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Soziologe über Zwangsumsiedlungen„Es gibt keine Ghettos in Dänemark“

Mit Zwangsumsiedlungen will die dänische Regierung Kriminalität begegnen. Das sei wirkungslos und schädlich, sagt der Soziologe Troels Schultz Larsen.

Keine Parallelgesellschaft, trotzdem von Abriss und Umsiedlung betroffen: Mjölnerparken in Kopenhagen Foto: Magnus Hjalmarson Neideman/SvD/TT/imago
Anne Diekhoff
Interview von Anne Diekhoff

taz: Herr Schultz Larsen, die dänische Regierung nutzt den Begriff „Parallelgesellschaften“, um den radikalen Umbau bestimmter Stadtviertel zu begründen. Warum kritisieren Sie das?

Troels Schultz Larsen: Die Regierung, die 2018 das sogenannte Parallelgesellschaftengesetz einführte, sagte selbst, sie habe keine genaue Definition dafür – gehe aber davon aus, dass zwischen 25.000 und 125.000 Menschen in Parallelgesellschaften leben. Nach dem Motto: „Wir wissen nicht, was es ist, aber wir machen es trotzdem.“ So schafft man die Grundlage für Mythenbildung, Zufälle und politischen Opportunismus.

Im Interview: Troels Schultz Larsen

ist Soziologe an der Universität Roskilde in Dänemark. Er forscht u.a. zur Entwicklung urbaner Lebensräume, zu Städtepolitik, städtische Ungleichheit, wohnortgebundene Sozialarbeit und Gentrifizierung. Zur dänischen „Ghetto“-Politik hat er mit dem Städteforscher Kristian Nagel Delica das aktuelle Buch „Fragmenting Cities. The State, Territorial Stigmatization and Urban Marginality“ veröffentlicht. Bei deutscher Forschung zu Parallelgesellschaften verweist er auf die Arbeit von Karoline Reinhardt und Susanne Worbs.

taz: Haben Sie denn eine Definition?

Schultz Larsen: Eine Parallelgesellschaft ist nicht ortsgebunden: Das ist einer der zentralen Punkte in der sehr guten deutschen Forschung zum Thema. Außerdem sind Parallelgesellschaften homogen, mit einem gemeinsamen kulturellen Verständnis. Sie entwickeln eigene gesellschaftliche Institutionen. Und, entscheidend: Sie sehen sich in Opposition zu der sie umgebenen Gesellschaft. Das beschreibt alles nicht die dänischen Wohnsiedlungen, die von Abrissen und Zwangsumsiedlungen betroffen sind.

taz: Ein anderer zentraler Begriff dieser Politik ist „Ghetto-Liste“ – auf der landen schon seit 2010 Viertel, die bestimmte Kriterien der Regierung erfüllen.

Schultz Larsen: Der Begriff ist aus denselben Gründen problematisch. Es gibt keine Ghettos in Dänemark. Wir sagen nicht, dass es keine Probleme gibt. Uns geht es aber darum, dass man die Dinge beim Namen nennt. Man muss ganz konkret sagen, was los ist. Zum Beispiel: Hier ist eine Wohnsiedlung mit hoher Kriminalität. Hier ist eine Wohnsiedlung mit Mangel an stabilen Jobs. Hier ist eine Gegend, wo wir Probleme mit der Integration von Kindern in die Schule haben.

Einfach „Ghetto“ zu sagen, führt nur zu einer Menge unnötiger Vorurteile. Zusätzlich zur Arbeitslosigkeit müssen Betroffene sich dann noch mit dem Stigma herumschlagen. Es könnte zum Beispiel sein, dass sie einen Job nicht kriegen, weil der Arbeitgeber ihren Wohnort mit Unzuverlässigkeit assoziiert.

taz: Sie sagen, dass diese Liste allein aus praktischer Hinsicht überflüssig ist. Wie meinen Sie das?

Schultz Larsen: Ja, um wohnortgebundene soziale Probleme anzugehen, braucht man keine Ghetto-Liste. Es gibt bereits seit den 1980er Jahren spezifische Ansätze. Wohnungsbaugenossenschaften, Kommunen, NGOs und Freiwilligenorganisationen haben hier total viel geleistet. Und die Kommunen in Dänemark haben viel bessere Daten zu ihren Wohngebieten als diese Ghetto-Liste. Die rechnet nur: so und so viele Einwanderer, so und so hohes Einkommen und so weiter.

