Soziologe über Böllerverbot in Berlin: „Populistische Nebelkerze“
Feuerwerk ist schützenswertes Kulturgut, sagt der Soziologe und Pyrotechniker Felix Rausch. Von den neuen Böllerverbotszonen hält er nichts.
taz: Herr Rausch, erstmals wird es dieses Jahr in Teilen Berlin-Schönebergs und am Alexanderplatz Böllerverbotszonen geben. Haben Sie Verständnis dafür?
Felix Rausch: Ich bin da sehr skeptisch. Ähnlich wie bei Gefahrengebieten oder Kameraüberwachung führt das zu einer Verlagerung statt einer Verhinderung. Wenn sich Leute treffen wollen, um sich gegenseitig mit Böllern zu beschießen, werden sie das drei Straßen weiter machen. Insofern bewirkt das gar nichts und ist eine populistische Nebelkerze.
Spricht dann nicht viel für ein generelles Verbot, um die missbräuchliche Nutzung und die Störung für andere zu vermeiden?
Ich sehe, dass manche Menschen Feuerwerk anders verwenden als vorgesehen, und damit andere in Gefahr bringen. Ich verstehe auch, dass es Menschen gibt, die Feuerwerk grundsätzlich stört. Es ist aber falsch, daraus den Bedarf für ein generelles Verbot abzuleiten. Dazu muss man sehen, dass die Verwendung auf zwölf Stunden im Jahr beschränkt ist, von insgesamt 8.760 Stunden. Wir müssen schlau sein in der Abwägung, ob uns der Erhalt eines Kulturgutes – und das ist Feuerwerk – wichtiger ist als ein Verbot zur scheinbaren Erhöhung dessen, was wir als Sicherheit verstehen.
Was spricht denn für Feuerwerk?
Mir ist keine Region der Erde bekannt, in der nicht mindestens einmal im Jahr kontrolliert ausgerastet wird, sei es zu Karneval, religiösen Festen oder eben zu Silvester. Solche geframten Momente der Ekstase sind wichtig, etwa als Ventil für Zwänge, denen wir im Alltag unterliegen. In vielen Regionen weltweit sind diese Momente mit Feuerwerk verbunden – so auch hier. Diese regelmäßigen und noch immer relativ kontrollierten Momente sind sinnvoll.
Für die Umwelt ist Feuerwerk doch aber schädlich.
Die Umweltbelastung ist im Vergleich zu anderen Verschmutzungsfaktoren wie etwa Automobilverkehr gering. Der CO2-Ausstoß ist kaum relevant, problematischer ist die Feinstaubbelastung. Diese relativiert sich jedoch durch die jährliche Einmaligkeit enorm. Inzwischen arbeiten praktisch alle Hersteller daran, den Umwelteinfluss von Feuerwerk zu verringern. Da ist gerade sehr viel Bewegung drin. Die Ergebnisse werden sich in den nächsten Jahren noch deutlicher zeigen.
31, studiert Soziologie an der TU Berlin und ist seit vielen Jahren Pyrotechniker an Theatern oder bei Großveranstaltungen. Mit anderen gründete er 2013 das zündkollektiv.
Sind hierzulande geprüfte Böller viel sicherer als sogenannte Polenböller?
Die Zulassung von Feuerwerk wurde auf EU-Ebene harmonisiert. Jeder Feuerwerkskörper, der in Polen oder einem anderen EU-Staat zugelassen ist, kann frei zirkulieren und verwendet werden. Die Auflagen für die Zulassung in Bezug auf Verwendungssicherheit oder das Verbot bestimmter Chemikalien sind extrem hoch. Wer auf Sicherheit wert legt, sollte nur Feuerwerkskörper verwenden, die von einer europäischen Zertifizierungsstelle zugelassen sind. Im legalen Handel bekommt man in der Regel sowieso nichts anderes.
Was macht Ihre persönliche Begeisterung für Pyrotechnik aus?
Mich fasziniert der extrem ephemere, also flüchtige Charakter dieses Mediums. Es leuchtet auf und verschwindet praktisch im gleichen Moment wieder. Sogar Adorno feierte Feuerwerk als höchste Form der Kunst, da sie einfach nicht andauern will und im Moment der Vollendung wieder verschwindet. Harmlose Naturstoffe werden dafür zu mitunter gefährlichen Mischungen kombiniert, das ist viel potenzielle Energie.
Die allgemeine Begeisterung lässt sich vermutlich nicht mit Adorno erklären?
Manche Menschen geben viel Geld aus für dieses kurze Vergnügen. Das hat etwas Verschwenderisches, es markiert das Außergewöhnliche. Die Gefahren des Feuers sind nie ganz zu bändigen. Im Spüren von Druck und Hitze gibt es einen Moment der Angstlust. Und für manche ist Feuerwerk, wie es glänzt und glitzert, einfach nur schön, ganz Selbstzweck. In diesen Punkten sehe ich ein kurzes Aufbäumen gegen das Rationale, das heutige Gesellschaften durchzieht.
Woher kommt die Tradition, gerade zu Silvester zu böllern?
Die gängigste Erklärung ist, die Geister des alten Jahres zu vertreiben und das neue Jahr von Flüchen zu befreien und entsprechend laut und freudig zu begrüßen. Das sind Modelle, die sich auch in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft erhalten. Feuerwerk steht heute für den Moment der Freude und der Ausnahme, mit der das neue Jahr begrüßt wird.
Gibt es hierzulande spezifische Feuerwerks-Traditionen?
Schwarzpulver wurde etwa 1.000 nach Christus zum ersten Mal erwähnt. Das Kunsthandwerk Feuerwerk hat sich über die ganze Welt ausgebreitet und sehr regionsspezifisch ausgebildet. In den meisten Ländern Europas verschwand die Feuerwerkskunst mit den Importen aus China und viele Betriebe haben ab den 1960ern schließen müssen. In Ostdeutschland wurde das kunsthandwerkliche Wissen im VEB Silberhütte noch weiter gepflegt. Aber der Betrieb wurde auch nach der Wende abgewickelt.
Welche Rolle spielt Feuerwerk in Berlin?
In Berlin gibt es verschiedene Veranstaltungen, bei denen Feuerwerk eine zentrale Rolle spielt, etwa die Pyronale. Allerdings folgen diese von Pyrotechnikern choreografierten Feuerwerke einer immer gleichen Ästhetik, immer gleichen dramaturgischen Abläufen, immer das gleiche Spiel mit scheinbar programmierbaren Emotionen und Erwartungen. Solche auch vom Staat veranstalteten Feuerwerke, etwa zum Tag der Deutschen Einheit, sind auch Instrumente der Herrschaftssicherung im Sinne von Brot und Spiele. Das ist schon so seit Ludwig XIV. in Versailles. Insofern sehe ich solche Veranstaltungen auch kritisch.
Aber auf das Böllern an Silvester freuen Sie sich?
Ich selbst nicht.
Bitte?
Pyrotechnik ist mein Beruf, den ich über das Jahr mit Enthusiasmus ausübe. An Silvester überlasse ich das Ballern den anderen und genieße es dann einfach, unter FreundInnen zu feiern. Es ist schön, sich mal zurückzulehnen und zuzuschauen, wie andere das Feuerwerk übernehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag