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Spanische Gemüsewirtschaft nach EhecZerstörte Existenzen

Nach den Falschmeldungen der Hamburger Gesundheitsbehörde ist der Markt für spanisches Gemüse zusammengebrochen. Angeblich beträgt der Schaden 200 Millionen Euro – pro Woche.

Gurken aus Spanien? Die sind für viele Verbraucher jetzt verdächtig. Bild: dpa

BERLIN taz | Spanische Landwirte wie Miguel Cazoria stehen vor den Trümmern ihrer Existenz. Cazoria hat die Gurken angebaut, die in Hamburg zunächst als Quelle der Infektionskrankheit Ehec identifiziert wurden, ehe die Gesundheitsbehörde einen Rückzieher machen musste.

Geliefert hat er sie an die Firma Frunet, einen großen Ökoproduzenten und -händler in der Provinz Málaga.

Frunet exportierte sie nach Deutschland, so wie rund ein Viertel seiner Gesamtproduktion. Nach den Warnungen der Hamburger Behörden ist der Markt für spanisches Gemüse komplett zusammengebrochen. "Wir verkaufen nichts mehr. Wir müssen die Felder mit Gurken und Zucchini abernten und das Gemüse dann vernichten", berichtet Cazoria. Er ist mit dem Frunet-Chef Antonio Lavao nach Hamburg gekommen, um sich bitter über die Hamburger Behörden zu beklagen. "Wir lassen die Qualität unserer Produkte regelmäßig von unabhängigen Instituten prüfen, die den gesamten Produktionsablauf durchleuchten", sagte Lavao. Es seien Produkte, Böden, Beregnungswasser und Transportmittel untersucht worden - ohne Ergebnis.

Ominöse Gurken vom Hamburger Großmarkt

Bleiben die ominösen Gurken vom Hamburger Großmarkt, auf denen ein Ehec-Erreger gefunden wurde, der jedoch nicht für die Krankheitsfälle verantwortlich ist. "Es gibt erhebliche Zweifel, dass bei der Entnahme der Proben und beim Transport die nötige Sorgfalt aufgewendet wurde", sagte die Rechtsanwältin Sabine Pellens. Das lasse sich aber noch nicht sicher sagen, weil die Zusammenarbeit mit den Hamburger Behörden schwierig sei. "Sie verweigern uns Akteneinsicht oder reagieren gar nicht."

Frunet und die Gemüsebauern prüfen nun, ob sie die Hamburger Behörden auf Schadenersatz verklagen. Der wirtschaftliche Schaden ist schon jetzt enorm und steigt täglich weiter. Er liegt nach den Worten von Lavao bei 200 Millionen Euro pro Woche. Betroffen ist die gesamte spanische Agrarwirtschaft.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der sozialdemokratische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero waren sich laut Regierungssprecher Steffen Seibert in einem Telefonat darin einig, dass Hilfen für die Geschädigten auf der europäischen Ebene geregelt werden müssten. Laut Robert-Koch-Institut haben sich bislang 1.733 Menschen mit dem Ehec-Erreger angesteckt, 17 Menschen starben.

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22 Kommentare

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  • D
    Dieter

    @Detta und Rudi: Spanien hat in der Tat die größte Bioanbaufläche in Europa, siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96kologische_Landwirtschaft#Europ.C3.A4ische_Union

    @Mitleser: Die Falschmeldungen aus Hamburg haben leider europaweite Auswirkungen gehabt, ausserdem auch in Russland, und nicht nur bei Gurken. Es wurde (wird) überhaupt kein Gemüse mehr aus Spanien gekauft. Nicht mal die beliebten Frühkartoffeln aus Mallorca, sonst sehr beliebt in Deutschland in der Spargelsaison. Damit kommst du leicht auf die 200 Mio. Andererseits wird hier in Spanien jetzt befürchtet, dass bei den Tausenden von Touristen aus Norddeutschland jetzt auch EHEC hier auftauchen wird. Dann gehts vom Regen in die Traufe.

