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„Soumoud-Karawane“Solidaritätskonvoi mit Gaza unerwünscht

Der in Tunis gestartete Konvoi von 1700 Freiwilligen steckt in Zentrallibyen fest. Die ägyptischen Behörden lassen eine Weiterreise nicht zu. Unklar ist, wie es nun weitergeht.

Am 9. Juni herrschte bei ihnen noch die Hoffnung, es bis zur Grenze zwischen Ägypten und Gaza zu schaffen: Teil­neh­me­r*in­nen der „Soumoud-Karawane“ warten in Tunis auf ihre Busse Foto: Jihed Abidellaoui/reuters

Tunis taz | Nach euphorischem Beginn steckt der in Tunis gestartete Solidaritätskonvoi in Zentrallibyen fest. Soldaten der Libyschen Nationalarmee (LNA) lassen die 1700 Freiwilligen nicht weiter an die ägyptische Grenze reisen. Die Behörden in Kairo hatten am Donnerstag verkündet, dass die aus Algerien, Tunesien, Mauretanien und Marokko kommenden Teilnehmer der „Soumoud-Karawane“ in ihren Heimatländern Visa und Sondergenehmigungen beantragen müssen, um zu ihrem Ziel, die ägyptischen Seite des Grenzübergangs in den Gaza-Streifen zu gelangen.

Die mit Ägypten verbündete ostlibysche Regierung hatte daher die 150 Busse und Privatwagen der „Karawane der Hartnäckigkeit“ östlich der Stadt Sirte, in der geografischen Mitte Libyens, gestoppt. In der Nacht auf Samstag ließen sich die aus allen Gesellschaftsschichten kommenden Freiwilligen in ihren mitgebrachten Zelten auf einer Landstraße nieder. Die Organisatoren haben offenbar noch nicht entschieden, ob sie, wie zuvor mit der LNA abgesprochen, über Nebenstraßen an die ägyptische Grenze gelangen und dort mit dem ägyptischen Grenzbeamten über die Modalitäten der Weiterfahrt verhandeln.

„Die Sympathiewelle der letzten Tage lässt eine Umkehr nach Tunis absurd erscheinen“, sagt Wissam Sghair aus Tunis. Der politische Aktivist war wie viele andere Teilnehmer des Soumoud-Konvois seit 2010 auf vielen Straßenprotesten aktiv, die zu dem Sturz des Langzeitherrschers Ben Ali führten und zu der mächtigsten Bürgerbewegung der arabischen Welt wurden.

„Das mag der Grund sein, warum die Autoritäten in Ostlibyen und Ägypten den Solidaritätskonvoi fürchten“, sagt ein anderer Teilnehmer der taz am Telefon. Seinen Namen möchte er aufgrund der Angst vor Problemen im Falle einer Weiterfahrt nicht nennen. Nur Stunden zuvor war er wie die meisten Mitreisenden noch sicher, am kommenden Wochenende in El Arish oder Ma`Bar Rafah an der Grenze zu Gaza für das Ende der Blockade des Gazastreifens und das Ende des Krieges demonstrieren zu können.

In Westlibyen wurde der Konvoi noch gefeiert

In dem unter der Kontrolle der Regierung in Tripolis stehenden Westlibyen hatten lokale Bürgerinitiativen regelrechte Straßenfeste organisiert. Als der Fahrzeugkonvoi in Zauwia, Tripolis, Zliten und Misrata für Zwischenstopps hielten, lag Proviant bereit, an langen Tischen wurden weitere Solidaritätsaktionen mit den Palästinensern erörtert, vor allem lernte man sich kennen. Denn wegen der bürgerkriegsartigen Verhältnisse in Libyen und der aktuellen politischen Spannungen zwischen Vertretern des politischen Islam und seinen Gegnern ist der Austausch zwischen den Maghreb-Staaten auf ein Minimum gesunken. „Die libysche Gastfreundschaft hat mich sehr beeindruckt“, so Wael Naouar, einer der Sprecher und Mitbegründer der Soumoud-Initiative.

„Vielleicht ist ja egal, wie weit wir kommen“, sagt der Ingenieur Mohammed aus Algier, „schon jetzt ist aus der Aktion eine regionale Bewegung geworden. Das Grauen in Gaza hat dazu geführt, dass die lähmende Isolation der letzten Jahre zwischen unseren Ländern hinterfragt wird.“

Doch vorerst wird vor allem die politische Haltung der Regierenden deutlich. Die Soumoud-Karawane ist Teil des „Globalen Marsches für Gaza“. 4000 Mit­strei­te­r:in­nen aus 32 Ländern hatten sich angekündigt und waren am Donnerstag per Flugzeug auf dem Weg nach Kairo. Die letzten 50 Kilometer wollten sie zusammen mit den Teilnehmern der Soumoud-Karawane zu Fuß an die Gaza-Grenze gehen, um medienwirksam auf die Lage in Gaza aufmerksam zu machen.

