Sound & Vision: Tönende Kurzwaren
■ Die Industrie hält die Freunde der Filmmusik knapp – und verdient dabei gut
Es gibt Plattenschränke, in denen steht die Filmmusik zu, sagen wir mal, den drei „Krieg der Sterne“-Filmen gleich mehrmals: Alle drei Filme je als Vinylalbum wie auch auf CD, dann folgt die „Star Wars Trilogy“-Kompilation inklusive zwei unveröffentlichter Stücke, die legendäre, mit viel unveröffentlichtem beziehungsweise unbenutztem Material ausgestattete 4-CD-Box zur Trilogie und, last but not least, die drei „Special Edition“-Doppel-CDs, die chronologisch sortiert die jeweils komplette Filmmusik von der Fox-Fanfare bis zu den „End Titles“ wiedergeben.
Vierzehn Platten, für die man von 1977 bis 1997 vier-, fünfhundert Mark anlegen mußte; ein stolzer Preis auch für eine gefeierte Filmmusik, die letztlich doch nur dreimal um die hundert Minuten Musik umfaßt.
Filmmusik-Enthusiasten sind ein eher kleiner Zirkel (der harte Kern umfaßt weltweit vielleicht einige tausend), aber auch ein sehr ergebener und durchaus kaufkräftiger. Das nimmt die Industrie seit Anfang der Neunziger auch zur Kenntnis: Neben den unsäglichen, weil selten wirklich filmbezogenen Pop-Soundtracks für die breite Hörerschaft und die Hitparaden (taz am 24.9.) erscheinen in den letzten Jahren immer mehr Neueinspielungen, Erst- und Wiederveröffentlichungen alter Filmmusik. Das ist ein durchaus lukrativer Markt, zumal nur selten Soundtracks ihrem Namen gerecht werden: Mit Ausnahme von „The Thin Blue Line“ (der Film als Hörspiel) oder auch Godards „Nouvelle Vague“ (die komplette Tonspur auf einer Doppel-CD) erscheinen, auch und gerade zu aktuellen Produktionen, ausschließlich Filmmusik-Fragmente auf den Tonträgern.
Das kann zwar rechtliche oder auch künstlerische Gründe haben – gelegentlich läßt sich eine Filmmusik problemlos auf eine Handvoll Themen und Motive reduzieren, würden längere Veröffentlichungen höchstens die Einfallslosigkeit der notorisch unter Zeitdruck operierenden Komponisten belegen. Daß die Erstveröffentlichungen von Soundtracks oftmals jedoch nicht über 30, 35 Minuten hinauskommen, ist im CD-Zeitalter ärgerlich, zumal der Konsument gezwungen wird, für eine Platte im EP-Format den saftigen Preis eines (Klassik-)Albums hinzublättern. Daran sind traditionsgemäß die Gewerkschaften schuld. Denn die vorbildlich organisierten angloamerikanischen Orchestergewerkschaften wie die „American Federation of Musicians“ (AFM) kassieren bei jeder Weiterverwertung der Filmmusik außerhalb der Kinos mit. Da die Wiederbenutzungsgebühren gestaffelt nach Musiklänge berechnet werden, beläßt es die Industrie oft bei etwa halbstündigen Quasi-Soundtracks.
Mit Verspätungen von mehreren Jahren und Jahrzehnten treffen jetzt aber verstärkt komplette oder zumindest deutlich längere Soundtracks ein. Das liegt teilweise an der Flut von dubiosen „Privatveröffentlichungen“, eindeutigen Bootlegs und Veröffentlichungen aus den Grauzonen musikverlegerischen Rechts, die in den letzten Jahren verstärkt die Lücken schließen, die die Industrie nicht schließen konnte oder wollte.
Rechtslücken nutzend hat besonders das Label „Tsunami“ zahlreiche Filmmusik-Klassiker (wieder-)veröffentlicht, darunter Jerry Goldsmiths lange vergriffener „Patton“ inklusive George C. Scotts beunruhigender Motivations-Ansprache („What did You do in the Great World War Two?“), Alex Norths „Cleopatra“ und eine immerhin 79minütige CD mit zusätzlicher, teilweise ungenutzer Musik von North zu Kubricks „Spartacus“. Günstige Preise und archivarische Detailarbeit – in Hollywood wurden und werden Filmmusik-Partituren und -Masterbänder ignorant dem Verfall preisgegeben oder bewußt vernichtet –, für die Soundtrack-FreundInnen die oft fragwürdige Tonqualität wohlwollend in Kauf nehmen.
Inzwischen hat die Platten- und Musikindustrie aber auf das illegale Treiben reagiert: Unter dem Sub-Label „Legacy“ veröffentlichte Columbia/Sony Music zu „Tsunami“-Preisen einige veritable Klassiker. Bei „Rykodisc“ aus den USA erscheinen rare, um Dialogschnipsel, Multimedia-Material oder auch unveröffentlichte Stücke ergänzte Soundtracks, von Barrys grandiosem Bond-Soundtrack „The Living Daylights“ bis zu Quincy Jones' „In The Heat Of The Night“, der zusammen mit der Fortsetzung „They Call Me Mister Tibbs“ ausgeliefert wird. Auch bei „Varese Sarabande“, sonst eher für die beschriebenen filmmusikalischen Kurzwaren bekannt, findet man zahlreiche Erst- und Neueinspielungen.
Manchmal auch mehrfach: Bernard Herrmanns brillante „Vertigo“-Musik liegt wahlweise im Original wie auch in einer neuaufgenommenen „Komplettversion“ vor. Güldene Zeiten für Filmmusik-FreundInnen, aber auch die Musikindustrie, die neues Geld mit alter Musik machen kann. Thomas Klein
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