Soziologe zu Meinungskuratoren im Netz: „Facebook lässt sich nicht zerlegen“
Algorithmen von Facebook & Co. legen fest, welche Netzinhalte „wertvoll“ sind. Das Kartellrecht und das NetzDG sind dem nicht gewachsen, sagt Ulrich Dolata.
taz am wochenende: Herr Dolata, Facebook hat gerade angekündigt, seinen Algorithmus so zu ändern, dass Nutzer mehr Beiträge von Freunden zu sehen bekommen und weniger von Unternehmen, Medien und politischen Gruppen. Damit sollen die Nutzer ihre Zeit „wertvoller“ auf Facebook verbringen können. Auch Google erklärt gern, wie sie unser Leben „besser“ machen wollen. Das ist ja ganz netter Werbesprech, aber was verschweigen uns die Unternehmen denn mit diesen Versprechen?
Ulrich Dolata: Erstens wissen wir nicht wirklich, wofür die Unternehmen unsere Daten verwenden. Wir verlieren die Selbstbestimmung darüber. Zweitens greifen Plattformen tief in unser Leben ein. Die Firma entscheidet, welche Posts politisch inkorrekt oder sexuell anstößig sind und deshalb gelöscht werden. Sie betätigt sich als Kurator des öffentlichen Diskurses. Was früher dem öffentlichen Justizsystem oblag, erledigt nun mindestens teilweise ein privater Konzern nach eigenen Regeln.
Gerade wird hitzig über das NetzDG diskutiert, das strafbare Inhalte in sozialen Medien verhindern und ahnden soll. Warum behandelt man Facebook nicht wie Zeitungen – die dürfen ja auch keine strafbaren Inhalte veröffentlichen?
Das ist eine irreführende Analogie. Im Gegensatz zur relativ begrenzten Welt der alten Medien stellen die Internetkonzerne vergleichsweise wenig Inhalt selbst her. Sie fungieren statt dessen als global agierende Informationsbroker und filtern eine Unmenge von privaten Posts, Meldungen, Nachrichten, Fotos und Filmen. Facebook, oder auch Google mit YouTube sind deshalb keine klassischen Medienunternehmen und nur zum Teil für die publizierten Inhalte verantwortlich.
Ist unsere Rechtsordnung diesen Geschäftsmodellen noch gewachsen?
In vieler Hinsicht derzeit nicht. Auch mit dem NetzDG, das Anfang des Jahres in Kraft getreten ist, hat die Bundesregierung derartige Entscheidungen teilweise in die Selbstregulierung der Unternehmen delegiert. Die bestimmen nach wie vor darüber, welche Inhalte sie löschen und welche nicht. Mit dem Gesetz erhält Facebook nun gewissermaßen offiziell die Funktion eines Moderators der öffentlichen Meinungsbildung und gleichzeitig die des Richters. Das Gewaltmonopol des Staats wird teilweise privatisiert. Das finde nicht nur ich sehr bedenklich.
Ließe sich das anders regeln?
Vielleicht durch eine neue Aufsichts- und Regulierungsbehörde, die das Internet im allgemeinen Interesse kontrolliert. Dort säßen dann anerkannte und öffentlich bestellte Experten, die wissen, wie und was Facebook, Google und Co. mit ihren Algorithmen steuern und beeinflussen können. Das wäre auch deshalb gerechtfertigt, weil manche Internetunternehmen mittlerweile eine monopolistische Macht errungen haben.
geb. 1959, ist Direktor des Instituts für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart. 2017 veröffentlichte er unter anderem das Buch „Kollektivität und Macht im Internet“.
Gegen Monopole oder Oligopole – also Firmen, die den Markt dominieren – gibt es das Kartellrecht. Funktioniert das hier nicht?
Facebook und Google sind im ökonomischen Sinn keine Monopole. Ihre Umsätze und Gewinne finanzieren sie vornehmlich durch Werbung. In diesem Bereich sind sie zwar wichtige Akteure, aber nicht marktbeherrschend. Beispielsweise die TV-Sender oder die Printmedien bieten ihnen dort noch starke Konkurrenz. Ihre Monopolstellung haben die Internetfirmen dagegen woanders. Google wickelt in vielen Staaten rund 90 Prozent der Suchanfragen im Internet ab. Und bei Facebook, sowie seinen Töchtern Whatsapp und Instagram haben sich über 2 Milliarden Nutzer angemeldet. Hier gibt es weltweit gibt keine ernsthaften Konkurrenten. Diese Leistungen sind aber kostenlos. Streng genommen handelt es sich dabei deshalb nicht um Märkte – und insofern auch nicht um Monopole.
Das ist eine Frage der Definition. Die Europäische Union kann das Kartellrecht ändern.
In Deutschland ist bereits das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen entsprechend novelliert worden. Mittlerweile werden dort auch Monopolstellungen bei unentgeltlich angebotenen Leistungen als Märkte bewertet. Auf dieser Basis lässt sich prinzipiell nun auch gegen entsprechende Angebote von Facebook oder Google vorgehen. Ich hege jedoch Zweifel, ob das erfolgreich sein wird.
Wenn der Gesetzgeber es will, sind drastische Eingriffe möglich. In den USA wurden beispielsweise der Ölkonzern Standard Oil und das Telekom-Unternehmen AT&T zerschlagen. Sind das denn gute Beispiele?
Nein. Facebook bildet öffentliche Diskurse im Internet ab. Wie wollen Sie einen solchen Konzern zerlegen? Man kann nicht Millionen Nutzer, deren Namen mit Buchstaben von A bis K beginnen, in die eine Firma stecken, und die Leute von L bis Z in eine zweite. Täte man es, wären die Vorzüge des Social Networking und auch die dahinter stehenden Geschäftsmodelle tot. Ebenso wenig hat es Sinn, Google zu verpflichten, den Suchalgorithmus offenzulegen. Denn das würde dem Missbrauch Tür und Tor öffnen. Wie gesagt: Ich halte eine stärkere öffentliche Regulierung und Kontrolle der Unternehmen durch nationale und europäische Aufsichtsbehörden jedenfalls im Moment für wesentlich sinnvoller als deren Zerschlagung oder Aufteilung. Daran sollte die Politik mit Nachdruck arbeiten. Eine Atomaufsicht gibt es ja schließlich auch.
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