Doch die ägyptischen Behörden setzten 88 aus Algerien, Frankreich und der Türkei ankommende Aktivisten gleich in den nächsten Flieger in die Heimat, mindestens 100 Menschen befinden sich in Abschiebehaft. Beamte hatten die ankommenden Flugzeuge regelrecht umzingelt und nach möglichen Teil­neh­me­r:in­nen der Gaza-Solidaritäts-Aktion durchsucht. Wer es dennoch bis in die Innenstadt von Kairo geschafft hatte, wurde spätestens in Ismailia, der Grenze zur Sinai-Halbinsel, gestoppt. Dort bewarfen offenbar aufgehetzte Bewohner die aus diversen Ländern stammenden Aktivisten mit Wasserflaschen und Steinen. Beamte konfiszierten Reisepässe und verhafteten dutzende Teilnehmer:innen.

Auch Paul Murphy, ein irischer Parlamentsabgeordneter, wurde in einem Polizeifahrzeug abtransportiert. Er hatte wie viele andere mit dem Verbot der Weiterreise, ähnlich wie in Libyen, aber nicht mit offener Gewalt gegen Gaza-Sympathisanten gerechnet. „Die ägyptischen Behörden sind offenbar fest entschlossen, den Marsch auf Gaza zu unterbinden“, sagt er. Viele von denen, die in Kairo und im libyschen Sirte festhängen, erklärten, wiederkommen zu wollen. Am Samstagabend findet nun nicht bei Rafah, sondern in Tunis ein großer Soumoud-Solidaritätsprotest statt. Gaza ist derweil völlig von der Außenwelt isoliert. Seit Freitag sind aus unbekannten Grund alle Internetverbindungen unterbrochen.

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2 Kommentare

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  • Ägypten hat leider schon oft mit Israel zusammengearbeitet, gerade wenn es um dessen Durchsetzung militärischer Interessen gegen die Zivilbevölkerung in Gaza geht. Netanjahu kann seine Macht leider nur noch durch Kriege aufrechterhalten. Er möchte seine internationalen Beziehungen und Machtstellungen durch eine Führung von Krieg im nahen Osten zementieren, sowie den Machtbereich Israels ausbauen. Helfen würde nur ein Waffen-Boykott Netanjahus und seiner Ministerinnen und Minister, sowie eine internationale Verurteilung der jetzigen israelischen Regierung. Kriege wenden der Iran und die Türkei (in den Kurdengebieten und der Drohnenproduktion ebenfalls an). Aber Israels aktuelles "Kriegsstreben" trägt leider ebenfalls die Handschrift von purem Nationalismus und rechtem Siedlergedankengut gegenüber anderen Ländern. Es gibt nur eine Möglichkeit die man sehen kann: Die Regierung Netanjahu muss zurücktreten oder zum Rücktritt bewegt werden. Anders wird es nicht funktionieren! Dann kehrt hoffentlich wieder Frieden ein.

  • Hat niemand dieser Aktivisten die Bilder der ägyptischen Grenzanlage zu Gaza gesehen?



    Hat niemand das Vorgehen der Regierung gegen die Muslimbrüder (=Hamas) mitbekommen?



    Kam es niemandem in den letzten Monaten seltsam vor, dass Ägypten die Grenzen nicht geöffnet hat, obwohl ja angeblich 14.000 Babys binnen 48h Stunden verhungern würden?



    Haben die nie verstanden, dass den arabischen Bruderstaaten die Palästinenser herzlich egal sind?



    Informieren die sich alle nur in ihrer eigenen TikTok-Gruppe?

    Ich bin ja häufiger in der Ecke und habe in Kairo und Amman diverse Demos miterlebt. Verbal darf da gegen Israel hergezogen werden, wie man will, aber sobald Menschen Anstalten machen, zu konkreten Taten aufzurufen oder gar loszumarschieren, greift der Staat ein. Wenig zimperlich und sehr deutlich. Der letzte Generalstreik in Amman war übrigens auch nur eine symbolische Aktion - vor zwei Jahren hatten die palästinensischen Jordanier noch einen halben Tag die Läden zugemacht. Die übrigen Jordanier hatten eh meist trotzdem geöffnet.