Sozialkritisches Buch „Anerkennung“: Nicht ohne die anderen
Das Wort Selfie kommt in Axel Honneths neuestem Werk „Anerkennung“ nicht vor. Obwohl es nahe läge.
Mit dem französischen Aufklärer lässt der Frankfurter Philosoph, Jahrgang 1949 und Direktor des legendären Instituts für Sozialforschung, sein Buch über „Anerkennung“ beginnen. Mit ihm sieht er die „negative Schule“ eines philosophisch begründeten Begriffs von Anerkennung in Europa begründet, die bis zu Jean-Paul Sartre und Louis Althusser reicht.
Aus der Anschauung der höfischen Distinktionskämpfe des Ancien Régime destilliert Rousseau seinen Begriff der amour propre: die Neigung seiner Zeitgenossen, sich vom Urteil ihrer Umwelt so abhängig zu machen, dass sie am Ende nicht mehr wissen, wer sie selbst sind. Diese Orientierung an einem Gegenüber wenden David Hume oder Adam Smith nun mit ihrer „positiven Schule“ in einen Vorteil. In sein Auftreten einen „idealen Beobachter“ zu internalisieren, so ließen sich diese Ansätze zusammenfassen, fördert nicht nur die moralische Selbstkontrolle. Es verwandelt auch Egoismus und Eigennutz – die Triebfedern des britischen Frühkapitalismus – zu so etwas wie „Gemeinsinn“. Das Schlüsselwort heißt hier sympathy.
Die deutschen Philosophen denken Anerkennung vom Prinzip der Wechselseitigkeit her. Nach Immanuel Kant erblicken wir im Anderen die Verkörperung des allgemeinen Sittengesetzes. Wir unterstellen ihm Vernunft und räumen ihm die Freiheit der Reaktion ein. Der Idealist Hegel schließlich stellt diese Idee vom metaphysischen Kopf auf die materialistischen Füße. Für ihn ist sie nicht nur ein „geistiges Verlangen“, sondern mit konkreten Praktiken verbunden. Je nach sozialer Stellung der Beteiligten ist sie zudem ein asymmetrischer Konflikt.
Wie eine App im Hintergrund
Honneth verkneift sich jeden Bezug zu aktuellen Debatten. Er diskutiert sein Thema auch nicht im Lichte neuerer Ansätze wie Charles Taylor oder Avischai Margalit. Seine Untersuchung muss man sich wie eine App vorstellen, die „im Hintergrund“ läuft. Während im moralischen Tageskampf plötzlich alle „weiche“ Tugenden wie Zuwendung, Wertschätzung, Achtsamkeit oder eben Anerkennung reklamieren, birgt der Philosoph stoisch deren Wurzeln aus dem historisch-philosophischen Kontext.
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Dem rhetorischen Charakter des Bands – die Buchfassung der Robert-Selley-Lectures, die Honneth im Mai 2017 in Cambridge hielt – verdankt sich, dass das flüssig geschriebene Werk auch für Nichtphilosophen gewinnbringend zu lesen ist. Die (wissenschafts-)historische Anlage bedeutet auch nicht, dass Honneths Buch langweilig oder für aktuelle Fragen nicht recht zu gebrauchen wäre.
Seine eigene, an Hegel angelehnte Definition von Anerkennung: „Nur dadurch, dass wir uns wechselseitig als Personen anerkennen, denen die Autorität zukommt, je für sich über die Legitimität der gemeinsam geteilten Normen mitbefinden zu können, schaffen wir die Voraussetzung für eine normativ regulierte Koexistenz unter uns Menschen“ klingt nicht nur wie das Gegenstück zu Jürgen Habermas’ Idee vom Verfassungspatriotismus.
Bei dem einen tritt in Gestalt des Staatsbürgers der Mensch als politisches, bei Honneth tritt er als soziales Wesen auf. Seinem akademischen Lehrer, bei dem er sich 1990 habilitierte, hat der Wissenschaftler dieses Buch gewidmet.
Axel Honneth, „Anerkennung. Eine europäische Ideengeschichte“. Suhrkamp, Berlin 2018, 235 Seiten, 25 Euro
Ohne es zu erwähnen, legt die Formel auch die Defizite unserer (Diskurs-)Kultur offen: Die Reziprozität des Anerkennungsakts ist da unter die Räder der Verachtung gekommen. So wie hier die „Bedingung der Möglichkeit“ erodiert, sich selbst als Subjekt zu erkennen und Gesellschaft zu bilden, kommt einem die „ungestüme Aktivität unserer Eigenliebe“ (Rousseau) auf Instagram & Co. harmlos vor.
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