Spaltungen in der Politik: Der Aktivismus-Liebeskummer
Wenn politische Gruppen sich spalten, fühlt sich das oft an wie eine Scheidung. Nicht nur wegen der bürokratischen Fragen – auch das Herz leidet.
L iebeskummer hatte ich auch schon mal. War nicht so gut. Aber wegen eines Jungen zu weinen (mein Liebeskummer war meist hetero), ist nichts im Vergleich dazu, wenn eine Politgruppe zerbricht. Denn gegen den Schmerz im Aktivismus, die Sinnfrage im Hausprojekt oder den Bruch während der Demo-Orga gibt es keine traurigen Songs und keine kitschigen Filme.
Über Gefühle im Politikmachen wird wenig gesprochen. Dabei würden sich viele von uns den ganzen Kampf gar nicht erst geben, wäre nicht neben dem Verstand auch das Herz mit dabei. Darum sollten wir uns um unsere Herzen auch kümmern – und emotionaler Arbeit unter Genoss*innen mehr Raum geben. Immer mal checken, wie es uns geht und was wir brauchen. Bevor es zur Trennung kommt.
Es ist schmerzhaft, sich von einer Idee zu verabschieden oder von den Menschen, mit denen man gemeinsam für diese Idee einsteht. Es tut weh, nicht mehr Teil einer Bewegung zu sein, was auch immer diese zerschlagen hat. In diesem Bewusstsein werde ich mit Taschentüchern und Eiscreme bereitstehen, wenn in meinem Umfeld mal wieder ein Bündnis zerbricht.
Über den activist burnout wurde in den letzten Jahren viel geschrieben. Über den activist heartbreak meines Wissens noch nichts. Wer sich leidenschaftlich Gruppen anschließt, Initiativen gründet oder Banden bildet, wird aber früher oder später auch mit Trennungen konfrontiert sein. Diese können auch hässlich verlaufen: Eine Form der Trennung ist die Spaltung. Spaltungen sind wie Scheidungen. Welche Partei behält die Räume, die Website, den Gruppennamen? Wer behält die gemeinsamen Freund*innen, Verbündeten, Förderer, Kooperationspartner*innen?
Lieber Schluss machen als ghosten
Die meisten Polit-Beziehungen schleichen eher aus. Haben keinen klaren Schlussstrich oder werden durch ghosting beendet. Dabei wird das den intensiven Hochs und Tiefs, der gemeinsamen Zeit, der Solidarität, den inhaltlichen Auseinandersetzungen und dem Vertrauen meistens nicht gerecht. Es ist nicht fair, ohne ein Wort zu gehen, andere mit einem Haufen Arbeit, einem Mietvertrag, eimerweise Farben und Transpi-Stoff oder einem erstarkten politischen Gegner zurückzulassen.
Wir sollten also zumindest ein letztes Mal zum Plenum gehen und ehrlich sagen: „Es tut mir leid. Wir haben uns auseinandergelebt.“ Ich hoffe, irgendwer dreht die passende Rom-Com dazu: Ehemalige Hausbesetzer*innen, die nun einsam zur Miete wohnen, verstehen erst am Ende des Films, dass sie die ganze Zeit gegen den gleichen Investor gekämpft haben.
Auch wenn ich gerade enttäuscht bin und keine Kampagne in Sicht ist, in die ich mich brennenden Herzens hineinstürzen mag: Ich bin bereit für die nächste Liebelei mit dem Widerständigen. Ich sehne mich nach Revolutionsromantik und dem Gefühl, Menschen gefunden zu haben, mit denen man gemeinsam die Welt ein bisschen besser machen kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!