Die Kommunen hingegen wissen genau, was ihre spezifischen Probleme sind. Deswegen ist diese Liste unnötig. Statt zu helfen, kostet sie eine Menge Verwaltungsressourcen, bringt die stärksten Bewohner dazu, wegzuziehen und führt zu einem stigmatisierenden Druck.

taz: Diese Politik hat also niemandem geholfen?

Schultz Larsen: Ein positiver Effekt ist vielleicht, dass man den Fokus auf etwas richtet und politisch beschließt: Das hier ist wichtig, hier wollen wir handeln. Aber das haben andere auch vorher schon getan. Nein, die Ghetto-Liste ist nicht das passende Werkzeug, um die Probleme zu lösen. Sie verstärkt sie eher.

taz: In Schweden verweist die konservativ-rechte Regierung gerne auf Dänemarks härtere Rhetorik und Politik, als Vorbild für die Bekämpfung von Bandenkriminalität. Welche Zusammenhänge sehen Sie da?

Schultz Larsen: In Dänemark liegt der Fokus seit 30 Jahren auf Integrationspolitik. Und es ist statistisch nachweisbar, dass diese lokalen Anstrengungen in den Kommunen funktionieren. Auch hier gilt: Man muss die Dinge beim Namen nennen. Zu sagen, hier gibt es Ghetto-Probleme, das nützt nichts.

Was funktionierte, war, zu sagen, hier haben wir ein Problem mit Kriminalität. Und es ist eine bestimmte Generation Einwanderer, die diese Kriminalität verübt, das ist eine statistisch belegte Tatsache. Jetzt lösen wir das Problem. Wie kriegen wir die jungen Leute weg von den Risikofaktoren, die eine kriminelle Laufbahn begünstigen? Mit Maßnahmen, die sie besser in die Gesellschaft integrieren und mehr Sicherheit geben.

Damit arbeitet man in Dänemark seit Jahrzehnten sehr systematisch. Zudem verhängt man hier, anders als bislang meist in Schweden, hohe Haftstrafen auch gegen jugendliche Schwerkriminelle.

taz: Schweden hat die Dinge nicht beim Namen genannt?

Schultz Larsen: In Schweden fiel es vielleicht lange schwer, zu sagen, es geht hier auch um ethnische Minderheiten. Man wollte nichts Stigmatisierendes sagen und konnte deshalb nicht darüber sprechen. In Dänemark hat es geholfen, die Probleme direkt anzusprechen. Allerdings haben wir jetzt das Problem, dass die Bedeutung von Kulturen für eine kriminelle Laufbahn überbewertet wird. Da gibt es einen Generalverdacht gegen Kulturen aus dem Nahen Osten, der nicht auf Fakten beruht.

taz: Betroffene, die wegen der „Ghetto-Liste“ zum Verlassen ihrer Wohnungen gezwungen wurden, setzen ihre Hoffnung auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg, das in einigen Monaten kommen soll. Was erwarten Sie davon?

Schultz Larsen: Ich bin kein Jurist, aber der Generalanwalt war sehr deutlich in seiner Auffassung, dass die Anwendung des Kriteriums Ethnie im Parallelgesellschaftengesetz sowohl diskriminierend als auch stigmatisierend ist. Falls die Richter das in ihrem Urteil bestätigen, werden die Anwälte der Bewohner wahrscheinlich verlangen, dass die laufenden Umgestaltungspläne, darunter Abrisse und Zwangsumsiedelungen, in den betroffenen Gebieten gestoppt werden, bis der Fall von dänischen Gerichten geklärt wird.

taz: Glauben Sie, dass ein solches Urteil diese Politik grundsätzlich stoppen würde?

Schultz Larsen: Es ist sehr schwer zu sagen, welche Folgen das langfristig politisch hätte, aber es würde sicher zu einer Reihe Änderungen führen. Sicher weiß ich nur: Wenn es das Ziel ist, eine besser integrierte Stadt zu schaffen, dann ist der jetzige Weg der falsche. Die Methode ist sehr willkürlich. Familien, die vollkommen integriert sind und friedlich ihr Leben leben, werden zum Umzug gezwungen, weil ihre Eltern einer bestimmten ethnischen Gruppe angehören. Und Menschen, die zwangsumgesiedelt werden, verlieren erstmal ihr soziales Netz. Das schafft unsichere Lebenssituationen. Wir wissen, wie wichtig stabile Verhältnisse sind, um junge Menschen von der Kriminalität fernzuhalten. Unsicherheit ist ein Risikofaktor. Und das ist doch nicht das, was wir wollen.

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