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Spanien triumphiert im EM-HalbfinaleEnde des Turnier-Traumas

Gegen die Passgenauigkeit und das Feingefühl der Spanier hatte die russische Elf nichts auszurichten. Spanien fegte Russland mit 3:0 aus dem Turnier.

Vorentscheidung in der 73.Minute: Daniel Güiza trifft zum 2:0 für Spanien. Bild: dpa

WIEN taz Wo war er nur hin, dieser Luis Aragonés? Bereits in den Katakomben? Zur stillen Feier in der Umkleidekabine? Schon beim König? Der spanische Trainer war nach dem 3:0 seiner Mannschaft und dem Einzug ins EM-Finale nicht auf dem Spielfeld zu finden. Seine Spieler feierten den Sieg gegen Russland, hüpften herum und verschenkten ihre Leibchen an die Fans, doch der alte Mann des spanischen Fußballs gönnte sich ein Ruhepäuschen. Er hat wohl schon zu viel erlebt, als dass ihn Glücksmomente übermannen würden. Der Besuch seiner Enkeltochter in Wien rührte ihn zu Tränen, der Erfolg der Selección weniger. „Innen drin bin ich sehr glücklich, glaubt mir das“, sagte er, „ich bin halt nicht der extrovertierte Typ.“

Dieser Aragonés (69) saß vor Dutzenden von Journalisten wie der Vorsitzende der Schrebergartenkolonie „Schwarzer Weg“ aus Wanne-Eickel, irgendwie deutsch - ein Rentnertyp, der so sehr in sich ruht, dass er eine Aura der gepflegten Langeweile verströmt. Dabei hatte es Spanien endlich geschafft: Sie hatten ihr Turnier-Trauma überwunden und ihr Potenzial endlich einmal ausgeschöpft. Sie hatten ihre Klasse nicht nur angedeutet, sondern sie hatten sie in der entscheidenden Phase ausgespielt. Die Mannschaft zeigte sich reif. Aragonés meinte, dass seine Spieler allein schon deswegen „den Titel verdient haben“. Der wird am Sonntag im Wiener Ernst-Happel-Stadion vergeben. Spanien ist gegen die Deutschen leicht favorisiert.

Aber mit den Deutschen ist nicht zu spaßen, das weiß Aragonés natürlich. Donnerstagnacht kramte er noch einmal das ausgenudelte Lineker-Zitat hervor, wonach Fußball ein Spiel von 22 Leuten sei, die rumlaufen, den Ball spielen, und einem Schiedsrichter, der eine Reihe dummer Fehler macht, und am Ende gewinne immer Deutschland. Auch die üblichen Deutschland-Klischees bemühte er: Robustheit, physische Stärke und Willenskraft.

Es klang, als würde am Sonntag ein teutonischer Hulk auf einen iberischen Widerpart treffen, der das Grobschlächtige verabscheut und dafür dem schönen Fußball huldigt. Entsprechend lobte Aragonés „das schnelle Spiel“ seiner Mannschaft, vor allem die flinken Kombinationen im Mittelfeld. Je länger das Match dauerte, desto souveräner zogen die Spanier ihr System des „One-touch-Fußballs“ auf, wie Russlands Coach Guus Hiddink es nannte. „Gegen diese Art zu spielen ist es unglaublich schwer anzukommen“, sagte der Holländer. "Ihr Plan, uns müde zu spielen mit ihrem tollen Positionsspiel, ist aufgegangen".

Die Dominanz im Mittelfeld entwickelte sich nach dem verletzungsbedingten Aus von Stürmer David Villa in Halbzeit eins. Für ihn kam Arsenal-Profi Cesc Fàbregas ins Spiel. Er sollte sich als der entscheidende Mann auf dem Platz erweisen. Im bisherigen Turnierverlauf eher unter Form, gelangen ihm im Halbfinale vor 51.000 Zuschauern im Wiener Happel-Stadion gleich zwei geniale Torvorlagen. Mit der Eleganz und dem Weitblick eines Zauberfußes chippte er den Ball zweimal mit dem richtigen Tempo auf seine Mitspieler, als wäre es ein Leichtes, sie so schön in Szene zu setzen.

Gegen die Passgenauigkeit und das Feingefühl der Spanier hatte die russische Elf nichts auszurichten. Sie hatte sich im Turnierverlauf müde gespielt, in den bisherigen Partien zu viel investiert. Die Initiation des russischen Verbandes in den Kreis der europäischen Elite muss verschoben werden, weil sie verschwenderisch mit ihren konditionellen Reserven umgegangen sind. Die Initiation der Spanier liegt schon Jahrzehnte zurück. Doch im Jahre 2008 steht die Beglaubigung spanischer Klasse an.

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