Sozialdemokratisches Dilemma: "Die SPD steht vor einer Zerreißprobe"

Die Union hat nach den Wahlen in Hamburg und Hessen bessere Karten als die SPD. Denn die kann sich nur der Linkspartei öffnen, deren Zukunft höchst ungewiss ist, so der Politologe Michael Thomas Greven

"Die spannende Frage ist, ob einige ihrer Genossen ihr die Gefolgschaft verweigern werden". Bild: dpa

taz: Herr Greven, gibt es in Hamburg eine große Koalition oder Schwarz-Grün? Michael Thomas Greven: In der politischen Debatte wird Schwarz-Grün für die wahrscheinlichere Variante gehalten. Angesichts der massiven Differenzen bei der Elbvertiefung, dem geplanten Kohlekraftwerk Moorburg und der Entwicklung des Schulsystems wird es für die Grünen in Hamburg aber sehr schwer werden, in diese Koalition zu gehen.

Also große Koalition?

Es ist klar, dass es bei Herrn von Beust und Teilen der Bundes-CDU eine Präferenz für die schwarz-grüne Koalition gibt. Für die CDU ist ein kleinerer Koalitionspartner bequemer als die starke SPD. Aber wenn man sich die zwischen CDU und GAL kontroversen Wahlkampfthemen anschaut, ist eine große Koalition am Ende wahrscheinlicher.

Können die Grünen überhaupt mit der CDU koalieren, ohne dass ihr breite Teile ihrer Wähler den Rücken kehren?

Auch wenn in Hamburg die Vorzeichen für eine schwarz-grüne Koalition nicht gut sind, sind die Grünen - in einer größeren zeitlichen Perspektive gesehen - in einer strategisch günstigen Position, da sich sowohl die SPD als auch die CDU um eine Koalition mit ihr bemühen.

Welches bundespolitische Signal geht von Hamburg aus?

Es hat sich in Hamburg erneut gezeigt, dass beide Volksparteien große Schwierigkeiten haben, sich auf die veränderte Parteienlandschaft einzustellen. Die CDU hat da bessere Optionen: Sie kann außerhalb von Hamburg weiter auf die FDP hoffen, und auch die Grünen denken nun ernsthaft darüber nach, mit ihr zu koalieren. Die SPD steckt dagegen in der Falle. Sie hat aufgrund der absoluten Festlegung der FDP nur die Option, Juniorpartner einer CDU-geführten Regierung zu werden oder das rot-rot-grüne Bündnis zu wagen.

Was Hamburgs SPD - von der CDU in die Enge getrieben - definitiv ausgeschlossen hat.

Die Kampagne der CDU/CSU gegen eine Steigbügelhalter-Rolle der Linkspartei ist gerade in Hamburg absolut heuchlerisch, wenn wir uns daran erinnern, wie Herr von Beust 2001 mithilfe einer rechtspopulistischen und ausländerfeindlichen Partei zum Bürgermeister gewählt wurde. Es hat mich sehr gewundert, dass die SPD sich hier so hat in die Defensive drücken lassen, statt an den Beginn des Aufstiegs von Ole von Beust zu erinnern.

Die SPD-Spitze hat am Montag deutliche Signale gesendet, dass eine Kooperation mit der Linken in den neuen Bundesländern künftig möglich sein wird.

Die SPD kann und wird sich ihre bisherige Abgrenzung gegenüber der Partei Die Linke auf Dauer nicht durchhalten. Aber sie steht durch die jetzt eingeleitete Öffnung vor einer innerparteilichen Zerreißprobe und wird auch Wähler verlieren.

Wird Hessen da den weiteren Weg weisen?

In Hessen wird es zur Nagelprobe kommen, sollte Frau Ypsilanti als Ministerpräsidentin antreten, was ich glaube. Die spannende Frage ist aber eigentlich, ob einige ihrer Genossen, die eine Kooperation mit der Linken prinzipiell ausschließen, ihr die Gefolgschaft verweigern werden.

Ist das Modell, sich als SPD-Kandidatin mit den Stimmen der Linken wählen zu lassen, um dann ohne Mehrheit regieren zu müssen, überhaupt eine denkbare Zukunftsoption?

Das ist ein Versuchsballon, der das Dilemma ausdrückt, in dem sich die SPD derzeit befindet. Wenn es in Hessen zu einer solchen Konstellation kommt, wird das ein Übergangsphänomen im Parteiensystem bleiben. Die Einzigen, die von dem Dilemma der SPD zurzeit profitieren, sind die Linken, da es auch den Grünen aufgrund ihrer Öffnung zur CDU nicht gelingt, dieses linke Spektrum einzufangen.

Ist die Linke mit dem erneuten Einzug in einen westdeutschen Landtag zur gesamtdeutschen Partei geworden?

Vor einer langfristigen Prognose würde ich hier warnen. Im Moment ist der Erfolg der Partei die Linke in den westdeutschen Bundesländern eindeutig noch der Agenda-2010-Politik der rot-grünen Koalition unter Schröder geschuldet, die den Spielraum auf der Linken erst eröffnet hat. Die Wählerwanderungen in Hamburg zeigen, dass die Linke ihre Anhänger hauptsächlich unter den bisherigen Nichtwählern und damit aus dem Protestbereich rekrutieren.

Heißt das: Die Linke bleibt im Westen eine temporäre Erscheinung?

Ob sich die Linke im Westen dauerhaft als linkssozialistische Partei etabliert, hängt davon ab, ob sie es schafft, sich eine eigene Stammwählerschaft zu bilden, die sie bisher nur in geringem Maße besitzt, da sie bisher hauptsächlich von Protestwählern profitiert. Dabei wird mitentscheidend sein, wie seriös ihre Landtagsfraktionen in absehbarer Zukunft operieren. Da darf man skeptisch sein.

INTERVIEW: MARCO CARINI

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