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Sozialer Service

In der Literaturwerkstatt suchte man nach der Kunst – auf dem Markt, im Internet und an der Tankstelle  ■   Von Ulrich Gutmair

Ist die Kunst am Ende oder am Ende gar alles Kunst? Man hat schon so einiges sterben sehen in den letzten Jahrzehnten, und darum verzichtete man auf dem Kolloquium „Am Ende Kunst“ in der Berliner Literaturwerkstatt dankenswerterweise auf den ganz großen Abgesang. Fakt sei aber, so die Grundannahme der Tagung, dass sich der Status von Kunst grundlegend geändert hat: Zu fragen wäre also vielmehr, ob die Kunst heute zu einem „hoch dotierten und hoch codierten Dienstleister in einer universalen Erlebnis- und Freizeitgesellschaft“ geworden sei. Das interessierte offenbar auch die Bundeszentrale für politische Bildung und die Bertelsmann Buch AG, die das Unternehmen unterstützten.

Um einer Antwort über den Zustand des Patienten näher zu kommen, hatte man diverse Akteure aus der Kunstvermittlung und dem Verlagswesen eingeladen, die allesamt höchst unterschiedliche Antworten und zum Teil dichte Diagnosen zum Verhältnis von Kunst und Markt vorstellten. Der Berliner Galerist Gerd Harry Lybke begrüßte die Professionalisierung der hiesigen Galerienszene, bedauerte aber gleichzeitig den Trend zur Aufrüstung in Sachen Marketing, der Galerien mit einem ausreichenden Polster an Kapital Wettbewerbsvorteile verschafft.

Während die Mechanismen des Marktes so im Kunstbetrieb wirken, wandelt er sich selbst zunehmend zum Schauplatz einer speziellen Form des Konsums. Für eine neue Generation von Kunstkonsumenten ist der Kurzbesuch in Ausstellungen mit Eventcharakter nur ein weiteres Produkt neben MTV und H & M für die Patchworkidentität.

Dort, so die HdK-Dozentin Annette Tietenberg, herrsche die Illusion der Selbstentfaltung, der das richtige Leben im falschen vor allem als Spaß erscheine. Die junge Kunst hegt dagegen umgekehrt den Wunsch nach gesellschaftlicher Relevanz, ohne den Horizont der symbolischen Repräsentation durch sozialen Service wirklich verlassen zu können.

Überhaupt erwies sich Marketing als eines der wesentlichen Stichworte in der Debatte um den Stellenwert von Kunst in der Lifestylegesellschaft. Volker Gebhardt, ein ehemaliger Mitarbeiter des Taschen Verlags, machte in seinem früheren Arbeitgeber eine weitaus fragwürdigere monopolistische Konzentration an Definitionsmacht aus. Taschen, der seine Bücher auch an brasilianischen Tankstellen verkauft, sei inzwischen zu einem Global Player auf dem Kunstbuchmarkt geworden und entscheide so darüber mit, was als Kunst zu gelten hat.

Taschen liefert damit das Modell für Boris Groysens anfangs geäußerte These, die mediale Verbreitung habe sich als Kriterium des Gelungenseins eines Kunstwerks endgültig durchgesetzt. Umgekehrt ergibt sich aus dieser Einsicht die Notwendigkeit, Instrumente zur Lenkung von Märkten zugunsten künstlerischer Produktion einzusetzen, so Claudia Baumhöver.

Als es darum ging, eine tatsächlich bereits klinisch tote Kunstform zu reanimieren, halfen nur Marktanalysen und ein neues Image: Der HörVerlag konnte unter seiner Leiterin Baumhöver das gesprochene Wort erfolgreich wieder am Markt etablieren. Davon profitiert inzwischen selbst Adornos Stimme, die nun auch außerhalb esoterischer Rundfunkprogramme wieder gehört werden kann.

Während das Wort erst wieder revitalisiert werden muss, ist Netzkunst noch immer weitgehend unsichtbar. Dabei ist sie laut Tilman Baumgärtel der beste Beweis, dass die Kunst munter weiterexistiert: Als „Materialprüfungsamt des Internet“ steht net.art in der Tradition der Moderne, indem sie die intrinsischen Eigenschaften des Netzes zur Debatte stellt. Dabei schafft sich Netzkunst außerhalb von Markt und Kunstbetrieb ihren eigenen diskursiven Rahmen, verzichtet also auf jede Legitimation durch die klassischen Kunstinstitutionen. Insgeheim versuchte „Am Ende Kunst“ wohl auch ein Programm der Überwindung der teutonischen Dichotomie von E und U zu formulieren. Wenn die staatlichen Gelder nicht mehr wie gewohnt fließen, oder wie im Fall von Audiokunst zur Errichtung hermetischer Biotope durch öffentlich-rechtliche Betonfraktionen missbraucht werden, dann besinnt man sich gern des Marktes als des Ortes, wo sich das Publikum aufhält, auch unter drohender Entertainmentgefahr.

Davon, dass innerhalb der Formen der Popkultur womöglich die relevanteren Fragen der Gegenwart verhandelt werden, war in der Literaturwerkstatt in Pankow aber weniger die Rede. Der eine oder andere Teilnehmer muss wohl erst noch davon überzeugt werden, dass Kunst sich nicht dadurch definiert, „tödlich“ zu sein.

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