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Japanischer Schüler in China angegriffenChinas nationalistische Geister

Der Messerangriff auf einen japanischen Schüler in China zeigt tragisch, wie das dortige nationalistische Klima zunehmend zu Gewalt führt.

Trauer am Tatort: Ein zehnjähriger Junge ist auf dem Weg zur japanischen Schule in Shenzhen niedergestochen worden Foto: David Kirton/reuters

Seoul taz | Am Mittwochmorgen ist ein zehnjähriger Junge auf dem Weg zur japanischen Schule in Shenzhen niedergestochen worden. Inzwischen ist er gestorben. Der Täter, ein 44-jähriger Chinese, sitzt in Untersuchungshaft. Die Hintergründe der Tat werden zwar noch untersucht, aber ein nationalistisches Motiv gilt als ziemlich sicher: Denn der Messerangriff ereignete sich ausgerechnet am 18. September – dem Tag, an dem Japans Armee 1931 eine Bombenexplosion fingierte, um ihre Invasion auf das chinesische Festland zu rechtfertigen.

„Ich habe die chinesische Seite erneut aufgefordert, um für die Sicherheit der japanischen Staatsangehörigen zu sorgen“, sagte Japans Botschafter Kenji Kanasugi vor der Presse in Peking. Schon zuvor hatte es einen ähnlichen Vorfall gegeben. Im Juni griff ein Mann im ostchinesischen Suzhou einen japanischen Schüler und seine Mutter an einer Bushaltestelle an. Dass der Junge überlebte, war nur dem Eingreifen einer chinesischen Busfahrerin zu verdanken, die dabei aber selbst ums Leben kam.

Historisch ist die Beziehung zwischen Japan und China extrem vorbelastet. In den 1930ern nahmen Japans Truppen Teile des chinesischen Festlands ein, installierten in der nordöstlichen Mandschurei einen Marionettenstaat und verübten fürchterliche Kriegsverbrechen.

Bis heute werden die Traumata jener Zeit in China öffentlich wachgehalten: Täglich zeigt das Staatsfernsehen historische Seifenopern, in denen die Bösewichter stets Japaner sind. Antijapanische Hassreden sind in den sozialen Medien wie bei Gesprächen in Restaurants üblich.

Gewalt führt zur Verunsicherung

Dass die historischen Animositäten aber in rohe Gewalt umschlagen, hat in den letzten Monaten zu tiefer Verunsicherung unter Japanern in China geführt. „Spätabends lüge ich im Taxi meist, wenn mich der Fahrer nach meiner Herkunft fragt – einfach, um unangenehme Situationen zu vermeiden“, sagt etwa ein japanischer Journalist in Peking.

Insbesondere japanische Schulen im Reich der Mitte ergreifen nun rigide Vorsichtsmaßnahmen: In Peking hat eine Schule allen Eltern geraten, in der Öffentlichkeit nicht mehr laut Japanisch zu sprechen. In Guangzhou ruft die Schule sogar dazu auf, nur noch das Haus zu verlassen, wenn es wirklich notwendig ist.

„Tatsächlich gibt es einen Weg, wie Chinas Regierung die antijapanische Stimmung beenden könnte“, meint der Journalist Wang Zhian, der nach Jahrzehnten bei Chinas Staatsfernsehen mittlerweile im Exil in Japan lebt. „Zuerst müsste der Premier Japan besuchen, gefolgt von Xi Jinping. Dann wird die antijapanische Stimmung in der Bevölkerung sicherlich verschwinden“, schreibt Wang auf X. Die Bevölkerung wisse, dass die Regierung Japan hasst, also hassten sie es auch.

Unter der Führrung von Xi Jinping wurde ein gesellschaftliches Klima kreiert, in dem der Nationalismus effektiv gedeihen konnte. Ausländer werden in Medien oft als potenzielle Spione charakterisiert und westlichen Regierungen wird unterstellt, dass sie vor allem Chinas Aufstieg unterbinden wollten.

Das Ausland ist der Südenbock

Größte Feindbilder sind stets Japan und die USA. Bürger beider Länder wurden in den letzten Monaten Opfer von Hassangriffen.

Chinas Regierung nutzt das Ausland als Sündenbock, um von eigenen wirtschaftlichen Problemen abzulenken und um die eigene Macht zu legitimieren. Dabei weiß Peking, dass die nationalistischen Geister, die man rief, den nationalen Interessen schaden können.

Denn sollten sich Ausländer nicht mehr sicher in China fühlen, stünde das nicht nur Pekings globaler Charme­offensive im Weg, sondern verschlechtert auch weiter das angeschlagene Investitionsklima.

So versucht die Regierung, das Thema kleinzuhalten. „Es handelt sich um einen Einzelfall“, sagte Außenamtssprecher Lin Jian am Donnerstag zu dem Messerangriff in Shenzhen.

Auch Stunden nach der Meldung über den Tod des japanischen Schülers haben die Medien über den Tod nicht berichtet – und wohl nicht berichten dürfen. Womöglich fürchtet die Regierung Nachahmer.

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