Sozialbetrug in Bremerhaven: Ausbeutung von oben gedeckt
Ex-Sozialdezernent Klaus Rosche (SPD) verhinderte die Aufklärung von Ausbeutung Osteuropäischer Einwanderer. Informationen hielt er unter dem Deckel.
Rosche lagen frühzeitig etliche Hinweise auf organisierten Betrug vor. Unternommen hat er lange nichts, wie die Abgeordneten ihm vorhielten. Rosche musste zum zweiten Mal aussagen und blieb erneut plausible Erklärungen für seine phlegmatische Amtsausübung schuldig.
Hinweise auf Betrug seit Anfang 2013
Nach Erkenntnissen der Abgeordneten hatte Rosche bereits Anfang 2013 unter anderem durch eine Beratungsstelle der Arbeiterwohlfahrt (AWO) ausführliche Informationen vorliegen. Das Sozialressort hatte die Beratung eingerichtet und finanziert – angesichts einer Vielzahl eingewanderter Menschen aus Bulgarien und Rumänien, die in Bremerhaven in ärmlichen Verhältnissen lebten. Laut Rosche sollten über die Beratungsstelle neben einer sozialen und rechtlichen Beratung auch Informationen über die Lage der Betroffenen gewonnen werden.
Deswegen musste die Beratungsstelle dem Sozialdezernenten neunmal zwischen April 2013 und 2016 Bericht erstatten. Dabei war stets von fingierten Arbeitsverträgen und missbräuchlichen Beratungen die Rede – durch die Vereine, die mittlerweile Gegenstand der staatsanwaltlichen Ermittlungen sind. Rosche blieb hingegen untätig.
Rosche verpasste der AWO einen Maulkorb
Mehr noch: Er ignorierte nicht nur die Berichte, er behinderte auch aktiv deren Veröffentlichung: Nachdem eine Mitarbeiterin der Arbeiterwohlfahrt (AWO), die es nicht hinnehmen wollte beim Sozialressort stets auf taube Ohren zu stoßen, die Trägerversammlung informiert hatte, verpasste Rosche einfach der AWO einen Maulkorb. Fortan durfte die Beratungsstelle die Berichte allein der Sozialbehörde vorlegen. Dazu Rosche am Donnerstag: „Da hätte sie ihre Berichte auch gleich der Presse geben können.“
Klaus Rosche, Sozialdezernent
Auch andere Zeugen hatten konkrete Hinweise auf den Betrug gegeben: Eine Schulleiterin wies auf falsch abgerechnete Bildungsleistungen hin, der Bildungsstaatsrat ebenfalls. Rosche äußerte sich dazu schmallippig. Mit verschränkten Armen erklärte er wahlweise: „Ich war nicht zuständig“, „Wir hatten keine Kenntnisse“ oder „Ich kann mich nicht erinnern“.
Erst Anfang 2016 flog der mutmaßliche Sozialbetrug auf. Der Bürgerschaftsabgeordnete Patrick Öztürk (ehemals SPD), dessen Verwandte und Bekannte hatten Betroffene offenbar nach Bremerhaven gelockt, um sie in Schrottimmobilien unterzubringen und ihnen Scheinselbstständigkeit zu attestieren. So sollen sie Sozialhilfe abkassiert und Bildungsleistungen vom Jobcenter und dem Sozialamt abgerechnet haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“