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„Soziales Dumping“

■ Gruppe „Alternative Wirtschaftspolitik“ lehnt 2. Schiffsregister ab / Hapag-Betriebsrat Söncksen sieht politische Ursachen der Schiffahrtskrise

Wissenschaftliche Unterstützung für seine Schiffahrtsvorschläge bekam Bremens Hafensenator Konrad Kunick gestern von der Gruppe „Alternative Wirtschaftspolitik“. Kunick will im September einen eigenen Bremer Gesetzesvorschlag in den Bundesrat einbringen, mit dem die SPD dem 2. Register der Bundesregierung Paroli bieten will. Statt billige Heuern, wie im 2. Register möglich, will Kunick den Reedern halbierte Steuern anbieten. (vgl. taz von 31.8.)

Die Gruppe „Alternative Wirtschaftspolitik“ habe bei den Ideen Kunicks nicht mitgewirkt, sagte der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel gestern, aber sie billige seine Vorschläge. Auch Jürgen Söncksen, Konzernbe triebsrats-Vorsitzender bei Hapag-Lloyd, nickte zustimmend.

An der Schiffahrtspolitik der

Bundesregierung dagegen ließ Söncksen kein gutes Haar. Mit dem 2. Schiffsregister, in dem die Reeder ausländische Matrosen zu billigen ausländischen Heuern beschäftigen können, will die Bundesregierung das Abwandern deutscher Reeder unter den Flaggen von Panama oder Antigua verhindern. „Angeblich!“ sagt Söncksen. Denn: Die Bundesregierung, zusammen mit anderen Industrieländern, habe sich immer für die Billigregister stark gemacht, um der deutschen Export -Industrie eine billige Verschiffung ihrer Waren zu ermöglichen. Heiner Heeseler von der Gruppe „Alternative Wirtschaftspolitik“ ergänzte: Die Erfahrungen mit dem norwegischen offenen Register, das seit Anfang 1987 besteht, hätten ergeben, daß norwegische Reeder, die ihre Schiffe einmal in einem Billig

Heuer-Land eingetragen haben, nicht wieder unter die norwegische Flagge zurückgekehrt sind, auch nicht unter die billige des offenen Registers.

Die alternativen Wirtschaftswissenschaftler verkannten nicht, daß es riesige Überkapazitäten an Frachtraum gibt. 40 Prozent der Container-Plätze an Bord bleiben frei, berichtete Betriebrat Söncksen. Auch dahinter sah er politische Ursachen: Die enormen Abschreibungsmöglichkeiten hätten gut verdienende Bundesbürger dazu verleitet, ihr Geld in Schiffsbeteiligungen zu investieren. Mit den Verlustzuweisungen aus der maroden Schiffahrt hätten sie ihre Steuerlast zum Beispiel aus der Zahnreparatur vermindert. Aber: Auf diese Weise sei in die „Zahnarzt -Reedereien“ mehr Kapital geflossen, als der Markt vertragen

konnte.

Die Gruppe fürchtet, daß fast alle der mehr als 17.000 deutschen Seeleute gegen ausländische Matrosen ausgetauscht werden, wenn der Bundestag per Gesetz das 2. Schiffsregister einführt. Deshalb stellt sie sich hinter die Vorschläge Kunicks, aber sie geht noch weiter: Sie fordert, daß der Unctad-Code angewendet wird, eine internationale Vereinbarung, nach der der Frachtverkehr zwischen zwei Ländern zwischen ihren Handelsflotten geteilt werden soll. Nur 20 Prozent der Gesamtfracht sollen an sonstige Anbieter vergeben werden. Unter solchen Bedingungen hätte die bundesdeutsche Flotte ungleich mehr zu tun. „Der Unctad-Code ist internationales Recht“, sagte Jürgen Söncksen, „nur die Industrieländer haben vereinbart, ihn nicht anzuwenden“.

mw

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