: Späte Trauerarbeit
François Ozon macht in seinem neuesten Film „Unter dem Sand“ keinen Hehl daraus, dass er sich ausschließlich für Charlotte Rampling interessiert
von KATJA NICODEMUS
Sie gehört zu den seltsamen Siebzigerjahre-Gestalten, die ein ganz bestimmter Glamour umgibt, ohne dass man genau sagen könnte, weshalb. Vor allem hat Charlotte Rampling eine Menge Filme gedreht, an die sich niemand mehr erinnern kann. Zu ihren wenigen bekannten gehören wohl Woody Allens „Stardust Memories“, Liliana Cavanis „Nachtportier“ und Patrice Chéreaus „La chair de l’orchidée“.
In „Stardust Memories“ schildert der von Allen selbst gespielte Filmregisseur den glücklichsten Moment seines Lebens: Es ist ein Frühsommernachmittag, an dem er in seiner Wohnung eine Louis-Armstrong-Platte auflegt und seine wunderschöne Freundin bzw. Charlotte Rampling betrachtet.
Bei Chéreau spielt Rampling eine vamphafte Männerhasserin, die ihre langen roten Fingernägel mit Vorliebe in die Augen ihrer Verehrer bohrt. Irgendjemand hat ihre tiefblauen Augen in diesem Film einmal mit Suchscheinwerfern verglichen, die nervös umherschweifen, und tatsächlich ist diese nie so recht zu fassende, latente Nervosität und Unsicherheit Ramplings eigentümlichste Qualität.
Die Frau, die nicht zu fassen ist, ein Schemen, der vorbeistreicht, eine Erscheinung im wahrsten Sinne des Wortes ist sie auch in „Unter dem Sand“ von François Ozon. Da Ozon keinen Hehl daraus macht, dass er sich in diesem Film für nichts als Charlotte Rampling interessiert, muss ihr Filmehemann Bruno Cremer auch gleich nach den ersten Filmminuten verschwinden. Bis dahin gelingt es Ozon, in einer Handvoll Einstellungen die ganze Vertrautheit von 25 Ehejahren zu erzählen.
Wir sehen Marie und Jean, ein Paar mittleren Alters, das nach Südwestfrankreich ins gemeinsame Landhaus fährt, dort schweigend zusammen zu Abend isst, am Kamin sitzt und später friedlich nebeneinander einschläft. Es entsteht das stumme Einverständnis von zwei Menschen, die sich so nahe sind, dass sie nicht ständig miteinander reden müssen. Am engsten sind sich die beiden wohl am nächsten Tag, am Strand, als er ihr in einer Szene, die von der ganzen Glücksentschlossenheit des ersten Ferientages erfüllt ist, den Rücken eincremt. Danach wird er schwimmen gehen und für immer verschwinden.
Der Tod des Mannes bekommt in Ozons Film eine übermächtige Präsenz, weil Rampling ihn einfach verdrängt. Dabei beruht „Unter dem Sand“ auf der nicht besonders überzeugenden Idee, den in Maries Fantasie immer noch lebendigen Ehemann weiterhin in persona auftreten zu lassen. Von dieser zarten Tendenz zum Mummenschanz einmal abgesehen, konzentriert sich die Kamera ganz auf Rampling. Man könnte sogar fast unterstellen, das Drehbuch sei vor allem ein einziger, geschickt konstruierter Vorwand, sie allein zum Zentrum der Einstellung zu machen, denn Ozon filmt seinen weiblichen Star mit einer Hingabe, die schon lange keiner Schauspielerin mehr zuteil wurde. Mit einem diskreten Glanz, der sich nach Ramplings Zurückhaltung richtet und ihr die Räume, in denen sie sich bewegt, bis in die kleinsten Farbdetails wie Kleidungsstücke anpasst.
So kann sich die Kamera in ihrer Rückenlandschaft verlieren, jede noch so kleine nervöse Regung ihres Gesichts registrieren und ihren Beinen folgen, wie seit Truffaut kaum mehr Regisseur einer Frau gefolgt ist. Sie sieht ihr aber auch bei alltäglichen Verrichtungen zu, beim Aufwachen und Einkaufen, beim Essen, bei ihren Seminaren an der Universität. Es sind die eine Spur zu kontrollierten Züge, die unter der souveränen Undurchdringlichkeit die Verzweiflung durchscheinen lassen. Einmal liest sie ihren Literaturstudenten auf Englisch aus Virginia Woolfs „The Waves“ vor, und es sind solche Zeichen, die quasi aus dem Unterbewusstsein des Films selbst auftauchen, mit denen der Tod ihres Mannes und die Möglichkeit eines Selbstmordes ganz unmerklich an die Oberfläche drängen.
So erzählt „Unter dem Sand“ die Geschichte einer späten Trauerarbeit. In der vielleicht markantesten Szene des Films sieht sich Marie schließlich doch mit der ganz nüchternen Faktizizät des Todes konfrontiert, die auch das Ende der Verdrängung bedeutet. Sie geht verstört durch die Straßen, vorbei an einem belebten Restaurant, in das sie nur kurz hineinblickt. Irgendwann trinkt sie in einem Fast-Food-Restaurant einsam eine Cola. Ein letzter hilfloser Versuch, sich gegen die Rückkehr ins Leben zu wehren.
Es war das Ende von „Startdust Memories“, das Charlotte Rampling vor über zwanzig Jahren einen der attraktivsten Nervenzusammenbrüche der Filmgeschichte bescherte. Diesen Augenblick der Wahrheit und der Selbsterkenntnis spielte sie leicht derangiert, ungekämmt, überreizt und im Bademantel. Dabei ließ Woody Allen, der später immer wieder begeistert von ihrem neurotischen Sex-Appeal schwärmte, die Kamera die ganze Zeit fasziniert auf ihrem Gesicht.
Auch bei Ozon kommt der Zusammenbruch ganz zum Schluss. Im Grunde ist er nur ein leises Schluchzen, das zugleich erschütternd und befreiend wirkt, so als hätte sich der ganze bleierne Schmerz, den Rampling in diesem Film ein Jahr lang mit sich herumträgt, mit einem Mal gelöst.
„Unter dem Sand“. Regie: François Ozon. Mit Charlotte Rampling, Bruno Cremer u. a. Frankreich 2000, 90 Min.
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