Soziologe zu Castor-Protesten: "Die Situation ist günstig"
Bewegungssoziologe Dieter Rucht erwartet mehr Castor-Gegner. Richtig viele würden es aber erst, wenn der Atomkonsens tatsächlich gekündigt wird
taz: Herr Rucht, um die Castor-Transporte ist es in den letzten Jahren ruhiger geworden. Wie kommts?
DIETER RUCHT, 62, ist Professor für Soziologie an der Freien Universität Berlin. Im Handbuch "Soziale Bewegungen in Deutschland" (2008) hat er den Beitrag über die Anti-Atomkraft-Bewegung verfasst.
Dieter Rucht: Nach dem rot-grünen Atomkonsens sind die Proteste zurückgegangen. Es ist eben schwierig zu mobilisieren, wenn viele glauben, die Schlacht sei geschlagen.
Rechnen Sie damit, dass dieses Jahr wieder mehr Atomkraftgegner dabei sind?
Ja, die Voraussetzungen sind günstig. Der Konsens wird in Frage gestellt, die Atomlobby drängt in die Offensive. Das ist ein Anlass, der die Bewegung aufwecken könnte. Viele haben das Gefühl: Das lasse ich mir nicht gefallen. Ich habe mit etlichen Leuten gesprochen, die vor 30 Jahren dabei waren und jetzt erstmals wieder mitmachen.
Was heißt das für die Bewegung?
Es werden jetzt nicht plötzlich alle Atomkraftgegner nach Gorleben fahren. Der schlafende Riese wird nicht schlagartig aufwachen. Aber wenn diesmal wieder mehr Menschen dabei sind, kann es einen Domino-Effekt geben, der andere mitreißt. Wenn sich die Situation um die Atomkraft weiter zuspitzt, gibt es ein erhebliches Potenzial.
Was müsste dafür passieren?
Wenn der Atomausstieg ganz offiziell aufgekündigt wird - oder sogar neue Atomkraftwerke geplant werden -, dann wird es vermutlich erneut zu Massendemonstrationen und Blockaden kommen.
Und wenn die Reaktoren einfach nur länger laufen?
Wenn das so eine allmähliche Entwicklung ist - erst ein paar Jahre, dann noch ein paar -, ist die Wirkung geringer. Da fühlt man sich zwar betrogen, das hat aber keinen so großen Mobilisierungseffekt.
Mit wie vielen Teilnehmern rechnen Sie nächste Woche in Gorleben?
An solchen Spekulationen beteilige ich mich nicht. Auch für die Veranstalter ist es problematisch, mit Zahlen zu hantieren: Zu hohe Schätzungen werden als Zeichen von fehlendem Realitätssinn und Selbstüberschätzung gewertet. Umgekehrt können zu niedrige Zahlen einen demotivierenden Effekt auf potenzielle Sympathisanten haben
INTERVIEW: FELIX LEE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!