Sozialbehörde gibt nach: Hilfe trotz Pflegestufe eins
Einigung vor Oberverwaltungsgericht: Auch wer nur auf Pflegestufe eins steht, hat Anspruch auf Landespflegegeld.
In Zukunft hat ein Teil der Bremer, die im Sinne des Landespflegegeldgesetzes (LPGG) zwar als „schwerstbehindert“ gelten, aber lediglich die Voraussetzungen für niedrige Pflegestufe eins erfüllen, Anspruch auf Landespflegegeld. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) und die Sozialsenatorin haben sich vor zwei Wochen geeinigt, dass sie an ihrer früheren Rechtsauffassung nicht länger festhalten.
Diese frühere Rechtsauffassung hieß: Wer laut Pflegeversicherung in Pflegestufe eins eingeordnet ist, hat keinen Anspruch auf Landespflegegeld. „Die Pflegeversicherung zahlt demjenigen nur rund 230 Euro im Monat“, sagt Wilhelm Winkelmeier, Geschäftsführer der Beratungsstelle „SelbstBestimmt Leben“.
Ist ein Mensch laut LPGG „schwerstbehindert“, stünden ihm insgesamt 360 Euro zu. „Der Differenzbetrag muss dann eigentlich in Form von Landespflegegeld bezahlt werden.“ Das verweigere die Sozialbehörde aber seit Jahren in fast allen Fällen.
Die Einigung vorm OVG kam aufgrund der Klage eines Mannes mit Querschnittslähmung zustande: „Er hat früher Landespflegegeld erhalten, ist dann aus Bremen weggezogen, und als er wiederkam, wurde ihm plötzlich sein Anspruch verweigert“, sagt Winkelmeier.
Seit 1972 gilt das Landespflegegeldgesetz (LPGG). Nach mehrfacher Überarbeitung sieht es in der aktuellen Form die einkommens- und vermögensunabhängige Zahlung eines monatlichen Pflegegeldes an blinde und schwerstbehinderte Menschen vor.
Was "schwerstbehindert" bedeutet, definiert § 1 (3) LPGG: So gelten auch "querschnittsgelähmte Menschen mit Blasen- und Mastdarmlähmungen" als schwerstbehindert und haben Anspruch auf Landespflegegeld.
Der Mann ging vors Verwaltungsgericht, und das urteilte in erster Instanz 2009 im Sinne der Sozialsenatorin: Es müsse eine außergewöhnliche Pflegebedürftigkeit bestehen – und die sei nicht gegeben.
Von einer zusätzlichen Pflegebedürftigkeit steht im LPGG jedoch kein Wort. „Die Kriterien von Pflegeversicherung und LPGG wurden hier einfach gleichgesetzt“, sagt Winkelmeier. Dabei berechne die Pflegeversicherung nur Kosten für die medizinischen Folgen der Behinderung, während das LPGG auch anfallende Zusatzkosten im Alltag berücksichtige.
„Behindertenbedingter Mehraufwand“ nennt das Anwältin Doris Galda, Vertreterin des Klägers. „Ich bin froh, dass es nun eine klare Definition für den Anspruch auf Landespflegegeld gibt“, sagt sie.
Die gab es vorher freilich auch, denn ihr Klient entspricht aufgrund seiner Behinderung exakt einer der Zielgruppen, für die das LPGG gemacht ist – und dennoch hat es Jahre und zwei Instanzen gebraucht, bis er seinen Anspruch geltend machen konnte.
David Lukaßen, Sprecher der Sozialsenatorin, sagt: „Wir prüfen jetzt erstmal ganz genau die Anträge, die mit diesem konkreten Fall vergleichbar sind.“ Er könne sich durchaus vorstellen, dass es auch in Zukunft Fälle geben werde, deren Bedarf hinterfragt werden müsse.
Wie hoch der zukünftig ist, kann er nicht einschätzen: „Soweit wir das zum jetzigen Zeitpunkt sagen können, sind das nicht so viele Menschen.“ Damit meint Lukaßen nur diejenigen, die einen Antrag auf Landespflegegeld gestellt haben. Der tatsächliche Bedarf dürfte größer sein, denn auf die meisten Menschen mit einer Querschnittslähmung trifft das LPGG zu.
„Natürlich hat seit der Pflegeversicherung die Bedeutung des LPGG für Menschen mit Körperbehinderungen abgenommen“, sagt Winkelmeier. Für viele von ihnen wird sich das nun ändern, nicht nur für die Zukunft: Das Geld kann für bis zu vier Jahre rückwirkend beantragt werden.
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