Spaniens Regierung in der Defensive: Großdemo gegen Abtreibung
Hunderttausende demonstrieren gegen einen Gesetzesentwurf der sozialistischen Regierung. Die will die Abtreibungs-Regelung lockern und eine 14-Wochen-Frist einführen.
Es war die größte Demonstration, die Spaniens Hauptstadt seit den Protesten gegen den Irakkrieg gesehen hat. Laut den Veranstaltern zogen am Samstag Nachmittag zwei Millionen Menschen unter dem Motto "Jedes Leben zählt" gegen eine Reform des Abtreibungsgesetzes durch die Madrider Innenstadt. Die Polizei zählte 250.000 Teilnehmer.
42 "Pro Vida"-Gruppen hatten zu der Demonstration aufgerufen. In über 600 Bussen, Sonderzügen und Privatwagen kamen die Teilnehmer aus allen Teilen Spaniens. Selbst aus dem europäischen Ausland nahmen Delegationen an der Demonstration gegen einen Gesetzesentwurf der sozialistischen Regierung unter José Luis Rodríguez Zapatero teil.
Die neue Regellung, die im Parlament mit einer Mehrheit rechnen kann, sieht vor, dass künftig ein Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten 14 Wochen legal ist. Es sei ein Recht der Frau, lautet die Begründung. Besonders umstritten ist die Bestimmung, dass künftig Frauen bereits im Alter von 16 Jahren einen Abort ohne eine elterliche Genehmigung vornehmen lassen können.
Unter den Teilnehmern waren neben dem ehemaligen Regierungschef José María Aznar dutzende wichtiger Vertreter der konservativen Partido Popular (PP). Parteichef Mariano Rajoy nahm jedoch ebenso wenig teil, wie die spanischen Bischöfe. Sie begnügten sich, anders als bei früheren Gelegenheiten, mit einem Aufruf, das Leben der Ungeborenen zu verteidigen. Die PP hat als einzige Partei angekündigt, im Parlament geschlossen gegen das neue Gesetz zu stimmen.
"Das Fest für das Leben" unterschied sich deutlich von den Anti-Abtreibungsdemonstrationen der 1980er Jahren, auf denen schwarz gekleidete, ältere Ehepaare das Bild bestimmten. Dieses Mal erklang Rock- und Popmusik unterbrochen von Frauen, die erzählten, warum sie sich in einer schwierigen Situation für ein Kind entschieden haben. Ein buntes Logo für das Leben, das deutlich an das Symbol der Madrider Olympiakandidatur erinnert, schmückte den Marsch ebenso wie fantasievoll gestaltete, handgemalte Transparente. Ganze katholische Mädchenschulen waren angereist. "Rücktritt, Rücktritt!" und "Zapatero, deine Mutter hat nicht abgetrieben", riefen sie immer wieder.
Das derzeit gültige Gesetz aus dem Jahre 1985 verbietet die Abtreibung grundsätzlich. Es gelten nur drei Ausnahmen. Nach einer Vergewaltigung ist ein Abort innerhalb der ersten 12 Wochen erlaubt. Bei Verdacht auf Missbildung des Embryos beträgt die Frist 22 Wochen. Und bei Gefahr für die körperliche und seelische Gesundheit der werdenden Mutter gilt keine zeitliche Begrenzung.
Dennoch wurden im vergangenen Jahr in Spanien über 110.000 Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen. Das sind doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Die meisten Frauen geben als Begründung Gefahren für ihre psychische Gesundheit an. Denn eine soziale Indikation, wie in anderen europäischen Ländern, gibt es in Spanien nicht.
Dies geht gut, solange die Behörden weg schauen. Doch in den vergangenen Jahren wurden immer wieder Privatkliniken geschlossen und Ärzte sowie Patientinnen vor Gericht gestellt, weil sie illegal abgetrieben haben sollen. Erst vor wenigen Tagen wurde ein Verfahren gegen eine Madrider Klinik eingestellt.
"Wir wollen ein Gesetz, das Rechtssicherheit für alle schafft, für die Frauen und für die Ärzte", erklärt die Ministerin für Gleichstellung, Bibiana Aído. Deshalb habe die Regierung beschlossen, die Abtreibung innerhalb der ersten 14 Wochen grundsätzlich zu erlauben. "Diese Regierung verteidigt das Leben. Aber wir verteidigen auch, dass keiner Frau für eine so schwierige Entscheidung Haftstrafen drohen", fügt sie hinzu.
Beflügelt von der Demonstration am Samstag kündigt der Vorsitzende des Spanischen Familienforums, Benigno Blanco, weitere Proteste an: "Wir werden keine Ruhe geben, solange es in Spanien noch eine einzige Abtreibung gibt."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!