piwik no script img

Soziale Spaltung in HamburgArmut verfestigt sich

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird nicht kleiner, sagt Die Linke. Sie wirft dem SPD-Senat Untätigkeit und Trickserei vor – und schwärmt von Schwarz-Grün.

"Hauptstadt der Altersarmut": 18.000 Hamburger Rentner beziehen Grundsicherung, viele schlagen sich als Pfandsammler durch. Bild: dpa

HAMBURG taz | Das gibt es selten. Auf einer Pressekonferenz zum Thema soziale Spaltung in Hamburg schwärmt die Linkspartei ausgerechnet von Schwarz-Grün. Deren „Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung“ habe die Kluft zwischen armen und reichen Stadtteilen weit mehr im Blick gehabt als die aktuelle Politik des SPD-Senats und seines Sozialsenators Detlef Scheele. Der bete die soziale Lage der ärmeren Hamburger nur gesund und „verweigere die Arbeit“ im Bereich Armutsbekämpfung.

Statt mit Maßnahmen gegen Kinderarmut und Armut im Alter begegne der Senat „der wachsenden sozialen Spaltung mit Kürzungen im Bereich der integrierten Stadtentwicklung, bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik und in der Sozialpolitik, vor allem im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit“, heißt es in einer Studie, die die Linksfraktion am Dienstag der Öffentlichkeit präsentierte.

„Der SPD-Senat hat sozialpolitisch versagt“, klagt die Linken-Abgeordnete Çansu Özdemir. Als Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) Ende Januar seinen Sozialbericht vorlegte, habe der Senat „ganz bewusst Zahlen ignoriert“, kritisierte Özdemir. So kommen die Linken in der federführend von dem ehemaligen Linken-Bürgerschaftsabgeordneten Joachim Bischoff verfertigten Studie zu dem Schluss, die Armut in Hamburg habe sich trotz guter Wirtschaftsdaten in den vergangenen Jahren zumindest verfestigt, wenn nicht gar zugenommen. Nirgends in der Republik sei die Kluft zwischen Arm und Reich so groß wie in Hamburg. Allein 18.000 Rentner seien auf Grundsicherung angewiesen. „Hamburg ist Hauptstadt der Altersarmut“, konstatiert deshalb der Co-Autor der Studie, Bernhard Müller.

Noch viel dramatischer sei die Lage vieler Kinder und Jugendlicher, klagt Müller: „Auch da zeichnet sich der Senat durch hartnäckige Ignoranz aus.“ Nach der Untersuchung von Müller und Bischoff wachsen in Stadtteilen wie Billstedt, Steilshoop, Hammerbrook oder Rothenburgsort inzwischen rund die Hälfte der Kinder unter sieben Jahren in Armut auf. Man könne deshalb von einer „sozialräumlichen Verdichtung von Armut sprechen“, so die beiden Autoren.

Gespaltene Stadt

Gespaltene Stadt

Gemessen: Die "Armutsgefährdungsquote" ist ein Indikator zur Messung von Einkommensarmut. Sie ist definiert als der Anteil der Personen, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens (Median) der lokalen Bevölkerung beträgt.

Gelesen I: Die Studie "Soziale Spaltung in Hamburg" von Joachim Bischoff und Bernhard Müller kann zum Preis von fünf Euro bei der Redaktion Sozialismus (redaktion@sozialismus.de) bezogen werden.

Gelesen II: Das unlängst erschienene Buch "Hamburg: Gespaltene Stadt?", herausgegeben von Gerd Pohl und Klaus Wicher, ist für 16,80 Euro im Buchhandel oder beim VSA-Verlag erhältlich.

Gestiegen: Der Anteil an Sozialhilfeempfängern war 2012 am höchsten in Neuallermöhe, gefolgt von Jenfeld.

Sozialsenator Scheele hatte bei der Vorlage des Sozialberichts Ende Januar erklärt, dass die „Armutsgefährdungsquote“ zwischen 2000 und 2010 leicht gesunken sei – von 14 auf 13 Prozent. Dabei habe Scheele jedoch bewusst unterschlagen, dass die Quote unter dem seit 2011 amtierenden SPD-Senat wieder nach oben geklettert sei, nach Angaben des Statistischen Bundesamts 2011 auf 14,7 und 2012 sogar auf 14,8 Prozent.

