Spanien geht hart vor: Streikbrechen mit Militärrecht
Nach dem Komplettausfall spanischer Flüge zwingt die Regierung krank gemeldete Fluglotsen mit Militärrecht an die Arbeit. Wer nicht kommt, dem drohen 12 Jahre Haft.

Gezwungen per Militärrecht: Fluglotsen im Tower von Madrids Flughafen. Bild: dapd
MADRID taz | Arbeitsniederlegungen, Chaos auf den Flughäfen, ein Rückgriff auf Militärrecht: Ausgerechnet zum Auftakt des längsten Wochenendes des Jahres mit zwei folgenden Feiertagen lieferten sich in Spanien Fluglotsen und Regierung eine Kraftprobe - die die Regierung mit brachialen Methoden für sich entschied.
Begonnen hatte die Auseinandersetzung am Freitag mit einem Dekret, mit dem die sozialistische Regierung von José Luis Rodríguez Zapatero die Arbeitszeit um 30 Prozent verlängerte. Hintergrund sind bisher fruchtlose Tarifverhandlungen zwischen dem staatlichen Flughafenbetreiber Aena und der Fluglotsengewerkschaft Usca. Bereits im Sommer waren die Gehälter der 2.400 Lotsen um 40 Prozent gekürzt worden.
Die Fluglotsen reagierten auf den neuen Einschnitt, indem sie sich reihenweise krankmeldeten. Innerhalb weniger Stunden brach der gesamte spanische Flugverkehr zusammen.
Die Regierung hatte jedoch mit diesem Unmut kalkuliert und in ihrem Dekret bereits Anweisungen mitgeliefert, wie etwaige Proteste gebrochen werden sollten. Am Samstag rief Zapatero den Notstand aus und unterstellte die Lotsen dem Militärrecht - das erste Mal seit Ende der Franco-Diktatur.
Drohung: zwölf Jahre Haft
Wer nicht zur Arbeit erscheine, dem drohten bis zu zwölf Jahre Haft wegen "Aufstands" und "Befehlsverweigerung", hieß es. Viele Lotsen kehrten daraufhin an den Arbeitsplatz zurück. Trotzdem ist frühestens am Montag wieder Normalität am Himmel zu erwarten.
"Wer den Staat herausfordert, verliert", triumphiert Innenminister und Vizeregierungschef Alfredo Pérez Rubalcaba, der als Nachfolger des angeschlagenen Zapatero gehandelt wird.
Die Regierung will die Kosten des Flugbetriebes senken. Noch 2007 zählten die spanischen Lotsen mit durchschnittlich 350.000 Euro jährlich zu den Spitzenverdienern in Europa. Nach der Gehaltskürzung vom Sommer und der Arbeitszeitverlängerung von 1.200 auf 1.670 Stunden pro Jahr gibt es nun 200.000 Euro - umgerechnet in Stundenlohn ist das europäischer Schnitt.
Am meisten ärgert die Lotsen, dass Krankheit und gewerkschaftliche Freistellungen nicht mehr auf die Arbeitszeit angerechnet werden sollen. "Wir müssen 365 Tage 24 Stunden am Tag zur Verfügung stehen", erklärt Fluglotsin Cristina Antón aus Palma de Mallorca auf ihrem Blog. Zugleich stelle die Presse die Lotsen als "privilegierte Kaste" dar.
Der Wunsch der Regierung, bei der Abwicklung der Flüge zu sparen, kommt nicht von ungefähr. Der Verkauf von Teilen des Flugbetriebs soll ihr helfen, die klammen Kassen zu füllen, unter anderem will sie 49 Prozent der Anteile des Flughafenbetreibers Aena an den Markt bringen. Zapatero hofft auf einen Erlös von bis zu 9 Milliarden Euro. Außerdem soll Aena die rentablen Flughäfen Madrid und Barcelona an private Unternehmer verpachten dürfen. Das könnte in den kommenden 40 Jahren 14 Milliarden Euro einbringen. So wird Aena zum Schnäppchen.
Leser*innenkommentare
Weiße Rose
Gast
Da sieht man einmal mehr, wie klein im Grunde der Schritt - selbst aus gewachsenen demokratischen Strukturen - hin zum Polizei/Militärstaat ist!
Und wie schnell sowas akzeptiert wird, bleibt angewidert festzustellen, wenn man hier den einen oder anderen idiotischen Kommentar liest...
Jochen
Gast
bloß weil jemand für einen hoch verantwortungsvollen job 300000€ im jahr bekommt, verliert er sein recht als abhängig beschäftigter? was ist dass für ein argument? darf ich nur noch streiken, wenn ich eh machtlos bin?? streik ist das grundrecht eines jeden abhängig beschäftigtn und sein einziges mittel seine rechte durchzusetzten und wann "dürfen" sie dann streiken? wenns niemanden stört? welchen sinn hätte das dann?
