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Sound zum Sinken

■ Chicagos L'altra rühren einen slow-poppig schönen Melancholie-Strudel an

Ein Blatt Papier versinkt langsam in einer nahezu planen, blauen Wasseroberfläche. Die einzigen Kräuselungen stammen wohl vom sanften Aufsetzen eben dieses Blatts. Hinter einem solchen Cover würde nur laute Musik vermuten, wer die Ambivalenz zur Denkmatrix erhoben hat. Das haben L'altra, ein offenes Quartett aus Chicago, offensichtlich nicht. Ihre Musik ist ebenso ruhig getragen, melancholisch introspektiv, wie das reduzierte Cover ihrer ersten Platte. Die Band leistet Übersetzungsarbeit zwischen Optik und Akustik, während der Plattentitel die Klangfarbe vorgibt: Music of a Sinking Occasion. Soundtracks zum Untergang.

Doch selten war das Ende süßer als hier. Zart perlende Klaviertropfen schlagen sanft auf warm wogende Cello-Wellen, die ein reduziertes Schlagzeug und ein bedächtig rollender Bass in Bewegung halten. Darüber streichen Stimmen wie Gischtwolken in Zeitlupe. Musik wie schlafwandelnde Seam, wie Galaxie 500 auf Barbituraten. Melodien in Watte, Rhythmen in Slow Motion.

Manche rufen Post-Rock. Wohl weil hier nichts mehr rockt und alles schwebt. Andere sagen Space-Pop, weil das Land so fern scheint, wenn ein L'altra-Stück erst einmal abhebt. Doch was nützen Schubladen, wenn die Wände so durchlässig sind wie hier? L'altra nehmen sich ein wenig Jazz – auf der Gastmusikerliste trifft man viele Namen aus Chicagos blühender New Jazz-Szene –, würzen spärlich mit zurückgenommenen Breakbeats und extrahieren den Blues aus ihren kammermusikalischen Anleihen mit Cello und Klavier. Die Band spricht von einer „konzeptuellen Einheit die Musik, Texte, Artwork und die Aufnahmen durchziehen, und die die Zuhörenden in einen Rückstrom von Melodie und Rhythmus hineinziehen“. Sie nennen es „ein Gefühl des Versinkens und Nachgebens“.

Dabei wird natürlich nicht zur musikalischen Revolution geblasen, sondern nur der stetig voranschreitenden Scheuklappenlosigkeit undogmatischer Musikschaffender Tribut gezollt. Aber schließlich reicht es ja auch, eine wunderschöne Slow-Pop-Platten aufgenommen zu haben, die uns durch diesen tristen Sommer begleiten wird. Bei all dem Regen der letzten Wochen kommt Music of a Sinking Occasion schließlich genau zur rechten Zeit. Gregor Kessler

mit Andi Künnecke: Dienstag, 21 Uhr, Tanzhalle St. Pauli

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