Özdemir, die einen Anstieg der Armut durch die Schuldenbremse befürchtet, verlangt vom Senat, wieder mehr Geld in Betreuungs- und Beratungsstellen zu investieren und so die Infrastruktur der benachteiligten Stadtteile zu stärken. Bischoff wies darauf hin, dass der Senat allein in diesem Jahr 150 und im kommenden Jahr gar 180 Millionen Euro vom Bund für die Grundsicherungsleistungen im Alter bekomme. Statt das Geld einfach im Gesamthaushalt zu vereinnahmen, sollten die Mittel zielgerichtet in die genannten Stadtteile investiert werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

12 Kommentare

 / 
  • @ROI

    Das ist m.M. unzutreffend. Die debile SPD unter Ortwin Runde hätte nie so viele Milliarden in den Sand gesetzt wie die von-Beust-CDU. Wir haben eine Konzerthalle, die überflüssig ist, eine U-Bahn an der falschen Stelle, Milliarden-Schulden und immer noch keine dynamische Wirtschaftsentwicklung, dazu eine (immer noch) gefährliche HSH-Bank und nicht gerade Top-Beamte und Politiker bei der Hand.

     

    Die SPD war vor 2001 absolut nicht gold, aber deren Geldausgabepolitik war drastisch rationaler als die von Beust/ Schill. Außerdem geht's nicht nur um Geld: Von Beust/Kusch/Schill haben der Stadt einen extremen Sicherheitsstaat überstülpen wollen, davon ist die SPD sogar heute noch weit entfernt. Selbst Andreas Dressel oder Neumann sind im Kontrast zu Kusch oder Schill liberale Anhänger einer Demokratie.

     

    Ich mag die SPD nicht, aber die CDU hat diese Stadt regelrecht ruiniert. Und von Einsicht ist die Union auch noch weit entfernt, Ole von Beust würde wieder eine Elbphilharmonie mit den gleichen Verträgen und Nachteilen bauen. Das ist doch eine drastische Unterschreitung politischer Vernunft, die bei der SPD auch nicht großartig vorhanden ist, aber bei der CDU gibt's die überhaupt nicht.

  • 6G
    6474 (Profil gelöscht)

    letztich ist es einfach ziemlich egal ob die stadt-cdu oder die spd an der macht ist.wobei sich die spd immer noch extra nach rechts profilieren muss um ja nicht als zu lasch oder sozialistisch wahrgenommen zu werden.das hat die cdu oft nicht nötig.ist doch alles krotesk.

     

    aber ich fand das politische klima in der stadt unter beust tatsächlich ein wenig angenehmer,wenn auch weit von gut entfernt.

  • Mit einer Linken, die für Schwarz wirbt, will ich nichts zu tun haben.

    • @vic:

      So ein Glück (oder Pech) für die Linke, dass sie das nicht tut. Sondern lediglich die SPD damit kontrastiert.

    • D
      D.J.
      @vic:

      Wenn ich Sie richtig einschätze, möchten Sie überhaupt ungern mit Meinungen zu tun haben, die an Ihrem verfestigten Weltbild rütteln.

      • @D.J.:

        Immerhin habe ich eins.

  • Die SPD tritt über die Agenda-Politik sowieso aktiv für die Verarmung ein. Nach dieser Denkart motiviert die Armut die Armen, ihr Schicksal zu ändern und sich stärker anzustrengen, sich im Zweifel sogar selber Arbeit durch Kreativität zu schaffen.

     

    Was man allerdings jetzt schon prognostizieren kann, ist das genaue Gegenteil: Die Verarmung und strukturelle werden drastisch zunehmen, weil es a) die Hartz-Reformen gab und b) weil es die Riester-Reform gab.