Jenseits von Böse
Gast
Bei einem Jahreseinkommen von über 200.000 € hält sich meine Solidarität in Grenzen. Es ist gesellschaftlich nicht wünschenswert, dass sich eine kleine Gruppe von Gutverdienern mit einem von der Arbeiterbewegung geklauten Kampfmittel elitäre Gehälter erpresst; damit erweitert sich nur die Schere zwischen privilegierten Minderheiten und der prekär entlohnten Masse.
Andererseits ist die Anwendung des Militärrechts eine Schweinerei, die man keiner Regierung durchgehen lassen darf. Die wenigen Mittel, mit denen Beschäftigte sich wehren können, sind eine bitter erkämpfte Errungenschaft der Arbeiterbewegung und müssen verteidigt werden.
Also, klarer Fall: hätten die Flieger doch am Boden bleiben sollen - von mir aus bis zum St. Nimmerleinstag. Das wäre eine preiswerte und ökologische Lösung gewesen.
emil
Gast
"auch wenn die Existenz eines Staates und seiner Bevölkerung auf dem Spiel steht."
du meinst also, wenn keine flugzeuge fliegen geht ein staat zugrunde?
hab ich was verpasst?
Karl Kraus
Gast
@Anzug und Heinzi
Ob die Aktion der Fluglotsen angemessen ist oder nicht, kann man mit den paar Informatiönchen hier ja wohl kaum entscheiden. Aber als Claqueure habt ihr von höchster Stelle Zuspruch: Auch unser Alt-Bundespräsident sowie unser Herr von und zu Guttenberg sind ja für eine ganz unverkrampfte und im Röttgenschen Sinne ergebnisoffene Diskussion über den Einsatz des Militärs zur Sicherung wirtschaftlicher Interessen. Die spanische Regierung zeigt, dass es geht. Ganz unverkrampft. Euer Beifall heißt nur eins: Ein moralisch eventuell nicht gerechtfertigter Streik darf mit dem Militärrecht gebrochen werden. Volker B. trifft den Nagel auf den Kopf (oder auch den Streikenden zwischen die Augen) mit seiner Befürchtung. Ich bin auch für den Einsatz von Blackwater bei der nationalen Verteidigung der Castortransporte.
Heinzi
Gast
Richtige Reaktion der spanischen Regierung.
Mehr bleibt dazu nicht zu sagen.
Holkan
Gast
@student: Die Zahlen stimmen, auch wenn das Deine Vorstellungskraft sprengt. Für so viel Geld ist man zu allem bereit, auch wenn die Existenz eines Staates und seiner Bevölkerung auf dem Spiel steht.
Anzug
Gast
Vielleicht hilft es ja auch, sich einfach mal
die Relationen zu vergegenwärtigen: 350 000 €
verdient nicht mal die Bundeskanzlerin; und selbst
bei "nur" 200 000 € im Jahr macht das bei
1670 jahresarbeitsstunden immerhin
Noch einen Stundenlohn von ca. 120 € !!!
Dass man unter diesen Umständen einen wilden Streik vom
Zaune bricht, verdient wohl eine angemessene Antwort...
wikileaks for ever
Gast
Tja, das ist ein kleiner Vorgeschmack auf das was uns in Europa demnächst Dank unserer Wirtschafts und Polit Elite droht.Ganz nach dem Motto..
Was Du willst nicht Arbeiten,dann hinter Gitter.
Es wird doch schon alles vorbereitet das das Militär auch bei uns....natürlich nur zur Terrorabwehr eingeführt wird.Ich fürchte wir werden es noch erleben!
Tobi
Gast
Endlich mal was gutes am Sozialismus!
Jan Reyberg
Gast
Gut dass die in Griechenland und Spanien und so momentan sozialistische Regierungen haben. Ich will gar nicht wissen, was da jetzt los wäre, wenn konservative Regierungen sowas machen würden und so sparen würden...
Volker B.
Gast
Der Zeitpunkt war etwas unsensibel gewählt von den Fluglotsen, aber da gleich mit Militärrecht kommen?
Wann wird denn wieder auf Streikende geschossen?
Wir bewegen uns immer mehr zurück ins 19 Jh.
Fragt sich wann die Masse aufwacht.
Clark Kent
Gast
@student
Da wurde nichts verdreht.
ulschmitz
Gast
man darf hoffen, dass die gewerkschaft der fluglotsen die angelegenheit bis zum EuGH treibt, um das francistische treiben der regierung Zapatero zu unterbinden bzw. anzuprangern.
40% lohnklau, 30% mehr arbeit in einem hochsensiblen sicherheitsbereich - und dann - unglaublich in einer angeblichen zivilgesellschaft - anwendung des militärrechts gegen zivilisten?
da dürfen wir auch gespannt sein, was das internationale arbeitsamt in lausanne (oder genf?) dazu sagt; das darf nicht schule machen in europa.
student
Gast
Also dass Fluglotsen gut verdienen, ist ja bekannt, aber ganz sicher keine 200.000€ oder gar 350.000€ im Jahr, da wurde wohl was verdreht...