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Sparkurs im spanischen BildungssystemTechnik aus dem Museum

Auch an der zweitgrößten Universität der spanischen Hauptstadt Madrid ist die Lage katastrophal. Das liegt vor allem am Sparkurs der Regionalregierung.

Hier demonstrieren Studierende aus Madrid kurz vor Weihnachten Foto: Eduardo Parra/imago

Madrid taz | Wenn der Madrider Chemielaborant César Pastor an seine Uni denkt, wird er fatalistisch: „Die Lage ist verheerend.“ Die Universidad Autónoma, die zweitgrößte Universität Madrids, fällt regelrecht auseinander – und das, obwohl sie erst nach dem Ende der Franco-Diktatur in den 1970ern entstanden ist: „Immer wieder kommen Teile der Deckenverkleidung herunter, das Mobiliar, Heizung und Klimaanlagen sind völlig veraltet“, klagt Pastor.

Es fehle an allen Ecken und Enden. Selbst die Technik sei völlig veraltet. „Unsere Ergebnisse, die den Forschungen zugrunde liegen, könnten wesentlich genauer sein, hätten wir moderne Geräte. Außerdem bilden wir die Studierenden an Einrichtungen aus, die ins Museum gehören und nicht in ein Lehrlabor. Diese Geräte haben nichts damit zu tun, was sie später im Berufsleben einmal antreffen werden“, fügt er hinzu. Es fehle an Geld für Forschungsexkursionen, an Material und an Personal, um die Studierenden bei ihren Praktika im Labor zu betreuen. Das habe zu mehr Unfällen als je zuvor geführt.

Wegen solcher Zustände schlugen die Rektoren der sechs öffentlichen Universitäten in Spaniens Hauptstadtregion Madrid vor Kurzem Alarm: „Die augenblickliche Lage ist kritisch und sie kann schon in wenigen Jahren katastrophal sein“, heißt es in einem offenen Brief von Ende November an die Regionalregierung, die für Bildung zuständig ist. Die Rektoren werfen den Konservativen die systematische „Unterfinanzierung der öffentlichen Hochschulen“ seit nunmehr 15 Jahren vor. Madrid ist die reichste Region Spaniens und zugleich diejenige, die am wenigsten pro Studierenden ausgibt – nämlich 21 Prozent weniger als der spanische Durchschnitt. Diese Entwicklung wird sich im kommenden Haushalt, den Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso vorgestellt hat, noch verschärfen. Die Rektoren warnen vor einem drohenden „Kollaps“.

Selbst nach einer leichten Aufstockung des Etats, als Reaktion auf den offenen Brief, sieht dieser nicht einmal einen Ausgleich für die Inflation von 2024 und 2025 vor. So kann unter anderem die von der spanischen Zentralregierung für Beamte beschlossene inflationsabhängige Gehaltserhöhung nicht umgesetzt werden. „Außerdem sind keine Ressourcen vorgesehen, um die grundlegende Instandhaltung der Gebäude zu gewährleisten, die für den Betrieb unter angemessenen Bedingungen unerlässlich sind“, heißt es in dem Brief. Für diesen Posten wird, so rechnen die Rektoren vor, derzeit nur ein Zwölftel dessen investiert, was 2007 – vor der Eurokrise – üblich war. Die Rektoren gehen davon aus, dass mindestens 200 Millionen Euro fehlen werden, und das „nur, um Besitzstandswahrung zu betreiben“.

Sparen seit 2008

All das ist die Folge der Sparmaßnahmen im Rahmen der Eurokrise 2008. Gelder für den alltäglichen Betrieb wurden gekürzt, Abgänge bei Lehrkräften und Personal – etwa durch Rente – jahrelang nicht ersetzt. „Diese Maßnahmen wurden nie zurückgenommen. Heute ist die Situation so absurd, dass die Universität Gelder der EU und der Zentralregierung bekommen könnte, um neue Gerätschaften zu kaufen, allerdings nur dann, wenn sie die Hälfte der Anschaffungskosten selbst aufbringt. Und das Geld hat die Autónoma einfach nicht“, sagt Chemielaborant Pastor.

Eines der größten Probleme der Unterfinanzierung der Universitäten in Madrid sind die prekären Arbeitsbedingungen. Die Stellen sind teils so schlecht bezahlt, dass manche gleich zwei akademische Jobs haben. So wie der Politikwissenschaftler Guillermo Fernández. Zum einen unterrichtet er mit einem Sechs-Stunden-Vertrag für 738 Euro brutto im Monat als „beigeordneter Professor“ an der Politikfakultät der Universität Carlos III, einer der neuesten in Madrid. Und er ist Teil eines europäischen Forschungsprojekts über den Feminismus als gesellschaftliche Kraft. Fernández forscht zu Antifeminismus der extremen Rechten. Mit beiden Jobs kommt er gerade so über die Runden.