  • R
    rudis

    04.06.2011 19:34 Uhr:

    von Detta:

    ..... Spanien hat die grösste Anbaufläche von kontrolliert ökologischen Anbau der EU. .....

     

    Woher hast du den diese Info??

    Spanien rangiert was ökologischen Anbau angeht doch eher auf den hinteren Rängen -leider-

    Und: Die spanische Diät mag sicher gesund sein, aber mit Pestiziden sparen sie in Spanien auch nicht -leider-.

  • S
    spiritofbee

    Als nächstens werden wohl in Kürze ( 3 Monate ist der Rhytmus)wieder die Ratingagenturen Spanien bewerten.....

  • D
    dooo

    Bevölkerungsschutz hat Vorrang!

     

    PS: Die Bauern werden, auch wenn sie nicht wettbewerbsfähig sind, von vorn bis hinten subventioniert! Hört auf zu Jammern.

  • M
    Mitleser

    200 Mio Euro pro Woche.

    Da will sich jemand seine Gurken vergolden lassen. Rechnet man mit 1Euro / kg Gemüse für den Erzeuger müssten pro Woche 200Mio kg Gemüse exportiert werden.

    Wären etwa 3kg spanisches Gemüse pro Kopf und Woche,vom Säugling bis zum Greis auf DE bezogen.

  • D
    Detta

    Wunderbar zu lesen diese Kommentare aus Deutschland. Seit fast 20 Jahren lebe ich hier in Spanien. Ein Teil der berüchtigten Anbaugebiete in Südspanien ist in Händen von holländischen, aber auch deutschen Agrarfirmen. Spanien hat die grösste Anbaufläche von kontrolliert ökologischen Anbau der EU. Wenn sich der deutsche "Normalverbraucher" so gesund ernähren würde wie die Menschen hier mit der sog. mediterranen Diät, würden in Deutschland weniger fettleibige Stiernacken rummrennen. Aber am deutschen Wesen wird wie immer die Welt genesen....

  • B
    Brucy

    Fest steht, wenn eine Behörde unberechtigte Warnungen ausspricht und daraus wirtschaftlicher Schaden entsteht, muss sie haften. Das wird hoffentlich in einem rechtsstaatlichen Prozess geklärt. Ich ermutige die Spanier, diesen Schritt zu gehen.

  • M
    Manfred

    Ganz unwissenschaftlich: Hochsommerlicher Wassermangel, extrem belastete Böden mit Gift-Gülle aus unvorstellbar konzentrierter Massentierhaltung, bevorzugt Norddeutschland, undurchsichtige Entsorgungspraxis ins Grund(Trink-?)wasser... Eine durchaus mögliche Ursache, finde ich.

  • R
    Richard

    Wenn ich mir anschaue, was die so tollen deutschen Bauern alles aufs Feld kippen und welche Niedriglöhne an polnische Erntehelfer gezahlt werden(und ganz zu schwiegn von der Vielzahl der Lebensmittelskandale in den letzten Jahren), dann sollten wir Deutschen doch recht still sein. Aber wie immer sind es die anderen und wir sind die Größten.

  • A
    Albahar

    Spanier sind faul und ihre Gemüse ist vergiftet, Prost!!!

  • EA
    Enzo Aduro

    Das ist klipp und klar Geschäftsrisiko. Es gibt immer wieder Lebensmittelskandale. Egal ob Eier, Schwein, Rinder, Gemüse. Das trifft immer auch "unschuldige". Genauso wie fehlender Regen oder sonst etwas.

  • E
    emil

    wenn sie bedenken haben meiden sie den kauf?

    ihnen ist schon klar, dass ihre bedenken irrationaler natur sind. mir fällt gerade kaum etwas ein, woran weniger menschen hierzulande sterben, als an diesem ehec.

     

    insofern ist ihre ablehnung allenfalls der medialen aufbereitung geschuldet. lassen sie lieber das auto fahren, dort sind sie eher in gefahr.

