschaften“ seines Klinikdirektors Galla gewußt, ließ Brückner keinen Zweifel an seiner „politischen Verantwortlichkeit“ für die inzwischen offenkundig gewordenen Verfehlungen Gallas. Brückner: „Weiße-Kragen -Kriminalität im öffentlichen Dienst wiegt für mich doppelt schwer. Sie führt zu einem Glaubwürdigkeitsverlust der Demokratie insgesamt. Die politische Verantwortung dafür trage ich. Ich hätte die Konsequenzen gezogen, auch wenn mich persönlich keine Schuld trifft“ - eine kaum verhohlene Kritik an seinem ehemaligen Amtskollegen Bernd Meyer.

So eindeutig Brückner sich „moralisch“ verantwortlich zeigte, so nachdrücklich bestritt er Nachlässigkeiten seiner Amtsführung, die das Galla-Debakel erst ermöglicht hätten. Brückner: „Es gab - bis auf zwei Kaffeebesuche - während meiner Amstzeit keine privaten Kontakte mit Galla.Es gab ein anfangs normales, sich später immer weiter verschlechterndes Dienstverhältnis. Es gab mehrere Überlegungen, Herrn Galla abzulösen oder zu versetzen, nur gab es dafür keinerlei beamtenrechtliche Handhabe.“

Herbert Brückner, ehemals Senator und oberster Dienstherr Aribert Gallas, führte dem Ausschuß mit bestechender Präzision eine detaillierte, ironisch wortwitzige und überzeugende Variante seiner Galla-Jahre vor, daß selbst Kreuzverhörs-Oberstratege Günter Klein nicht ein einziges Mal seinen Fragefuß in möglicherweise vorgeschützte Gedächtnislücken oder gemutmaßte Widersprüche des Zeugen brachte. Stattdessen mußte er sich von Brückners sprachlogischer Präzisionsarbeit ein ums andere Mal die eigenen Fragn sortieren lassen. Mit sichtlichen Vergnügen und der gleichen Sorgfalt, mit der er nebenbei Mandarinen

pulte, analysierte Brückner die vernehmunstaktischen Schrotschüsse und fragetechnischen Versuchsballons seiner Kiontrahenten in „Wertung“, „Unterstellung“ und „Sachklärung“, um anschließend erstere mit höflicher Bestimmtheit zurückzuweisen und letztere mit intimer Sachkenntnis zu beantworten.

Sicher, man mochte sich z.B. mit Günter Klein und Fiedrich Welke wundern, daß ein noch blutjunger und unerfahrener Senator bei der Besetzung der Stelle eines Klinikdirektors sich nicht unter seinen neuen, aber erfahrenen Mitarbeitern über den unbekannten Kandidaten kundig macht, nie oder erst zu spät erfahren haben will, daß Galla als „absolut unqualifiziert“ galt. Einen begründeten Verdacht, Brückner habe bereits 1976 geahnt, wen er sich mit Galla in die Klinik holte, hinterließ der Ausschuß gestern nicht. Günter Klein allerdings sieht nach Brückners Aussage auch aus einem zweiten Grund ziemlich „alt“ aus. Er stimmte 1977 im Haushaltsausschuß persönlich für die Beförderung Aribert Gallas zum leitenden Regierungsdirektor, deren Zustandekommen er 1988 in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß untersucht.

K.S.

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