„Beigeordneter Professor“ sei eigentlich ein Konstrukt, um Menschen mit besonderen Kenntnissen eine Möglichkeit zu geben, diese an die Universität zu vermitteln, sagt Fernández. „Aber in den letzten Jahrzehnten wurden immer mehr junge Akademiker mit diesen schlecht bezahlten Teilzeitverträgen eingestellt, um so Personalkosten zu sparen“, weiß er. Selbst wer eine feste Anstellung hat, verdient weitaus weniger als in anderen Regionen. Wer kann, wandert ab. Das hat Mangel an qualifiziertem Personal zur Folge.

„Die Regionalregierung kommt nicht einmal mehr für die grundlegendsten Bedürfnisse der Universitäten auf. Die Gebäude verfallen, die Parkanlagen werden nicht mehr gepflegt, in vielen Fakultäten ist die Cafeteria geschlossen“, beschwert sich auch Ariel Jerez. Für den Politikprofessor an der größten Universität Madrids, der Complutense, hat das System. „Die Sparpolitik ist ein Angriff auf den letzten kritischen Freiraum für freies, kreatives Denken der modernen Gesellschaft, die öffentlichen Universitäten“, meint er. Das Ziel der Konservativen sei „eine Gesellschaft ohne Kapazitäten für Kritik“.

Statt ein Raum für Lehre und Forschung, sollen die Universitäten zu „Fabriken für die Ausstellung von Titeln“ werden. Forschung sei nur insoweit gefragt, als sie zu „einer möglichst großen Zahl von Veröffentlichungen“ führe – aber nicht als kritische Interaktion, sondern als reines Marketing. „Die Aufgabe, darüber nachzudenken, wohin die Gesellschaft sich entwickelt, wie sich Wissenschaft, Kommunikation, Bildung und soziale Reproduktion zueinander in Beziehung setzen, soll anderen Akteuren überlassen werden“, sagt Jerez und meint damit private Einrichtungen wie Privatunis und vor allem die sogenannten Thinktanks.

13 plus 4

Madrid hat 13 Privatuniversitäten, vier weitere sind in Planung. Bereits jetzt besuchen in Madrid rund ein Drittel der Studierenden eine private Hochschule. In Masterstudiengängen sind es mehr als die Hälfte. „Nur wenn es um die Doktorarbeit geht, kommen die meisten zurück an die öffentlichen Universitäten“, sagt Jerez. Für ihn ein Beweis für die Qualität und Zeichen dafür, dass noch nicht alles verloren ist.

Studieren in Madrid ist teuer. An den öffentlichen Unis in Madrid beläuft sich das Studiengeld auf 1.800 bis 3.000 Euro im Jahr, während das Geld für Stipendien rar ist. Die Privatunis sind bis zu viermal so teuer. „Öffentliche Universitäten haben eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung moderner Demokratien gespielt, sowohl durch den Zugang zu Hochschulbildung für Menschen aus der Arbeiterklasse als auch als Motor für die Schaffung von Wissen und die soziale und wirtschaftliche Entwicklung. In Madrid können nur noch diejenigen an die Uni, deren Eltern das Geld für diese hohen Gebühren haben“, sagt Isabel Galvín, Dozentin für Didaktik an der Fakultät für Lehramt der Universität Complutense und gleichzeitig Vorsitzende der größten Madrider Lehrergewerkschaft des Dachverbandes CCOO.

Die Entwicklung an den Unis entspricht dem, was die Konservativen an Mittel- und Oberschulen sowie in der Berufsbildung gemacht haben. Auch dort wurde das öffentliche System gezielt kaputtgespart, um so zu erreichen, dass die Familien ihren Nachwuchs auf private Schulen schicken. „Bildung als Geschäft“, beschwert sich Galvín, bevor sie die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Politik analysiert.

Das Ende der öffentlichen Universität sei „ein endgültiger Schlag für die Bildung als Grundlage für den gesellschaftlichen Aufstieg und ein direkter Angriff auf das Wissen, das auf Forschung beruht und damit auf die Wissenschaft als solche“. Die Entstehung und Verbreitung vermeintlichen Wissens solle dem Markt überlassen werden. Das sei ein direkter Angriff auf eine der Säulen der Moderne und der Demokratie, wie wir sie kennen.

Viele der in den letzten Jahren zugelassenen privaten Universitäten bieten nicht alle Studiengänge an, sondern nur die, die besonders gefragt sind und wenig technischen Aufwand erfordern. Forschung wird an ihnen so gut wie keine betrieben.

„Auch in wirtschaftlicher Hinsicht stellt diese Politik einen Rückschlag dar“, sagt Galvín. „Denn die Madrider Wirtschaft gehört nicht mehr zur Spitze der OECD-Regionen, in denen Wirtschaftszweige gefördert werden, die ein hohes wissenschaftliches Niveau erfordern.“

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