     

    Diese beiden SPD-Kernreformen lassen Arbeitslose, Arme, Kranke und Alte verarmen, überall in Deutschland. Nach Plan, könnte man auch sagen. Dass Detlef Scheele sich das nicht unter die Nase halten will, kann ich verstehen. Aber Hamburg (bzw. der gesamte Norden) bräuchte(n) schon Wachstumsraten aus den 1950ern/60ern, um dieser Verarmung zu entgehen. Eigentlich kann nur eine 100-prozentige Vollbeschäftigung bei steigenden Löhnen diese Entwicklung aufhalten.

     

    Und da kann ich nur sagen: Warum nicht Riester und Hartz kippen?

     

    Es gibt keine Vollbeschäftigung und es gibt keine private Vorsorge für arme, Gering- oder Mittelverdiener. Riester lohnt inwzischen überhaupt nicht mehr. Und die Rentenniveauabsenkung trifft am Ende ganz normale Arbeitnehmer. Und mit ein Mal Malle sparen (Müntefering) kann man das Problem absolut nicht beheben. Und auch Sparen bringt nichts, denn für den Normalbürger gibt's fast nur Mist im Angebot.

  • Warum laden wir nicht den dicken Erzengel und Mutti-hörigen SPD-Gabriel nach HH ein? Er könnte armen Hamburgern hübsch predigen, den Gürtel halt noch etwas enger zu schnallen...

    Lang lebe die SPD!

  • " ...180 Millionen Euro vom Bund für die Grundsicherungsleistungen im Alter bekomme. Statt das Geld einfach im Gesamthaushalt zu vereinnahmen ..."

     

    Ich fass das nicht, alles Verbrecher!

  • A
    aurorua

    Nebenbei bemerkt, egal ob Jugenorganisationen fast aller deutschen Parteien, alle bekannten deutschen Sozialverbände, SPD, Linke, Grüne, Piraten (bei den restlichen Parteien habe ich mir das Anschreiben erspart), alle haben meine bitte folgende Petition in Sachen Altersarmut doch mit einem kleinen Hinweis innerhalb ihrer sozialen Netzwerke (Zeitschrift, Onlinepräsentation etc.) zu würdigen entweder völlig ignoriert oder sinngemäß nach dem Motto geantwortet: "Wenn wir diese zwingend notwendige Reform nicht auf die Reihe bekommen, gestehen wir das erst recht auch keinem Aussenseiter zu". Tolle Demokratie! Link zur Petition:

    https://www.openpetition.de/petition/online/buergerversicherung-altersversorgung-solidarisch-und-gerecht

    • @aurorua:

      Danke für den Link!

  • A
    aurorua

    Dieses Phänomen, geboren aus einem über dreissig Jahre währenden medialen Trommelfeuer des Neoliberalismus auf fast allen Ebenen der deutschen Medienlandschaft, ist doch nichts Neues. Egal ob Kommune, Bundesland oder die gesamte Republik. Eine sukzessive Entwicklung vom -laut Verfassung- Sozialstaat hin zum Wohlfahrtsstaat der Tafeln, Kleiderkammern und Suppenküchen ist überall parallel zum Sozialabbau zu beobachten. Das Unverschämte ist, solange die Diäten, Freibeträge, Sonderzuschläge, Privilegien und nicht zuletzt die exobitant überhöhten Pensionen für Beamte und Politiker(ohne einen Eurocent Beitragsleistung) stetig steigen, nehmen unsere "Volksvertreter" diesen schleichenden Prozess billigend in kauf. Weder die Medien, noch die Politik thematisieren z.B. die völlig ungerechte, unsoziale und undemokratische Regelung der Altersversorgung. Bis ca. 2040 werden die Pensionen den Steuerzahler etwa eine Billion € Kosten, woher das kommen soll weiß niemand. Offenbar gilt der Demographiefaktor den man dem Rentner täglich um die Ohren haut da nicht. Merkwürdig, geht es darum bei den Renten Jung und Alt gegeneinander aufzuhetzen, ja da sind alle Medien mit bei. Die wirklichen Verhältnisse werden geflissentlich verschwiegen. Wehrt Euch endlich Bürger! Siehe folgenden Link:

    https://www.openpetition.de/petition/online/buergerversicherung-altersversorgung-solidarisch-und-gerecht