  • H
    hto

    Es würde keine "zerstörten" Existenzen geben, nicht einmal nennenswerte Probleme, wenn GRUNDSÄTZLICH alles allen gehören würde - keine Vermarktung sondern PRINZIPIELLE Verteilung, also kein dümmlich-intrigantes Gejammer im Sinne des "freiheitlichen" Wettbewerbs!?

  • A
    Anne

    Nun, Schadensersatz fände ich überzogen, wenn es um die Gesundheit geht, muss auch eine deratige Warnung möglich sein, aber wir sollten es schaffen, innerhalb der EU Ausgleichszahlungen zu organisieren, wenn so etwas auftritt - immerhin sind wir eine Gemeinschaft!

  • C
    C.K.

    Liebe TAZ, weshalb denn FALSCHMELDUNGEN der Hamburger Behörden? Zu der Zeit gab es die Meldung, dass ein EHEC-Erreger gefunden wurde und diese Meldung war RICHTIG! Ich finde auch, dass die Warnungen gerechtfertigt waren und sind - außerdem sind unsere heimischen Gemüsebauern auch nicht viel besser dran. Es trifft alle, das ist die Konsequenz des "Im-Dunkeln-Tappen". Die Wirtschaft wird sich wieder erholen, die Menschen, die gesundheitlich betroffen sind, haben da schlechtere Karten!

  • L
    leas

    200 Millionen pro Woche? Rechnen wir mal. Nehmen wir an, es würde keine einzige Zucchini mehr gekauft. Bei ca. 80 Millionen Deutschen entspricht das 2,50 € pro Kopf und Woche. Erzeugerpreise. Nehmen wir eine sehr bescheidene Handelsspanne von 100% zwischen Erzeuger und Endvebraucher an, so müsste bislang jeder Deutsche (inklusive Kleinkinder) pro Woche spanisches Gemüse für mindestens 5 € verputzt haben. Glaub ich nicht.

  • L
    leastcommonancestor

    200 Millionen pro Woche? Rechnen wir mal. Nehmen wir an, es würde keine einzige Zucchini mehr gekauft. Bei ca. 80 Millionen Deutschen entspricht das 2,50 € pro Kopf und Woche. Erzeugerpreise. Nehmen wir eine sehr bescheidene Handelsspanne von 100% zwischen Erzeuger und Endvebraucher an, so müsste bislang jeder Deutsche (inklusive Kleinkinder) pro Woche spanisches Gemüse für mindestens 5 € verputzt haben. Glaub ich nicht.

  • S
    S.Sabranski

    Ein spanischer Wissenschaftler hat übrigens heute morgen im spanischen Fernsehen das Verhalten der deutschen Behörden für korrekt befunden. Sie hätten die gesundheitliche Gefahr über die Wirtschaft gestellt, und das sei richtig gewesen. Was er kritisiere sei nur die Verzögerung der Weiterleitung der Proben von Hamburg nach Berlin.

    Viele Grüße

  • KB
    Karin Benner

    Seit wann sind deutsche Verbraucher verpflichtet spanisches Obst und Gemüse zu kaufen? Wenn ich Bedenken habe - und das ist ganz allein meine freie Entscheidung - dann meide ich den Kauf spanischer Waren. Basta!

  • B
    Bastian

    Bedauerlich für die Leute. Andererseits habe ich gelesen, daß man an den spanischen Gurken einen anderen

    Ehec-Stamm gefunden hat. Nicht für die Seuche verantwortlich, aber immerhin, Skepsis bleibt.

  • V
    vic

    Ich habe einige Dokus über die Sklavenkolonie und Giftküche Almeria gesehen. Stimmt schon, Keime haben dort wenig Überlebenschancen

    Trotzdem;

    ich habe einige Probleme mit Verständnis für Spaniens Lebensmittelindustrie.

  • D
    dop

    ich frage mich gerade ob diese "armen" "gemüsebauern" die gleichen sind die mit ihrem subventionierten hitech chemüse den afrikanischen bauern alle chancen verbauen?