Sozialpolitisches Thesenpapier: FDP versenkt Dekadenzdebatte
Die FDP will bei Hartz-IV den Zuverdienst erleichtern und die Kosten der Unterkunft pauschalieren. Angesichts eines neuen FDP-Thesenpapiers zeigten sich Wohlfahrtsverbände erleichtert.
BERLIN taz/epd | Auf vorsichtig positive Reaktionen bei Sozialverbänden ist ein Thesenpapier der FDP zur Hartz-IV-Debatte gestoßen. Die Vorschläge böten eine echte Möglichkeit, die Diskussion um das Thema zu versachlichen, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider. Es sei sinnvoll, Kindern einen Mix aus Sach- und Geldleistungen zu gewähren. Auch die Frage nach den Zuverdienstmöglichkeiten sei richtig gestellt.
FDP-Generalsekretär Christian Lindner hatte am Mittwoch auf einem Kongress in Berlin Vorschläge für eine Hartz-IV-Reform präsentiert, die er gemeinsam mit den Bundestagsabgeordneten Heinrich Kolb, Pascal Kober und Johannes Vogel erarbeitet hat. Die Autoren gelten schon länger als Befürworter einer programmatisch breiteren Profilierung der FDP, über das Image einer reinen Steuersenkungspartei hinaus. Sie reagierten mit ihrem Papier auf die vom Parteivorsitzenden Guido Westerwelle entfachte Diskussion, inwieweit die Leistungen für Hartz-IV-Empfänger einen Fall von "anstrengungslosem Wohlstand" darstellten, der mit "spätrömischer Dekadenz" gleichzusetzen sei.
Kernpunkt der Vorschläge sind Änderungen bei den Zuverdienstregeln. Einkommen bis zu 1.000 Euro bleiben demnach zu mindestens 40 Prozent anrechnungsfrei. Wird im Gegenzug die bislang großzügigere Regelung für Beträge bis 200 Euro gestrichen, ließe sich das Konzept nach FDP-Angaben kostenneutral verwirklichen. Die Autoren berufen sich dabei auf Berechnungen des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Die Gefahr, dass damit dauerhaft Niedriglöhne subventioniert werden, nehmen die FDP-Politiker in Kauf. "Aufstocken darf kein Schimpfwort sein", schreiben sie in dem Papier.
Außerdem wollen die Liberalen für die Unterkunft von Hartz-IV-Empfängern nicht mehr die realen Kosten erstatten, sondern einen regional unterschiedlichen Pauschalbetrag. Damit solle die Selbstbestimmung gestärkt und die Zahl der Gerichtsverfahren gesenkt werden, heißt es. Zu prüfen sei auch, ob zusammenlebende Personen jeweils den vollen Regelsatz erhalten sollen. Zumindest in einem Teil der Fälle werde dadurch die "würdelose Prüfung der Anspruchsberechtigung bis in den Intimbereich" entbehrlich.
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